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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Macht in die Hände fiele. Japan ist als Staat eine
große Macht, gefährlich als Feind, begehrenswert als
Bundesgenosse.

Es ist demnach ein moderner Staat, mit dem wir
es hier zu thun haben. Und darum ist es auch recht
und billig, daß man ihm durch den Abschluß neuer
Verträge auf der Grundlage der Gleichberechtigung als
modernen Staat anerkannt hat. Es ist ein großes
Unrecht, Japan als Staat unter die anderen asiatischen
Mächte einzureihen. Insbesondere dürfte man Japan
und China als Völker und Staaten nicht zusammen in
einem Atemzug aussprechen, ausgenommen gegensätzlich.
Als einzelner mag der Chinese dem Japaner in manchem
überlegen sein, aber als Völker spotten die beiden jeden
Vergleiches. Der Chinese hat wohl eine Heimat, und
er hat ein sehr starkes Gefühl für dieselbe. Aber ein
Vaterland hat er nicht. Das chinesische Reich ist ein
Konglomerat aus mehreren unter sich verschiedenen
Völkern, und nicht einmal der chinesische Zopf, das
gleiche fortschrittfeindliche Temperament, ist im stande,
die verschiedenen Elemente zusammenzubinden. Auf dem
Throne sitzt eine Dynastie, mit welcher der größte Teil
des Volkes keine Beziehung hat, die sich vielmehr auf
dem Wege der Gewalt aufdrängte. Da verliert der
alte Spruch: "Für König und Vaterland" vollständig
seine Bedeutung, und dafür sein Blut und Leben ein-
zusetzen, das kann Konfuzius unmöglich gewollt haben.
Anders der Japaner.

Ein einziges Beispiel soll das illustrieren. Es war
im Oktober 1894, also während des chinesischen Krieges,
als mich eine Missionsreise nach Osaka führte. Als ich
eines Morgens aus meinem halb europäischen, halb
japanischen Gasthaus heraustrat, fand ich die Straßen

Macht in die Hände fiele. Japan iſt als Staat eine
große Macht, gefährlich als Feind, begehrenswert als
Bundesgenoſſe.

Es iſt demnach ein moderner Staat, mit dem wir
es hier zu thun haben. Und darum iſt es auch recht
und billig, daß man ihm durch den Abſchluß neuer
Verträge auf der Grundlage der Gleichberechtigung als
modernen Staat anerkannt hat. Es iſt ein großes
Unrecht, Japan als Staat unter die anderen aſiatiſchen
Mächte einzureihen. Insbeſondere dürfte man Japan
und China als Völker und Staaten nicht zuſammen in
einem Atemzug ausſprechen, ausgenommen gegenſätzlich.
Als einzelner mag der Chineſe dem Japaner in manchem
überlegen ſein, aber als Völker ſpotten die beiden jeden
Vergleiches. Der Chineſe hat wohl eine Heimat, und
er hat ein ſehr ſtarkes Gefühl für dieſelbe. Aber ein
Vaterland hat er nicht. Das chineſiſche Reich iſt ein
Konglomerat aus mehreren unter ſich verſchiedenen
Völkern, und nicht einmal der chineſiſche Zopf, das
gleiche fortſchrittfeindliche Temperament, iſt im ſtande,
die verſchiedenen Elemente zuſammenzubinden. Auf dem
Throne ſitzt eine Dynaſtie, mit welcher der größte Teil
des Volkes keine Beziehung hat, die ſich vielmehr auf
dem Wege der Gewalt aufdrängte. Da verliert der
alte Spruch: „Für König und Vaterland“ vollſtändig
ſeine Bedeutung, und dafür ſein Blut und Leben ein-
zuſetzen, das kann Konfuzius unmöglich gewollt haben.
Anders der Japaner.

Ein einziges Beiſpiel ſoll das illuſtrieren. Es war
im Oktober 1894, alſo während des chineſiſchen Krieges,
als mich eine Miſſionsreiſe nach Oſaka führte. Als ich
eines Morgens aus meinem halb europäiſchen, halb
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[182/0196] Macht in die Hände fiele. Japan iſt als Staat eine große Macht, gefährlich als Feind, begehrenswert als Bundesgenoſſe. Es iſt demnach ein moderner Staat, mit dem wir es hier zu thun haben. Und darum iſt es auch recht und billig, daß man ihm durch den Abſchluß neuer Verträge auf der Grundlage der Gleichberechtigung als modernen Staat anerkannt hat. Es iſt ein großes Unrecht, Japan als Staat unter die anderen aſiatiſchen Mächte einzureihen. Insbeſondere dürfte man Japan und China als Völker und Staaten nicht zuſammen in einem Atemzug ausſprechen, ausgenommen gegenſätzlich. Als einzelner mag der Chineſe dem Japaner in manchem überlegen ſein, aber als Völker ſpotten die beiden jeden Vergleiches. Der Chineſe hat wohl eine Heimat, und er hat ein ſehr ſtarkes Gefühl für dieſelbe. Aber ein Vaterland hat er nicht. Das chineſiſche Reich iſt ein Konglomerat aus mehreren unter ſich verſchiedenen Völkern, und nicht einmal der chineſiſche Zopf, das gleiche fortſchrittfeindliche Temperament, iſt im ſtande, die verſchiedenen Elemente zuſammenzubinden. Auf dem Throne ſitzt eine Dynaſtie, mit welcher der größte Teil des Volkes keine Beziehung hat, die ſich vielmehr auf dem Wege der Gewalt aufdrängte. Da verliert der alte Spruch: „Für König und Vaterland“ vollſtändig ſeine Bedeutung, und dafür ſein Blut und Leben ein- zuſetzen, das kann Konfuzius unmöglich gewollt haben. Anders der Japaner. Ein einziges Beiſpiel ſoll das illuſtrieren. Es war im Oktober 1894, alſo während des chineſiſchen Krieges, als mich eine Miſſionsreiſe nach Oſaka führte. Als ich eines Morgens aus meinem halb europäiſchen, halb japaniſchen Gaſthaus heraustrat, fand ich die Straßen

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/196>, abgerufen am 24.11.2024.