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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Symbol seines Nirwana finden konnte, als das ruhende
Lotusblatt auf dem unbewegten Gewässer.

Buddha kennt weder Gott noch Erlöser. Da ist
niemand, der dem armen Menschen beisteht, zum Nir-
wana kommt er nur aus eigner Kraft. Daß er es aber
vermag, das hat Buddha an seinem eigenen Beispiel
gezeigt. Er, der doch auch nichts war als ein Sterb-
licher, und der durch nicht weniger als fünfhundert
fünfzig Transmigrationen hindurch gegangen war, ehe
er in das Nirwana einging, ist Wegweiser für seine
Nachfolger geworden.

Die Moral des Buddhismus ist entsprechend der
ganzen Lehre eine negative. Das mosaische "du sollst
nicht" charakterisiert auch diese Sittenlehre, und das
Grundgebot lautet: "Du sollst deiner ,Begierde' nicht
nachgeben". Dieses Gebot wurde spezialisiert in die
fünf sogen. Hauptgebote: 1. Du sollst nicht stehlen;
2. du sollst nicht lügen; 3. du sollst nicht unmäßig sein;
4. du sollst nicht töten; 5. du sollst nicht ehebrechen.
Aber auf dieser breiten Grundlage schuf der Buddhis-
mus später ein dem milden Geiste seines Stifters ent-
sprechendes hochstehendes Moralsystem, und es muß ihm
zum Ruhm nachgesagt werden, daß er nicht nur die
groben Sünden strenge verbot, sondern auch großes
Gewicht auf die Bekämpfung der feineren Sünden wie
Stolz, Trotz, Ungeduld, Zorn, Neid, Habsucht legte.
Die Wiedergeburt soll die genaue Frucht der vorher-
gehenden Thaten sein. "Was der Mensch säet, das
wird er ernten", das ist das Gesetz, das mit unerbitt-
licher, durch keine Gnade gemilderter Strenge durch die
sittliche Welt hindurchgeht und Sünde und Strafe wie
Ursache und Wirkung in regelrechter Folge miteinander
unlöslich verkettet. Aus Gutem wird Gutes geboren

Symbol ſeines Nirwana finden konnte, als das ruhende
Lotusblatt auf dem unbewegten Gewäſſer.

Buddha kennt weder Gott noch Erlöſer. Da iſt
niemand, der dem armen Menſchen beiſteht, zum Nir-
wana kommt er nur aus eigner Kraft. Daß er es aber
vermag, das hat Buddha an ſeinem eigenen Beiſpiel
gezeigt. Er, der doch auch nichts war als ein Sterb-
licher, und der durch nicht weniger als fünfhundert
fünfzig Transmigrationen hindurch gegangen war, ehe
er in das Nirwana einging, iſt Wegweiſer für ſeine
Nachfolger geworden.

Die Moral des Buddhismus iſt entſprechend der
ganzen Lehre eine negative. Das moſaiſche „du ſollſt
nicht“ charakteriſiert auch dieſe Sittenlehre, und das
Grundgebot lautet: „Du ſollſt deiner ‚Begierde‘ nicht
nachgeben“. Dieſes Gebot wurde ſpezialiſiert in die
fünf ſogen. Hauptgebote: 1. Du ſollſt nicht ſtehlen;
2. du ſollſt nicht lügen; 3. du ſollſt nicht unmäßig ſein;
4. du ſollſt nicht töten; 5. du ſollſt nicht ehebrechen.
Aber auf dieſer breiten Grundlage ſchuf der Buddhis-
mus ſpäter ein dem milden Geiſte ſeines Stifters ent-
ſprechendes hochſtehendes Moralſyſtem, und es muß ihm
zum Ruhm nachgeſagt werden, daß er nicht nur die
groben Sünden ſtrenge verbot, ſondern auch großes
Gewicht auf die Bekämpfung der feineren Sünden wie
Stolz, Trotz, Ungeduld, Zorn, Neid, Habſucht legte.
Die Wiedergeburt ſoll die genaue Frucht der vorher-
gehenden Thaten ſein. „Was der Menſch ſäet, das
wird er ernten“, das iſt das Geſetz, das mit unerbitt-
licher, durch keine Gnade gemilderter Strenge durch die
ſittliche Welt hindurchgeht und Sünde und Strafe wie
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[221/0235] Symbol ſeines Nirwana finden konnte, als das ruhende Lotusblatt auf dem unbewegten Gewäſſer. Buddha kennt weder Gott noch Erlöſer. Da iſt niemand, der dem armen Menſchen beiſteht, zum Nir- wana kommt er nur aus eigner Kraft. Daß er es aber vermag, das hat Buddha an ſeinem eigenen Beiſpiel gezeigt. Er, der doch auch nichts war als ein Sterb- licher, und der durch nicht weniger als fünfhundert fünfzig Transmigrationen hindurch gegangen war, ehe er in das Nirwana einging, iſt Wegweiſer für ſeine Nachfolger geworden. Die Moral des Buddhismus iſt entſprechend der ganzen Lehre eine negative. Das moſaiſche „du ſollſt nicht“ charakteriſiert auch dieſe Sittenlehre, und das Grundgebot lautet: „Du ſollſt deiner ‚Begierde‘ nicht nachgeben“. Dieſes Gebot wurde ſpezialiſiert in die fünf ſogen. Hauptgebote: 1. Du ſollſt nicht ſtehlen; 2. du ſollſt nicht lügen; 3. du ſollſt nicht unmäßig ſein; 4. du ſollſt nicht töten; 5. du ſollſt nicht ehebrechen. Aber auf dieſer breiten Grundlage ſchuf der Buddhis- mus ſpäter ein dem milden Geiſte ſeines Stifters ent- ſprechendes hochſtehendes Moralſyſtem, und es muß ihm zum Ruhm nachgeſagt werden, daß er nicht nur die groben Sünden ſtrenge verbot, ſondern auch großes Gewicht auf die Bekämpfung der feineren Sünden wie Stolz, Trotz, Ungeduld, Zorn, Neid, Habſucht legte. Die Wiedergeburt ſoll die genaue Frucht der vorher- gehenden Thaten ſein. „Was der Menſch ſäet, das wird er ernten“, das iſt das Geſetz, das mit unerbitt- licher, durch keine Gnade gemilderter Strenge durch die ſittliche Welt hindurchgeht und Sünde und Strafe wie Urſache und Wirkung in regelrechter Folge miteinander unlöslich verkettet. Aus Gutem wird Gutes geboren

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/235>, abgerufen am 17.05.2024.