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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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mit der erwachsenen Jugend und gereifteren Elementen
zu thun haben, handelt es sich hier um die Arbeit an
unmündigen Kindern. Das Sonntagsschulwesen, welches
sein Vorbild in der englischen "Sunday-School" hat,
ist ungemein ausgebreitet. Alle Missionen legen das
größte Gewicht darauf, so daß mit jeder Kirche und
Predigtstation eine Sonntagsschule verbunden ist. Da
kommen sie des Sonntags morgens, Kinder von fünf
bis fünfzehn Jahren, um sich, je nach dem Verständnis
in Klassen geteilt, von mehreren gereiften Gliedern der
Gemeinde unterrichten zu lassen. Der Unterricht ist
auch hier fast ausschließlich ein biblischer. Der Kate-
chismus tritt vollständig in den Hintergrund. Die
Sonntagsschulen finden immer Besucher. Unter dem
reaktionären Geist des letzten Jahrzehnts hatten sie am
wenigsten zu leiden. So abgeneigt der Japaner für
seine Person dem Christentum sein mag, seine Kinder
in die Sonntagsschule zu schicken, trägt er keine Be-
denken. In unserer Sonntagsschule in Hongo hatten
wir Kinder, deren mir bekannte Väter aus ihrer ent-
schieden atheistischen Gesinnung nie ein Hehl machten.
Vielleicht, daß selbst von ihnen der Mangel des Reli-
gionsunterrichts in den Gemeindeschulen als Mißstand
empfunden werde.

Ein großer Teil des Sonntagsschulbestandes ist
freilich in den Armen- oder Freischulen schon vorhanden.
Während die Sonntagsschulen englischen Ursprungs sind,
dürften diese auf die römisch-katholische Missionspraxis
zurückzuführen sein, welche bekanntlich der Kinderer-
ziehung den größten Teil ihrer Erfolge zu verdanken
hat. Es sind gewöhnliche Elementarschulen. Da für
die Gemeindeanstalten das Schulgeld ziemlich hoch ist,
so greifen unvermögende Eltern mit Freuden zu, wenn

mit der erwachſenen Jugend und gereifteren Elementen
zu thun haben, handelt es ſich hier um die Arbeit an
unmündigen Kindern. Das Sonntagsſchulweſen, welches
ſein Vorbild in der engliſchen „Sunday-School“ hat,
iſt ungemein ausgebreitet. Alle Miſſionen legen das
größte Gewicht darauf, ſo daß mit jeder Kirche und
Predigtſtation eine Sonntagsſchule verbunden iſt. Da
kommen ſie des Sonntags morgens, Kinder von fünf
bis fünfzehn Jahren, um ſich, je nach dem Verſtändnis
in Klaſſen geteilt, von mehreren gereiften Gliedern der
Gemeinde unterrichten zu laſſen. Der Unterricht iſt
auch hier faſt ausſchließlich ein bibliſcher. Der Kate-
chismus tritt vollſtändig in den Hintergrund. Die
Sonntagsſchulen finden immer Beſucher. Unter dem
reaktionären Geiſt des letzten Jahrzehnts hatten ſie am
wenigſten zu leiden. So abgeneigt der Japaner für
ſeine Perſon dem Chriſtentum ſein mag, ſeine Kinder
in die Sonntagsſchule zu ſchicken, trägt er keine Be-
denken. In unſerer Sonntagsſchule in Hongo hatten
wir Kinder, deren mir bekannte Väter aus ihrer ent-
ſchieden atheiſtiſchen Geſinnung nie ein Hehl machten.
Vielleicht, daß ſelbſt von ihnen der Mangel des Reli-
gionsunterrichts in den Gemeindeſchulen als Mißſtand
empfunden werde.

Ein großer Teil des Sonntagsſchulbeſtandes iſt
freilich in den Armen- oder Freiſchulen ſchon vorhanden.
Während die Sonntagsſchulen engliſchen Urſprungs ſind,
dürften dieſe auf die römiſch-katholiſche Miſſionspraxis
zurückzuführen ſein, welche bekanntlich der Kinderer-
ziehung den größten Teil ihrer Erfolge zu verdanken
hat. Es ſind gewöhnliche Elementarſchulen. Da für
die Gemeindeanſtalten das Schulgeld ziemlich hoch iſt,
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[330/0344] mit der erwachſenen Jugend und gereifteren Elementen zu thun haben, handelt es ſich hier um die Arbeit an unmündigen Kindern. Das Sonntagsſchulweſen, welches ſein Vorbild in der engliſchen „Sunday-School“ hat, iſt ungemein ausgebreitet. Alle Miſſionen legen das größte Gewicht darauf, ſo daß mit jeder Kirche und Predigtſtation eine Sonntagsſchule verbunden iſt. Da kommen ſie des Sonntags morgens, Kinder von fünf bis fünfzehn Jahren, um ſich, je nach dem Verſtändnis in Klaſſen geteilt, von mehreren gereiften Gliedern der Gemeinde unterrichten zu laſſen. Der Unterricht iſt auch hier faſt ausſchließlich ein bibliſcher. Der Kate- chismus tritt vollſtändig in den Hintergrund. Die Sonntagsſchulen finden immer Beſucher. Unter dem reaktionären Geiſt des letzten Jahrzehnts hatten ſie am wenigſten zu leiden. So abgeneigt der Japaner für ſeine Perſon dem Chriſtentum ſein mag, ſeine Kinder in die Sonntagsſchule zu ſchicken, trägt er keine Be- denken. In unſerer Sonntagsſchule in Hongo hatten wir Kinder, deren mir bekannte Väter aus ihrer ent- ſchieden atheiſtiſchen Geſinnung nie ein Hehl machten. Vielleicht, daß ſelbſt von ihnen der Mangel des Reli- gionsunterrichts in den Gemeindeſchulen als Mißſtand empfunden werde. Ein großer Teil des Sonntagsſchulbeſtandes iſt freilich in den Armen- oder Freiſchulen ſchon vorhanden. Während die Sonntagsſchulen engliſchen Urſprungs ſind, dürften dieſe auf die römiſch-katholiſche Miſſionspraxis zurückzuführen ſein, welche bekanntlich der Kinderer- ziehung den größten Teil ihrer Erfolge zu verdanken hat. Es ſind gewöhnliche Elementarſchulen. Da für die Gemeindeanſtalten das Schulgeld ziemlich hoch iſt, ſo greifen unvermögende Eltern mit Freuden zu, wenn

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/344>, abgerufen am 22.11.2024.