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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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zum Persönlichen ist da, und wenn er weiter geht, so
ist um dieses Preises willen die aus politisch-religiösem
Grunde erwachsene Krisis der neunziger Jahre nicht
zu teuer erkauft.

Mit der sittlichen Qualität der Missionsgemeinde
steht im engsten Zusammenhang die Frage nach der
Kirchendisziplin. Die Mission kann auf die Diszipli-
nierung ihrer Glieder nicht in dem Maße verzichten,
wie die heimische Kirche das thut. Zwar ist das aus-
gedehnte System der Kirchenstrafen einschließlich der
öffentlichen Kirchenbuße, wie es in der alten Kirche
geübt wurde, in Japan unbekannt. Vermahnungen und
Verwarnungen sind der privaten Seelsorge des Geist-
lichen überlassen. Die Rechtsprechung der Gemeinde-
versammlung beschränkt sich auf Streichung und Aus-
stoßung. Die Streichung aus der Liste der Gemeinde-
glieder erfolgt auf Grund der Vernachlässigung des
Gottesdienstes und des Sakraments. Durch diese
Streichung, durch welche alle toten Glieder entfernt
werden, gewinnt die Statistik der Mission außerordent-
lich an Zuverlässigkeit. Die heimische Missionsgemeinde
sieht freilich lieber große als kleine Zahlen. Im Inter-
esse der Sache selbst ist aber die Streichung unkirch-
licher Elemente unumgänglich notwendig. Es muß
eine Ehre sein, Mitglied einer christlichen Gemeinde zu
heißen. Wer aber durch Gleichgültigkeit den Beweis
liefert, daß er diese Ehre nicht zu würdigen weiß, darf
auch nicht länger mehr im Besitze derselben bleiben.
Wenn man auch ihnen die "Ehre" beläßt, so wird die-
selbe zur wertlosen Phrase. Durch die Streichung sind
viele japanische Christengemeinden um mehr als die
Hälfte reduziert worden. Es ist kein Nachteil für sie.
Mitglieder, die das Jahr einmal zur Kirche kommen,

zum Perſönlichen iſt da, und wenn er weiter geht, ſo
iſt um dieſes Preiſes willen die aus politiſch-religiöſem
Grunde erwachſene Kriſis der neunziger Jahre nicht
zu teuer erkauft.

Mit der ſittlichen Qualität der Miſſionsgemeinde
ſteht im engſten Zuſammenhang die Frage nach der
Kirchendisziplin. Die Miſſion kann auf die Diszipli-
nierung ihrer Glieder nicht in dem Maße verzichten,
wie die heimiſche Kirche das thut. Zwar iſt das aus-
gedehnte Syſtem der Kirchenſtrafen einſchließlich der
öffentlichen Kirchenbuße, wie es in der alten Kirche
geübt wurde, in Japan unbekannt. Vermahnungen und
Verwarnungen ſind der privaten Seelſorge des Geiſt-
lichen überlaſſen. Die Rechtſprechung der Gemeinde-
verſammlung beſchränkt ſich auf Streichung und Aus-
ſtoßung. Die Streichung aus der Liſte der Gemeinde-
glieder erfolgt auf Grund der Vernachläſſigung des
Gottesdienſtes und des Sakraments. Durch dieſe
Streichung, durch welche alle toten Glieder entfernt
werden, gewinnt die Statiſtik der Miſſion außerordent-
lich an Zuverläſſigkeit. Die heimiſche Miſſionsgemeinde
ſieht freilich lieber große als kleine Zahlen. Im Inter-
eſſe der Sache ſelbſt iſt aber die Streichung unkirch-
licher Elemente unumgänglich notwendig. Es muß
eine Ehre ſein, Mitglied einer chriſtlichen Gemeinde zu
heißen. Wer aber durch Gleichgültigkeit den Beweis
liefert, daß er dieſe Ehre nicht zu würdigen weiß, darf
auch nicht länger mehr im Beſitze derſelben bleiben.
Wenn man auch ihnen die „Ehre“ beläßt, ſo wird die-
ſelbe zur wertloſen Phraſe. Durch die Streichung ſind
viele japaniſche Chriſtengemeinden um mehr als die
Hälfte reduziert worden. Es iſt kein Nachteil für ſie.
Mitglieder, die das Jahr einmal zur Kirche kommen,

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[359/0373] zum Perſönlichen iſt da, und wenn er weiter geht, ſo iſt um dieſes Preiſes willen die aus politiſch-religiöſem Grunde erwachſene Kriſis der neunziger Jahre nicht zu teuer erkauft. Mit der ſittlichen Qualität der Miſſionsgemeinde ſteht im engſten Zuſammenhang die Frage nach der Kirchendisziplin. Die Miſſion kann auf die Diszipli- nierung ihrer Glieder nicht in dem Maße verzichten, wie die heimiſche Kirche das thut. Zwar iſt das aus- gedehnte Syſtem der Kirchenſtrafen einſchließlich der öffentlichen Kirchenbuße, wie es in der alten Kirche geübt wurde, in Japan unbekannt. Vermahnungen und Verwarnungen ſind der privaten Seelſorge des Geiſt- lichen überlaſſen. Die Rechtſprechung der Gemeinde- verſammlung beſchränkt ſich auf Streichung und Aus- ſtoßung. Die Streichung aus der Liſte der Gemeinde- glieder erfolgt auf Grund der Vernachläſſigung des Gottesdienſtes und des Sakraments. Durch dieſe Streichung, durch welche alle toten Glieder entfernt werden, gewinnt die Statiſtik der Miſſion außerordent- lich an Zuverläſſigkeit. Die heimiſche Miſſionsgemeinde ſieht freilich lieber große als kleine Zahlen. Im Inter- eſſe der Sache ſelbſt iſt aber die Streichung unkirch- licher Elemente unumgänglich notwendig. Es muß eine Ehre ſein, Mitglied einer chriſtlichen Gemeinde zu heißen. Wer aber durch Gleichgültigkeit den Beweis liefert, daß er dieſe Ehre nicht zu würdigen weiß, darf auch nicht länger mehr im Beſitze derſelben bleiben. Wenn man auch ihnen die „Ehre“ beläßt, ſo wird die- ſelbe zur wertloſen Phraſe. Durch die Streichung ſind viele japaniſche Chriſtengemeinden um mehr als die Hälfte reduziert worden. Es iſt kein Nachteil für ſie. Mitglieder, die das Jahr einmal zur Kirche kommen,

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/373>, abgerufen am 22.11.2024.