deutsche Seesoldaten in Ostasien, doch finden in ihm auch private Kranke gegen Bezahlung Aufnahme. An der Spitze steht ein Marinestabsarzt; ein deutscher Lazarettinspektor und zwei deutsche Lazarettgehilfen sind ihm beigegeben. An dem Gebäude waren infolge des vorerwähnten Erdbebens die Kamine eingefallen, und es war unheimlich genug zu hören, wie dieselben nun wieder ausgebessert wurden. Da, in einer Nacht um elf Uhr, kam wieder ein ziemlich starkes Erdbeben. Alle Kranke, soweit sie nur noch kriechen konnten, machten sich flugs aus ihren Betten und so rasch wie möglich hinaus in das Freie. Ich aber konnte weder gehen noch kriechen, hilflos preisgegeben der rücksichts- losen Naturgewalt lag ich da. Zwar ging alles gnädig ab, aber von Stund an war ich nervös gegen Erd- beben.
Man sieht, ein Erdbeben ist gerade kein Spaß, aber wer einmal in Japan gewesen ist, der möchte auch gern eines erlebt haben. So ging es auch einem Marinepfarrer, welcher vor einigen Jahren mit einem deutschen Geschwader nach Yokohama kam. Sein Sehnen nach einem Erdbeben sollte bald gestillt wer- den. Eines Sonntags vertrat er den deutschen Geist- lichen in unserer evangelischen Gemeinde zu Tokyo. Eine stattliche Persönlichkeit, groß und stark, welcher der Lebensmut aus den Augen leuchtete, der man es ansah, daß schon mancher Sturm über sie hin- weggebraust war! Mit kräftiger Stimme hob er an, und es paßte trefflich zu dem ganzen Mann, als er die tapferen Worte sprach: "Der Christ fürchtet sich nicht, ob auch Berge weichen und Hügel hinfallen". Da mit einem Mal, mitten in der Predigt drin, be- gann es unter seinen Füßen dumpf zu rollen, die Erde
deutſche Seeſoldaten in Oſtaſien, doch finden in ihm auch private Kranke gegen Bezahlung Aufnahme. An der Spitze ſteht ein Marineſtabsarzt; ein deutſcher Lazarettinſpektor und zwei deutſche Lazarettgehilfen ſind ihm beigegeben. An dem Gebäude waren infolge des vorerwähnten Erdbebens die Kamine eingefallen, und es war unheimlich genug zu hören, wie dieſelben nun wieder ausgebeſſert wurden. Da, in einer Nacht um elf Uhr, kam wieder ein ziemlich ſtarkes Erdbeben. Alle Kranke, ſoweit ſie nur noch kriechen konnten, machten ſich flugs aus ihren Betten und ſo raſch wie möglich hinaus in das Freie. Ich aber konnte weder gehen noch kriechen, hilflos preisgegeben der rückſichts- loſen Naturgewalt lag ich da. Zwar ging alles gnädig ab, aber von Stund an war ich nervös gegen Erd- beben.
Man ſieht, ein Erdbeben iſt gerade kein Spaß, aber wer einmal in Japan geweſen iſt, der möchte auch gern eines erlebt haben. So ging es auch einem Marinepfarrer, welcher vor einigen Jahren mit einem deutſchen Geſchwader nach Yokohama kam. Sein Sehnen nach einem Erdbeben ſollte bald geſtillt wer- den. Eines Sonntags vertrat er den deutſchen Geiſt- lichen in unſerer evangeliſchen Gemeinde zu Tokyo. Eine ſtattliche Perſönlichkeit, groß und ſtark, welcher der Lebensmut aus den Augen leuchtete, der man es anſah, daß ſchon mancher Sturm über ſie hin- weggebrauſt war! Mit kräftiger Stimme hob er an, und es paßte trefflich zu dem ganzen Mann, als er die tapferen Worte ſprach: „Der Chriſt fürchtet ſich nicht, ob auch Berge weichen und Hügel hinfallen“. Da mit einem Mal, mitten in der Predigt drin, be- gann es unter ſeinen Füßen dumpf zu rollen, die Erde
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deutſche Seeſoldaten in Oſtaſien, doch finden in ihm
auch private Kranke gegen Bezahlung Aufnahme. An
der Spitze ſteht ein Marineſtabsarzt; ein deutſcher
Lazarettinſpektor und zwei deutſche Lazarettgehilfen ſind
ihm beigegeben. An dem Gebäude waren infolge des
vorerwähnten Erdbebens die Kamine eingefallen, und
es war unheimlich genug zu hören, wie dieſelben nun
wieder ausgebeſſert wurden. Da, in einer Nacht um
elf Uhr, kam wieder ein ziemlich ſtarkes Erdbeben.
Alle Kranke, ſoweit ſie nur noch kriechen konnten,
machten ſich flugs aus ihren Betten und ſo raſch wie
möglich hinaus in das Freie. Ich aber konnte weder
gehen noch kriechen, hilflos preisgegeben der rückſichts-
loſen Naturgewalt lag ich da. Zwar ging alles gnädig
ab, aber von Stund an war ich nervös gegen Erd-
beben.
Man ſieht, ein Erdbeben iſt gerade kein Spaß,
aber wer einmal in Japan geweſen iſt, der möchte
auch gern eines erlebt haben. So ging es auch einem
Marinepfarrer, welcher vor einigen Jahren mit einem
deutſchen Geſchwader nach Yokohama kam. Sein
Sehnen nach einem Erdbeben ſollte bald geſtillt wer-
den. Eines Sonntags vertrat er den deutſchen Geiſt-
lichen in unſerer evangeliſchen Gemeinde zu Tokyo.
Eine ſtattliche Perſönlichkeit, groß und ſtark, welcher
der Lebensmut aus den Augen leuchtete, der man
es anſah, daß ſchon mancher Sturm über ſie hin-
weggebrauſt war! Mit kräftiger Stimme hob er an,
und es paßte trefflich zu dem ganzen Mann, als
er die tapferen Worte ſprach: „Der Chriſt fürchtet
ſich nicht, ob auch Berge weichen und Hügel hinfallen“.
Da mit einem Mal, mitten in der Predigt drin, be-
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/23>, abgerufen am 24.11.2024.
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