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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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mann ausgeht, zu säen seinen Samen, so mag manches
auf den Weg, manches auf den Felsen, manches unter
die Dornen, manches auch auf gutes Land fallen. Wenn
ich das japanische Missionsfeld mit einer von diesen
vier Bodenarten vergleichen soll, so kann nach dem, was
unter Geistesleben und Temperament gesagt wurde,
auch nicht der geringste Zweifel bestehen. Zwar giebt
es glücklicherweise Ausnahmen, und gerade die Aus-
nahmen, die ernsten Naturen, sind es in der Regel,
welche sich dem Christentum zuwenden. Auch gelingt
oft während der Vorbereitungszeit eine intensive Ver-
tiefung des Geistes und Gemütes. Aber im großen und
ganzen gleicht das japanische Ackerfeld auffallend dem
Felsenlande, auf welches der Same fiel. "Sie nehmen
das Wort, wenn sie es hören, mit Freuden an, haben
aber nicht Wurzel". Mit seinem Kopfe erfaßt der Ja-
paner rasch und sicher, und bald schon, nachdem die Säe-
arbeit begonnen hat, sieht man die Keime des Verständ-
nisses hervorkommen. Aber mit seinem Herzen erfaßt
er langsam und lose. Es giebt der Fälle genug, wo
das Christentum nur in dem Kopfe, nicht aber in der
Tiefe des Herzens gewurzelt ist. Dazu ist es der
Japaner nicht gewöhnt, in unserm Sinne freimütig und
mitteilsam zu sein und sein ganzes Inneres offen vor
den Augen selbst dessen zu erschließen, zu dem er das
größte Vertrauen hat. Ein richtiges Urteil ist daher
für den Missionar sehr schwer; und da der Katechumene
zufolge seiner natürlichen Veranlagung leicht Feuer und
Flamme scheint, so läßt man sich leicht blenden von
dem Schein dieser Flamme und zu spät erkennt man,
daß es in manchen Fällen nur ein flackerndes Stroh-
feuer gewesen ist, nicht aber die nachhaltige Glut des
Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

mann ausgeht, zu ſäen ſeinen Samen, ſo mag manches
auf den Weg, manches auf den Felſen, manches unter
die Dornen, manches auch auf gutes Land fallen. Wenn
ich das japaniſche Miſſionsfeld mit einer von dieſen
vier Bodenarten vergleichen ſoll, ſo kann nach dem, was
unter Geiſtesleben und Temperament geſagt wurde,
auch nicht der geringſte Zweifel beſtehen. Zwar giebt
es glücklicherweiſe Ausnahmen, und gerade die Aus-
nahmen, die ernſten Naturen, ſind es in der Regel,
welche ſich dem Chriſtentum zuwenden. Auch gelingt
oft während der Vorbereitungszeit eine intenſive Ver-
tiefung des Geiſtes und Gemütes. Aber im großen und
ganzen gleicht das japaniſche Ackerfeld auffallend dem
Felſenlande, auf welches der Same fiel. „Sie nehmen
das Wort, wenn ſie es hören, mit Freuden an, haben
aber nicht Wurzel“. Mit ſeinem Kopfe erfaßt der Ja-
paner raſch und ſicher, und bald ſchon, nachdem die Säe-
arbeit begonnen hat, ſieht man die Keime des Verſtänd-
niſſes hervorkommen. Aber mit ſeinem Herzen erfaßt
er langſam und loſe. Es giebt der Fälle genug, wo
das Chriſtentum nur in dem Kopfe, nicht aber in der
Tiefe des Herzens gewurzelt iſt. Dazu iſt es der
Japaner nicht gewöhnt, in unſerm Sinne freimütig und
mitteilſam zu ſein und ſein ganzes Inneres offen vor
den Augen ſelbſt deſſen zu erſchließen, zu dem er das
größte Vertrauen hat. Ein richtiges Urteil iſt daher
für den Miſſionar ſehr ſchwer; und da der Katechumene
zufolge ſeiner natürlichen Veranlagung leicht Feuer und
Flamme ſcheint, ſo läßt man ſich leicht blenden von
dem Schein dieſer Flamme und zu ſpät erkennt man,
daß es in manchen Fällen nur ein flackerndes Stroh-
feuer geweſen iſt, nicht aber die nachhaltige Glut des
Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

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[327/0341] mann ausgeht, zu ſäen ſeinen Samen, ſo mag manches auf den Weg, manches auf den Felſen, manches unter die Dornen, manches auch auf gutes Land fallen. Wenn ich das japaniſche Miſſionsfeld mit einer von dieſen vier Bodenarten vergleichen ſoll, ſo kann nach dem, was unter Geiſtesleben und Temperament geſagt wurde, auch nicht der geringſte Zweifel beſtehen. Zwar giebt es glücklicherweiſe Ausnahmen, und gerade die Aus- nahmen, die ernſten Naturen, ſind es in der Regel, welche ſich dem Chriſtentum zuwenden. Auch gelingt oft während der Vorbereitungszeit eine intenſive Ver- tiefung des Geiſtes und Gemütes. Aber im großen und ganzen gleicht das japaniſche Ackerfeld auffallend dem Felſenlande, auf welches der Same fiel. „Sie nehmen das Wort, wenn ſie es hören, mit Freuden an, haben aber nicht Wurzel“. Mit ſeinem Kopfe erfaßt der Ja- paner raſch und ſicher, und bald ſchon, nachdem die Säe- arbeit begonnen hat, ſieht man die Keime des Verſtänd- niſſes hervorkommen. Aber mit ſeinem Herzen erfaßt er langſam und loſe. Es giebt der Fälle genug, wo das Chriſtentum nur in dem Kopfe, nicht aber in der Tiefe des Herzens gewurzelt iſt. Dazu iſt es der Japaner nicht gewöhnt, in unſerm Sinne freimütig und mitteilſam zu ſein und ſein ganzes Inneres offen vor den Augen ſelbſt deſſen zu erſchließen, zu dem er das größte Vertrauen hat. Ein richtiges Urteil iſt daher für den Miſſionar ſehr ſchwer; und da der Katechumene zufolge ſeiner natürlichen Veranlagung leicht Feuer und Flamme ſcheint, ſo läßt man ſich leicht blenden von dem Schein dieſer Flamme und zu ſpät erkennt man, daß es in manchen Fällen nur ein flackerndes Stroh- feuer geweſen iſt, nicht aber die nachhaltige Glut des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/341>, abgerufen am 22.11.2024.