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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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liche Persönlichkeiten erwiesen, und das ist mehr als
manche scheinbare Großthat. Das unparteiische Urteil
Fremder über sie konnte mir wahrlich nicht gleichgültig
sein; denn jedes Urteil über sie bedeutete zugleich ein
Urteil über unsere Missionsthätigkeit; man wird darum
meine Freude wohl verstehen, als ich in Berlin von
anderen vernahm: "Die beiden sind christliche Charaktere".

Das sind europäische Urteile, und manches andere
nicht minder günstige Zeugnis durfte ich auch in
Japan aus dem Munde unbefangener und selbst be-
fangener Abendländer hören. Manchmal, wenn ich in
Begleitung eines christlichen Japaners einem Europäer
begegnete, wurde mir von diesem später gesagt: "Nicht
wahr, das war doch ein Christ, mit dem ich Sie neu-
lich zusammensah; man siehts ihm ja auf den ersten
Blick an". In der That ist nicht wenigen Christen
der Adelsbrief ihrer Religion auf das Antlitz geschrieben,
so daß man aus dem Ausdruck ihrer Gesichtszüge nicht
minder sicher auf ihre himmlische Gefolgschaft schließen
darf, wie früher aus dem Wappen ihres Kleides auf
die Zugehörigkeit zu ihrem weltlichen Clansfürsten.
Der Gesichtsausdruck ist aber im Grunde nichts anderes
als die Widerspiegelung der inneren Gedankenwelt,
und der Rückschluß aus einer christlichen Physiognomie
auf ein echt christliches Herz wird in den meisten Fällen
kein Trugschluß sein.

Einst landete in Yokohama ein hochgestellter deut-
scher Landsmann, welchem eine flüchtige Besichtigung
der japanischen Mission aus der Vogelperspektive wichtig
genug war, um darob ein Reise um die Welt zu unter-
nehmen. Er besuchte auch mich, und da ich glauben
durfte, einen verständnisvollen Missionskenner vor mir
zu haben, der nicht in der laienhaften Erwartung

liche Perſönlichkeiten erwieſen, und das iſt mehr als
manche ſcheinbare Großthat. Das unparteiiſche Urteil
Fremder über ſie konnte mir wahrlich nicht gleichgültig
ſein; denn jedes Urteil über ſie bedeutete zugleich ein
Urteil über unſere Miſſionsthätigkeit; man wird darum
meine Freude wohl verſtehen, als ich in Berlin von
anderen vernahm: „Die beiden ſind chriſtliche Charaktere“.

Das ſind europäiſche Urteile, und manches andere
nicht minder günſtige Zeugnis durfte ich auch in
Japan aus dem Munde unbefangener und ſelbſt be-
fangener Abendländer hören. Manchmal, wenn ich in
Begleitung eines chriſtlichen Japaners einem Europäer
begegnete, wurde mir von dieſem ſpäter geſagt: „Nicht
wahr, das war doch ein Chriſt, mit dem ich Sie neu-
lich zuſammenſah; man ſiehts ihm ja auf den erſten
Blick an“. In der That iſt nicht wenigen Chriſten
der Adelsbrief ihrer Religion auf das Antlitz geſchrieben,
ſo daß man aus dem Ausdruck ihrer Geſichtszüge nicht
minder ſicher auf ihre himmliſche Gefolgſchaft ſchließen
darf, wie früher aus dem Wappen ihres Kleides auf
die Zugehörigkeit zu ihrem weltlichen Clansfürſten.
Der Geſichtsausdruck iſt aber im Grunde nichts anderes
als die Widerſpiegelung der inneren Gedankenwelt,
und der Rückſchluß aus einer chriſtlichen Phyſiognomie
auf ein echt chriſtliches Herz wird in den meiſten Fällen
kein Trugſchluß ſein.

Einſt landete in Yokohama ein hochgeſtellter deut-
ſcher Landsmann, welchem eine flüchtige Beſichtigung
der japaniſchen Miſſion aus der Vogelperſpektive wichtig
genug war, um darob ein Reiſe um die Welt zu unter-
nehmen. Er beſuchte auch mich, und da ich glauben
durfte, einen verſtändnisvollen Miſſionskenner vor mir
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[346/0360] liche Perſönlichkeiten erwieſen, und das iſt mehr als manche ſcheinbare Großthat. Das unparteiiſche Urteil Fremder über ſie konnte mir wahrlich nicht gleichgültig ſein; denn jedes Urteil über ſie bedeutete zugleich ein Urteil über unſere Miſſionsthätigkeit; man wird darum meine Freude wohl verſtehen, als ich in Berlin von anderen vernahm: „Die beiden ſind chriſtliche Charaktere“. Das ſind europäiſche Urteile, und manches andere nicht minder günſtige Zeugnis durfte ich auch in Japan aus dem Munde unbefangener und ſelbſt be- fangener Abendländer hören. Manchmal, wenn ich in Begleitung eines chriſtlichen Japaners einem Europäer begegnete, wurde mir von dieſem ſpäter geſagt: „Nicht wahr, das war doch ein Chriſt, mit dem ich Sie neu- lich zuſammenſah; man ſiehts ihm ja auf den erſten Blick an“. In der That iſt nicht wenigen Chriſten der Adelsbrief ihrer Religion auf das Antlitz geſchrieben, ſo daß man aus dem Ausdruck ihrer Geſichtszüge nicht minder ſicher auf ihre himmliſche Gefolgſchaft ſchließen darf, wie früher aus dem Wappen ihres Kleides auf die Zugehörigkeit zu ihrem weltlichen Clansfürſten. Der Geſichtsausdruck iſt aber im Grunde nichts anderes als die Widerſpiegelung der inneren Gedankenwelt, und der Rückſchluß aus einer chriſtlichen Phyſiognomie auf ein echt chriſtliches Herz wird in den meiſten Fällen kein Trugſchluß ſein. Einſt landete in Yokohama ein hochgeſtellter deut- ſcher Landsmann, welchem eine flüchtige Beſichtigung der japaniſchen Miſſion aus der Vogelperſpektive wichtig genug war, um darob ein Reiſe um die Welt zu unter- nehmen. Er beſuchte auch mich, und da ich glauben durfte, einen verſtändnisvollen Miſſionskenner vor mir zu haben, der nicht in der laienhaften Erwartung

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/360>, abgerufen am 22.11.2024.