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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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geboten, dessen Oberbefehlshaber Wakasa-no-kami, der
Karo (erste Berater) des Daimyo von Hizen war.
Eines Tages, als Wakasa am Ufer entlang ging, sah
er auf dem Wasser ein kleines Buch schwimmen, das
er sich aneignete. Es war, wie ihm ein holländischer
Dolmetscher erklärte, ein englisches Neues Testament.
Als Wakasa erfuhr, daß in Shangai dasselbe Buch in
chinesischer Schrift zu haben sei, ließ er sich ein Exemplar
kommen und nahm es mit in seine Heimat. Hier machte
er sich im Verein mit seinem Bruder Ayabe und drei
Freunden an das Studium des seltsamen Buches, das
diese suchenden Seelen bald mächtig anzog. Die Jahre
kamen und gingen, aber das Interesse der fünf Männer
an dem Buche ging nicht. Da geschah es, daß im
Jahre 1862 einer derselben nach Nagasaki kam. Dort
traf er den Missionar Verbeck, welcher ihm christlichen
Unterricht erteilte. Als Wasaka das erfuhr, benutzte
er die Gelegenheit, um sich über so manche unverstandene
Stelle seines Testaments Klarheit zu verschaffen. Da
ihn sein Amt an Ort und Stelle festhielt, ließ er jede
Woche einen Boten die zweitägige Reise zu Verbeck
machen und erhielt so mit seinen Gefährten auf brief-
lichem Weg "par distance" einen regelrechten Bibel-
unterricht. Endlich im Jahre 1866 machten sich Wakasa
und sein Bruder Ayabe auf nach Nagasaki. Dort er-
hielten sie noch einmal mündlichen Unterricht, und am
Pfingstfest wurden sie durch Verbeck getauft -- die nächsten
Christen nach Yano und für eine Zeitlang wieder die
einzigen. Wakasa starb als treuer Christ. Aber sein
Christengeist starb nicht in seiner Familie. 1880 ließ
sich eine Tochter von ihm mitsamt ihrem Gatten und
einer treuen Dienerin taufen. Die beiden ersten sind
Mitglieder einer Gemeinde der Nippon Kristo Kyokwai

geboten, deſſen Oberbefehlshaber Wakaſa-no-kami, der
Karo (erſte Berater) des Daimyo von Hizen war.
Eines Tages, als Wakaſa am Ufer entlang ging, ſah
er auf dem Waſſer ein kleines Buch ſchwimmen, das
er ſich aneignete. Es war, wie ihm ein holländiſcher
Dolmetſcher erklärte, ein engliſches Neues Teſtament.
Als Wakaſa erfuhr, daß in Shangai dasſelbe Buch in
chineſiſcher Schrift zu haben ſei, ließ er ſich ein Exemplar
kommen und nahm es mit in ſeine Heimat. Hier machte
er ſich im Verein mit ſeinem Bruder Ayabe und drei
Freunden an das Studium des ſeltſamen Buches, das
dieſe ſuchenden Seelen bald mächtig anzog. Die Jahre
kamen und gingen, aber das Intereſſe der fünf Männer
an dem Buche ging nicht. Da geſchah es, daß im
Jahre 1862 einer derſelben nach Nagaſaki kam. Dort
traf er den Miſſionar Verbeck, welcher ihm chriſtlichen
Unterricht erteilte. Als Waſaka das erfuhr, benutzte
er die Gelegenheit, um ſich über ſo manche unverſtandene
Stelle ſeines Teſtaments Klarheit zu verſchaffen. Da
ihn ſein Amt an Ort und Stelle feſthielt, ließ er jede
Woche einen Boten die zweitägige Reiſe zu Verbeck
machen und erhielt ſo mit ſeinen Gefährten auf brief-
lichem Weg „par distance“ einen regelrechten Bibel-
unterricht. Endlich im Jahre 1866 machten ſich Wakaſa
und ſein Bruder Ayabe auf nach Nagaſaki. Dort er-
hielten ſie noch einmal mündlichen Unterricht, und am
Pfingſtfeſt wurden ſie durch Verbeck getauft — die nächſten
Chriſten nach Yano und für eine Zeitlang wieder die
einzigen. Wakaſa ſtarb als treuer Chriſt. Aber ſein
Chriſtengeiſt ſtarb nicht in ſeiner Familie. 1880 ließ
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Mitglieder einer Gemeinde der Nippon Kriſto Kyokwai

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[264/0278] geboten, deſſen Oberbefehlshaber Wakaſa-no-kami, der Karo (erſte Berater) des Daimyo von Hizen war. Eines Tages, als Wakaſa am Ufer entlang ging, ſah er auf dem Waſſer ein kleines Buch ſchwimmen, das er ſich aneignete. Es war, wie ihm ein holländiſcher Dolmetſcher erklärte, ein engliſches Neues Teſtament. Als Wakaſa erfuhr, daß in Shangai dasſelbe Buch in chineſiſcher Schrift zu haben ſei, ließ er ſich ein Exemplar kommen und nahm es mit in ſeine Heimat. Hier machte er ſich im Verein mit ſeinem Bruder Ayabe und drei Freunden an das Studium des ſeltſamen Buches, das dieſe ſuchenden Seelen bald mächtig anzog. Die Jahre kamen und gingen, aber das Intereſſe der fünf Männer an dem Buche ging nicht. Da geſchah es, daß im Jahre 1862 einer derſelben nach Nagaſaki kam. Dort traf er den Miſſionar Verbeck, welcher ihm chriſtlichen Unterricht erteilte. Als Waſaka das erfuhr, benutzte er die Gelegenheit, um ſich über ſo manche unverſtandene Stelle ſeines Teſtaments Klarheit zu verſchaffen. Da ihn ſein Amt an Ort und Stelle feſthielt, ließ er jede Woche einen Boten die zweitägige Reiſe zu Verbeck machen und erhielt ſo mit ſeinen Gefährten auf brief- lichem Weg „par distance“ einen regelrechten Bibel- unterricht. Endlich im Jahre 1866 machten ſich Wakaſa und ſein Bruder Ayabe auf nach Nagaſaki. Dort er- hielten ſie noch einmal mündlichen Unterricht, und am Pfingſtfeſt wurden ſie durch Verbeck getauft — die nächſten Chriſten nach Yano und für eine Zeitlang wieder die einzigen. Wakaſa ſtarb als treuer Chriſt. Aber ſein Chriſtengeiſt ſtarb nicht in ſeiner Familie. 1880 ließ ſich eine Tochter von ihm mitſamt ihrem Gatten und einer treuen Dienerin taufen. Die beiden erſten ſind Mitglieder einer Gemeinde der Nippon Kriſto Kyokwai

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/278>, abgerufen am 24.11.2024.