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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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die modernisierten Katheder zu besetzen; man hat den
Versuch vor noch nicht vielen Jahren gemacht, und die
altmodischen Herren nahmen sich komisch genug aus
vor Klassen von frischen Jünglingen, deren Köpfe mit
den neuesten naturwissenschaftlichen Problemen beschäftigt
waren. Der Versuch scheiterte kläglich. Als wissen-
schaftliches System ist der Konfuzianismus überwunden,
aber als Weltanschauung wirkt er fort. Und ob man
sich heute auch mit Vorliebe auf europäische Autoritäten
beruft und die Schlagwörter des modernen Materialis-
mus im Munde führt, so ist ihm doch das gebildete
Japan nach wie vor unterworfen. Es ist der Stand-
punkt der Halbbildung, welche jede Religion als Aber-
glauben belächelt und in der Verachtung der Religion
den Erweis wahrer Bildung erblickt. Der Thatsache,
daß die europäischen Völker religiös sind, steht man
skeptisch gegenüber. Man erblickt darin eine Mache
der Regierungen, welchen die Religion und ihre Priester
einen bequemen und wirksamen Polizeistock böten.
Europäer und Chinesen mögen sich am Gängelband
herumführen lassen, aber eine Nation von der sittlichen
Kraft wie die japanische braucht sich solche Zuchtruten
nicht aufzubinden.

Geistreiche moderne Theorien und plumpe bäuer-
liche Absurditäten, beides bekommt man als Urteile des
gebildeten Japan über Religion zu hören. Ganz im
Sinne des modernisierten Konfuzianismus lautet eine
Äußerung, welche der hochangesehene frühere Rektor
der Universität Kato, welcher sich auf seine deutsche
philosophische Belesenheit nicht wenig zu gute thut, erst
kürzlich gemacht hat. "Die Auswahl einer Religion",
so sagt er, "welche der Zeit, in der wir leben, entspricht,
ist eine Aufgabe, welche nur Philosophen lösen können.

die moderniſierten Katheder zu beſetzen; man hat den
Verſuch vor noch nicht vielen Jahren gemacht, und die
altmodiſchen Herren nahmen ſich komiſch genug aus
vor Klaſſen von friſchen Jünglingen, deren Köpfe mit
den neueſten naturwiſſenſchaftlichen Problemen beſchäftigt
waren. Der Verſuch ſcheiterte kläglich. Als wiſſen-
ſchaftliches Syſtem iſt der Konfuzianismus überwunden,
aber als Weltanſchauung wirkt er fort. Und ob man
ſich heute auch mit Vorliebe auf europäiſche Autoritäten
beruft und die Schlagwörter des modernen Materialis-
mus im Munde führt, ſo iſt ihm doch das gebildete
Japan nach wie vor unterworfen. Es iſt der Stand-
punkt der Halbbildung, welche jede Religion als Aber-
glauben belächelt und in der Verachtung der Religion
den Erweis wahrer Bildung erblickt. Der Thatſache,
daß die europäiſchen Völker religiös ſind, ſteht man
ſkeptiſch gegenüber. Man erblickt darin eine Mache
der Regierungen, welchen die Religion und ihre Prieſter
einen bequemen und wirkſamen Polizeiſtock böten.
Europäer und Chineſen mögen ſich am Gängelband
herumführen laſſen, aber eine Nation von der ſittlichen
Kraft wie die japaniſche braucht ſich ſolche Zuchtruten
nicht aufzubinden.

Geiſtreiche moderne Theorien und plumpe bäuer-
liche Abſurditäten, beides bekommt man als Urteile des
gebildeten Japan über Religion zu hören. Ganz im
Sinne des moderniſierten Konfuzianismus lautet eine
Äußerung, welche der hochangeſehene frühere Rektor
der Univerſität Kato, welcher ſich auf ſeine deutſche
philoſophiſche Beleſenheit nicht wenig zu gute thut, erſt
kürzlich gemacht hat. „Die Auswahl einer Religion“,
ſo ſagt er, „welche der Zeit, in der wir leben, entſpricht,
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[189/0203] die moderniſierten Katheder zu beſetzen; man hat den Verſuch vor noch nicht vielen Jahren gemacht, und die altmodiſchen Herren nahmen ſich komiſch genug aus vor Klaſſen von friſchen Jünglingen, deren Köpfe mit den neueſten naturwiſſenſchaftlichen Problemen beſchäftigt waren. Der Verſuch ſcheiterte kläglich. Als wiſſen- ſchaftliches Syſtem iſt der Konfuzianismus überwunden, aber als Weltanſchauung wirkt er fort. Und ob man ſich heute auch mit Vorliebe auf europäiſche Autoritäten beruft und die Schlagwörter des modernen Materialis- mus im Munde führt, ſo iſt ihm doch das gebildete Japan nach wie vor unterworfen. Es iſt der Stand- punkt der Halbbildung, welche jede Religion als Aber- glauben belächelt und in der Verachtung der Religion den Erweis wahrer Bildung erblickt. Der Thatſache, daß die europäiſchen Völker religiös ſind, ſteht man ſkeptiſch gegenüber. Man erblickt darin eine Mache der Regierungen, welchen die Religion und ihre Prieſter einen bequemen und wirkſamen Polizeiſtock böten. Europäer und Chineſen mögen ſich am Gängelband herumführen laſſen, aber eine Nation von der ſittlichen Kraft wie die japaniſche braucht ſich ſolche Zuchtruten nicht aufzubinden. Geiſtreiche moderne Theorien und plumpe bäuer- liche Abſurditäten, beides bekommt man als Urteile des gebildeten Japan über Religion zu hören. Ganz im Sinne des moderniſierten Konfuzianismus lautet eine Äußerung, welche der hochangeſehene frühere Rektor der Univerſität Kato, welcher ſich auf ſeine deutſche philoſophiſche Beleſenheit nicht wenig zu gute thut, erſt kürzlich gemacht hat. „Die Auswahl einer Religion“, ſo ſagt er, „welche der Zeit, in der wir leben, entſpricht, iſt eine Aufgabe, welche nur Philoſophen löſen können.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/203>, abgerufen am 22.11.2024.