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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Und wie man es auch in höher stehenden Religionen
fertig gebracht hat, heiliges Wasser und heilige Erde
zu verkaufen, welche für das gemeine Volk sofort zu
Zaubermitteln werden, so macht man auch hier mit
heiligem Wasser, heiligem Sand und anderem mehr
gute Geschäfte. Besonders sind es die alten Sekten
Tendai und Shingon, welche diese Auswüchse des Aber-
glaubens kultivieren, und wenn es auch kaum noch einen
Priester giebt, der selbst an die Zauberkraft des o fuda
glaubt, so ist doch auch hier das tröstliche Bewußtsein
"pecunia non olet" stärker als alle etwaigen Gewissens-
skrupel.

Immer aber sind es kleine Anliegen und alltägliche
Sorgen, welche die Gläubigen auf dem Herzen haben,
sowohl bei den o fuda und Amuletten als bei der An-
betung der Götzen. Daß der hotoke auch in den großen
Nöten des Lebens, in der Angst des Gewissens und in
der Nacht des Todes helfen könne, dazu hält man ihn
entweder für unvermögend, oder aber man läßt sich von
derartigen Gedanken überhaupt das Herz nicht viel be-
schweren. Ist es doch eine gemeine Erfahrung, daß
Leute, die auf einer niedrigen Stufe der Geisteskultur
stehen, sich von den kleinen Sorgen des Daseins weit
mehr bedrückt fühlen als von den großen geistigen
Feinden der Menschheit. Und doch kann auch einem
Heiden das Gewissen schlagen, oder, daß ich es besser
sage, auch ein Heide fürchtet zuweilen, für begangenes
Unrecht von der Gottheit bestraft zu werden; und da
das Fegefeuer für den Heiden eine ebensowenig tröstliche
Aussicht ist wie für den Katholiken, so macht er es
gerade wie der Katholik zu Tetzels Zeiten: Er geht
zum Priester und kauft sich ein o fuda, diesmal einen
richtigen Ablaßzettel, der gegen diese oder jene Geld-

Und wie man es auch in höher ſtehenden Religionen
fertig gebracht hat, heiliges Waſſer und heilige Erde
zu verkaufen, welche für das gemeine Volk ſofort zu
Zaubermitteln werden, ſo macht man auch hier mit
heiligem Waſſer, heiligem Sand und anderem mehr
gute Geſchäfte. Beſonders ſind es die alten Sekten
Tendai und Shingon, welche dieſe Auswüchſe des Aber-
glaubens kultivieren, und wenn es auch kaum noch einen
Prieſter giebt, der ſelbſt an die Zauberkraft des ō fuda
glaubt, ſo iſt doch auch hier das tröſtliche Bewußtſein
„pecunia non olet“ ſtärker als alle etwaigen Gewiſſens-
ſkrupel.

Immer aber ſind es kleine Anliegen und alltägliche
Sorgen, welche die Gläubigen auf dem Herzen haben,
ſowohl bei den ō fuda und Amuletten als bei der An-
betung der Götzen. Daß der hotoke auch in den großen
Nöten des Lebens, in der Angſt des Gewiſſens und in
der Nacht des Todes helfen könne, dazu hält man ihn
entweder für unvermögend, oder aber man läßt ſich von
derartigen Gedanken überhaupt das Herz nicht viel be-
ſchweren. Iſt es doch eine gemeine Erfahrung, daß
Leute, die auf einer niedrigen Stufe der Geiſteskultur
ſtehen, ſich von den kleinen Sorgen des Daſeins weit
mehr bedrückt fühlen als von den großen geiſtigen
Feinden der Menſchheit. Und doch kann auch einem
Heiden das Gewiſſen ſchlagen, oder, daß ich es beſſer
ſage, auch ein Heide fürchtet zuweilen, für begangenes
Unrecht von der Gottheit beſtraft zu werden; und da
das Fegefeuer für den Heiden eine ebenſowenig tröſtliche
Ausſicht iſt wie für den Katholiken, ſo macht er es
gerade wie der Katholik zu Tetzels Zeiten: Er geht
zum Prieſter und kauft ſich ein ō fuda, diesmal einen
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[242/0256] Und wie man es auch in höher ſtehenden Religionen fertig gebracht hat, heiliges Waſſer und heilige Erde zu verkaufen, welche für das gemeine Volk ſofort zu Zaubermitteln werden, ſo macht man auch hier mit heiligem Waſſer, heiligem Sand und anderem mehr gute Geſchäfte. Beſonders ſind es die alten Sekten Tendai und Shingon, welche dieſe Auswüchſe des Aber- glaubens kultivieren, und wenn es auch kaum noch einen Prieſter giebt, der ſelbſt an die Zauberkraft des ō fuda glaubt, ſo iſt doch auch hier das tröſtliche Bewußtſein „pecunia non olet“ ſtärker als alle etwaigen Gewiſſens- ſkrupel. Immer aber ſind es kleine Anliegen und alltägliche Sorgen, welche die Gläubigen auf dem Herzen haben, ſowohl bei den ō fuda und Amuletten als bei der An- betung der Götzen. Daß der hotoke auch in den großen Nöten des Lebens, in der Angſt des Gewiſſens und in der Nacht des Todes helfen könne, dazu hält man ihn entweder für unvermögend, oder aber man läßt ſich von derartigen Gedanken überhaupt das Herz nicht viel be- ſchweren. Iſt es doch eine gemeine Erfahrung, daß Leute, die auf einer niedrigen Stufe der Geiſteskultur ſtehen, ſich von den kleinen Sorgen des Daſeins weit mehr bedrückt fühlen als von den großen geiſtigen Feinden der Menſchheit. Und doch kann auch einem Heiden das Gewiſſen ſchlagen, oder, daß ich es beſſer ſage, auch ein Heide fürchtet zuweilen, für begangenes Unrecht von der Gottheit beſtraft zu werden; und da das Fegefeuer für den Heiden eine ebenſowenig tröſtliche Ausſicht iſt wie für den Katholiken, ſo macht er es gerade wie der Katholik zu Tetzels Zeiten: Er geht zum Prieſter und kauft ſich ein ō fuda, diesmal einen richtigen Ablaßzettel, der gegen dieſe oder jene Geld-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/256>, abgerufen am 23.11.2024.