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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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in der Hand neben den reinen Quellen der Religion
steht und den Schutt und Unrat, der in dem achtlosen
Getriebe des Alltags massenhaft darauf herunterfällt,
sorgsam wegschaufelt und die Quellen in krystallheller
Klarheit immer aufs neue wieder bloßlegt. Bei dem
Buddhismus sind diese Quellen gänzlich verschüttet, und
wer das buddhistische Treiben der Gegenwart in Japan
mit eigenen Augen gesehen hat, der weiß, daß jene
Buddhapriester eine glückliche Stunde der Selbster-
kenntnis hatten, als sie erklärten, wenn Shaka heute
wieder zur Erde käme, würde er in dem heutigen Zerr-
bild des Buddhismus seine Lehre nicht wieder erkennen.
Wenn es schon von allen Religionen gilt, daß sie von
der Höhe ihrer Stifter bedeutend herabsanken, so gilt das
vielleicht von keiner so sehr wie von dem Buddhismus.

Eine wahrheitsgetreue Schilderung des japanischen
Buddhismus klingt geradezu lächerlich. Wenn man in
einen recht populären "tera" eintritt, wie z. B. in den
Asakusatempel in Tokyo, so sieht man vor lauter Götzen-
bildern keinen Tempel mehr. Da stehen sie, eines neben
dem andern, eines grotesker als das andere. Im An-
fang als ich hinüber kam, dachte ich idealistisch hoch
auch noch vom Götzendienst. Die Heiden, so meinte ich,
beten doch gewiß nicht zu dem Holz oder Stein oder
Metall, daraus der Götze gefertigt ist; sie beten vielmehr
den Geist an, den sie dahinter sich denken. Mir schwebte
dabei dunkel etwas vor wie von der Anbetung des un-
bekannten Gottes. Es hat mir leid genug gethan, als
ich bald schon von dieser Ansicht zurückkommen mußte.
Es ist ein ganz stumpfsinniges, gedankenloses Anbeten
der Materie, das sie verrichten; an einen Geist, der da-
hinter steht, denken sie nicht.

Man urteilt in weiten Kreisen der Christenheit

in der Hand neben den reinen Quellen der Religion
ſteht und den Schutt und Unrat, der in dem achtloſen
Getriebe des Alltags maſſenhaft darauf herunterfällt,
ſorgſam wegſchaufelt und die Quellen in kryſtallheller
Klarheit immer aufs neue wieder bloßlegt. Bei dem
Buddhismus ſind dieſe Quellen gänzlich verſchüttet, und
wer das buddhiſtiſche Treiben der Gegenwart in Japan
mit eigenen Augen geſehen hat, der weiß, daß jene
Buddhaprieſter eine glückliche Stunde der Selbſter-
kenntnis hatten, als ſie erklärten, wenn Shaka heute
wieder zur Erde käme, würde er in dem heutigen Zerr-
bild des Buddhismus ſeine Lehre nicht wieder erkennen.
Wenn es ſchon von allen Religionen gilt, daß ſie von
der Höhe ihrer Stifter bedeutend herabſanken, ſo gilt das
vielleicht von keiner ſo ſehr wie von dem Buddhismus.

Eine wahrheitsgetreue Schilderung des japaniſchen
Buddhismus klingt geradezu lächerlich. Wenn man in
einen recht populären „tera“ eintritt, wie z. B. in den
Aſakuſatempel in Tokyo, ſo ſieht man vor lauter Götzen-
bildern keinen Tempel mehr. Da ſtehen ſie, eines neben
dem andern, eines grotesker als das andere. Im An-
fang als ich hinüber kam, dachte ich idealiſtiſch hoch
auch noch vom Götzendienſt. Die Heiden, ſo meinte ich,
beten doch gewiß nicht zu dem Holz oder Stein oder
Metall, daraus der Götze gefertigt iſt; ſie beten vielmehr
den Geiſt an, den ſie dahinter ſich denken. Mir ſchwebte
dabei dunkel etwas vor wie von der Anbetung des un-
bekannten Gottes. Es hat mir leid genug gethan, als
ich bald ſchon von dieſer Anſicht zurückkommen mußte.
Es iſt ein ganz ſtumpfſinniges, gedankenloſes Anbeten
der Materie, das ſie verrichten; an einen Geiſt, der da-
hinter ſteht, denken ſie nicht.

Man urteilt in weiten Kreiſen der Chriſtenheit

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[235/0249] in der Hand neben den reinen Quellen der Religion ſteht und den Schutt und Unrat, der in dem achtloſen Getriebe des Alltags maſſenhaft darauf herunterfällt, ſorgſam wegſchaufelt und die Quellen in kryſtallheller Klarheit immer aufs neue wieder bloßlegt. Bei dem Buddhismus ſind dieſe Quellen gänzlich verſchüttet, und wer das buddhiſtiſche Treiben der Gegenwart in Japan mit eigenen Augen geſehen hat, der weiß, daß jene Buddhaprieſter eine glückliche Stunde der Selbſter- kenntnis hatten, als ſie erklärten, wenn Shaka heute wieder zur Erde käme, würde er in dem heutigen Zerr- bild des Buddhismus ſeine Lehre nicht wieder erkennen. Wenn es ſchon von allen Religionen gilt, daß ſie von der Höhe ihrer Stifter bedeutend herabſanken, ſo gilt das vielleicht von keiner ſo ſehr wie von dem Buddhismus. Eine wahrheitsgetreue Schilderung des japaniſchen Buddhismus klingt geradezu lächerlich. Wenn man in einen recht populären „tera“ eintritt, wie z. B. in den Aſakuſatempel in Tokyo, ſo ſieht man vor lauter Götzen- bildern keinen Tempel mehr. Da ſtehen ſie, eines neben dem andern, eines grotesker als das andere. Im An- fang als ich hinüber kam, dachte ich idealiſtiſch hoch auch noch vom Götzendienſt. Die Heiden, ſo meinte ich, beten doch gewiß nicht zu dem Holz oder Stein oder Metall, daraus der Götze gefertigt iſt; ſie beten vielmehr den Geiſt an, den ſie dahinter ſich denken. Mir ſchwebte dabei dunkel etwas vor wie von der Anbetung des un- bekannten Gottes. Es hat mir leid genug gethan, als ich bald ſchon von dieſer Anſicht zurückkommen mußte. Es iſt ein ganz ſtumpfſinniges, gedankenloſes Anbeten der Materie, das ſie verrichten; an einen Geiſt, der da- hinter ſteht, denken ſie nicht. Man urteilt in weiten Kreiſen der Chriſtenheit

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/249>, abgerufen am 25.11.2024.