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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Menschen hören konnte, um ihnen beistehen zu können
in ihrer Not. Sie wird zuweilen dargestellt mit meh-
reren Köpfen, fast immer aber mit einer großen Anzahl,
eigentlich tausend, Händen. Das sieht sich zwar sonder-
bar genug an; aber es ist doch ein schöner Zug, welchen
das Heidentum hier aufweist: Die Göttin der Barm-
herzigkeit streckt den auf dem flutenden Ocean des Lebens
treibenden Menschen tausend Hände entgegen, um sie
an das rettende Ufer zu bringen.

Der praktische Buddhismus geht in der Götzen-
anbetung nicht auf; der ganze Apparat von Aberglauben,
welcher sich an andern Orten als eine unvermeidliche
Beigabe des Heidentums erweist, findet sich auch hier.
Mancher, der dem Gotte seine Verehrung bezeugt hat,
geht darnach zum Priester hin, um sich ein "o fuda"
zu kaufen. Das o fuda (fuda = Karte; o ist Respekts-
partikel) ist ein Kärtchen, auf welchem in der heiligen
Bonjischrift geheimnisvolle Charaktere gemalt sind,
während unten zur Beglaubigung das große Siegel
des Tempels angebracht ist. Das o fuda enthält einen
Zauber, und zwar kann man einen Zauber bekommen
gegen alles Mögliche und noch einiges mehr, je nach
Wunsch. Das eine hilft gegen Cholera, das andere
gegen die Pocken, ein drittes bringt Glück in den Haus-
halt, ein anderes verhilft zu langem Leben und wieder
eines bannt die gefürchteten "oni", die bösen Geister,
vom Hause, solange es in demselben aufbewahrt wird,
gleichwie nach christlichem Aberglauben der Teufel kehrt
macht vor der Hausthür, auf welcher ein Kreuz ge-
zeichnet ist. Es giebt große und kleine, billige und
teuere o fuda.

Von den o fuda bis zu Amuletten aller Art ist
nur ein kleiner Schritt -- überall und so auch hier.

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Menſchen hören konnte, um ihnen beiſtehen zu können
in ihrer Not. Sie wird zuweilen dargeſtellt mit meh-
reren Köpfen, faſt immer aber mit einer großen Anzahl,
eigentlich tauſend, Händen. Das ſieht ſich zwar ſonder-
bar genug an; aber es iſt doch ein ſchöner Zug, welchen
das Heidentum hier aufweiſt: Die Göttin der Barm-
herzigkeit ſtreckt den auf dem flutenden Ocean des Lebens
treibenden Menſchen tauſend Hände entgegen, um ſie
an das rettende Ufer zu bringen.

Der praktiſche Buddhismus geht in der Götzen-
anbetung nicht auf; der ganze Apparat von Aberglauben,
welcher ſich an andern Orten als eine unvermeidliche
Beigabe des Heidentums erweiſt, findet ſich auch hier.
Mancher, der dem Gotte ſeine Verehrung bezeugt hat,
geht darnach zum Prieſter hin, um ſich ein „ō fuda“
zu kaufen. Das ō fuda (fuda = Karte; ō iſt Reſpekts-
partikel) iſt ein Kärtchen, auf welchem in der heiligen
Bonjiſchrift geheimnisvolle Charaktere gemalt ſind,
während unten zur Beglaubigung das große Siegel
des Tempels angebracht iſt. Das ō fuda enthält einen
Zauber, und zwar kann man einen Zauber bekommen
gegen alles Mögliche und noch einiges mehr, je nach
Wunſch. Das eine hilft gegen Cholera, das andere
gegen die Pocken, ein drittes bringt Glück in den Haus-
halt, ein anderes verhilft zu langem Leben und wieder
eines bannt die gefürchteten „oni“, die böſen Geiſter,
vom Hauſe, ſolange es in demſelben aufbewahrt wird,
gleichwie nach chriſtlichem Aberglauben der Teufel kehrt
macht vor der Hausthür, auf welcher ein Kreuz ge-
zeichnet iſt. Es giebt große und kleine, billige und
teuere ō fuda.

Von den ō fuda bis zu Amuletten aller Art iſt
nur ein kleiner Schritt — überall und ſo auch hier.

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[241/0255] Menſchen hören konnte, um ihnen beiſtehen zu können in ihrer Not. Sie wird zuweilen dargeſtellt mit meh- reren Köpfen, faſt immer aber mit einer großen Anzahl, eigentlich tauſend, Händen. Das ſieht ſich zwar ſonder- bar genug an; aber es iſt doch ein ſchöner Zug, welchen das Heidentum hier aufweiſt: Die Göttin der Barm- herzigkeit ſtreckt den auf dem flutenden Ocean des Lebens treibenden Menſchen tauſend Hände entgegen, um ſie an das rettende Ufer zu bringen. Der praktiſche Buddhismus geht in der Götzen- anbetung nicht auf; der ganze Apparat von Aberglauben, welcher ſich an andern Orten als eine unvermeidliche Beigabe des Heidentums erweiſt, findet ſich auch hier. Mancher, der dem Gotte ſeine Verehrung bezeugt hat, geht darnach zum Prieſter hin, um ſich ein „ō fuda“ zu kaufen. Das ō fuda (fuda = Karte; ō iſt Reſpekts- partikel) iſt ein Kärtchen, auf welchem in der heiligen Bonjiſchrift geheimnisvolle Charaktere gemalt ſind, während unten zur Beglaubigung das große Siegel des Tempels angebracht iſt. Das ō fuda enthält einen Zauber, und zwar kann man einen Zauber bekommen gegen alles Mögliche und noch einiges mehr, je nach Wunſch. Das eine hilft gegen Cholera, das andere gegen die Pocken, ein drittes bringt Glück in den Haus- halt, ein anderes verhilft zu langem Leben und wieder eines bannt die gefürchteten „oni“, die böſen Geiſter, vom Hauſe, ſolange es in demſelben aufbewahrt wird, gleichwie nach chriſtlichem Aberglauben der Teufel kehrt macht vor der Hausthür, auf welcher ein Kreuz ge- zeichnet iſt. Es giebt große und kleine, billige und teuere ō fuda. Von den ō fuda bis zu Amuletten aller Art iſt nur ein kleiner Schritt — überall und ſo auch hier. 16

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/255>, abgerufen am 01.06.2024.