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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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der sich Eintrittskarten verschafft hatte, einlud, mit
ihm einer Sitzung beizuwohnen. Ich kannte mich
damals noch nicht gut aus, und S. übernahm die
Führung. Wir fuhren in unsern Jinriksha eine halbe
Stunde lang durch die Straßen von Tokyo und kamen
schließlich an einen großen Häuserkomplex, der in vollen
Flammen stand. Der Anblick machte schon damals keinen
Eindruck mehr auf mich, da ich große Brände schon
einige Male gesehen hatte. Wir fuhren um die Brand-
stätte herum, und allmählich merkte ich, daß wir uns
wieder auf dem Heimwege befanden. Ich fragte S.
nach der Ursache. "Nun", sagte er, "das Parlament
brennt ja eben ab". So war es. Die radikalen
Parteien beschuldigten die Regierung, dieselbe habe die
Gebäude anstecken lassen, um die sie kompromittierenden
Akten los zu werden. Die Regierung aber gab die
Beschuldigung zurück. Bei diesem allgemeinen Durch-
einander sah es in der That aus, als sei der Versuch
einer konstitutionellen Regierung als gescheitert zu be-
trachten, zumal als das Parlament mehrmals nach ein-
ander aufgelöst und jedesmal unter bedeutender Nach-
hilfe der Knüttel und Fäuste der Soshi wieder gewählt
worden war. Daß aber trotzdem die Verfassung damals
nicht auseinander fiel, ist dem sehr starken Mechanismus
der Staatsmaschine zu verdanken, wie ihn ein groß-
artiges Organisationstalent in einander gefügt hatte.

Die Japaner sind organisatorisch hervorragend
veranlagt. Wenn der letzte Krieg mit China auch nach
vieler Leute Ansicht die rechte Feuerprobe für Japan
noch nicht gewesen ist, so steht doch eines seitdem fest:
Die vortreffliche Organisation, das In- und Miteinander-
arbeiten aller großen und kleinen Räder der japanischen
Maschine. Auch im kleinen und kleinsten ist das orga-

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der ſich Eintrittskarten verſchafft hatte, einlud, mit
ihm einer Sitzung beizuwohnen. Ich kannte mich
damals noch nicht gut aus, und S. übernahm die
Führung. Wir fuhren in unſern Jinrikſha eine halbe
Stunde lang durch die Straßen von Tokyo und kamen
ſchließlich an einen großen Häuſerkomplex, der in vollen
Flammen ſtand. Der Anblick machte ſchon damals keinen
Eindruck mehr auf mich, da ich große Brände ſchon
einige Male geſehen hatte. Wir fuhren um die Brand-
ſtätte herum, und allmählich merkte ich, daß wir uns
wieder auf dem Heimwege befanden. Ich fragte S.
nach der Urſache. „Nun“, ſagte er, „das Parlament
brennt ja eben ab“. So war es. Die radikalen
Parteien beſchuldigten die Regierung, dieſelbe habe die
Gebäude anſtecken laſſen, um die ſie kompromittierenden
Akten los zu werden. Die Regierung aber gab die
Beſchuldigung zurück. Bei dieſem allgemeinen Durch-
einander ſah es in der That aus, als ſei der Verſuch
einer konſtitutionellen Regierung als geſcheitert zu be-
trachten, zumal als das Parlament mehrmals nach ein-
ander aufgelöſt und jedesmal unter bedeutender Nach-
hilfe der Knüttel und Fäuſte der Soſhi wieder gewählt
worden war. Daß aber trotzdem die Verfaſſung damals
nicht auseinander fiel, iſt dem ſehr ſtarken Mechanismus
der Staatsmaſchine zu verdanken, wie ihn ein groß-
artiges Organiſationstalent in einander gefügt hatte.

Die Japaner ſind organiſatoriſch hervorragend
veranlagt. Wenn der letzte Krieg mit China auch nach
vieler Leute Anſicht die rechte Feuerprobe für Japan
noch nicht geweſen iſt, ſo ſteht doch eines ſeitdem feſt:
Die vortreffliche Organiſation, das In- und Miteinander-
arbeiten aller großen und kleinen Räder der japaniſchen
Maſchine. Auch im kleinen und kleinſten iſt das orga-

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[177/0191] der ſich Eintrittskarten verſchafft hatte, einlud, mit ihm einer Sitzung beizuwohnen. Ich kannte mich damals noch nicht gut aus, und S. übernahm die Führung. Wir fuhren in unſern Jinrikſha eine halbe Stunde lang durch die Straßen von Tokyo und kamen ſchließlich an einen großen Häuſerkomplex, der in vollen Flammen ſtand. Der Anblick machte ſchon damals keinen Eindruck mehr auf mich, da ich große Brände ſchon einige Male geſehen hatte. Wir fuhren um die Brand- ſtätte herum, und allmählich merkte ich, daß wir uns wieder auf dem Heimwege befanden. Ich fragte S. nach der Urſache. „Nun“, ſagte er, „das Parlament brennt ja eben ab“. So war es. Die radikalen Parteien beſchuldigten die Regierung, dieſelbe habe die Gebäude anſtecken laſſen, um die ſie kompromittierenden Akten los zu werden. Die Regierung aber gab die Beſchuldigung zurück. Bei dieſem allgemeinen Durch- einander ſah es in der That aus, als ſei der Verſuch einer konſtitutionellen Regierung als geſcheitert zu be- trachten, zumal als das Parlament mehrmals nach ein- ander aufgelöſt und jedesmal unter bedeutender Nach- hilfe der Knüttel und Fäuſte der Soſhi wieder gewählt worden war. Daß aber trotzdem die Verfaſſung damals nicht auseinander fiel, iſt dem ſehr ſtarken Mechanismus der Staatsmaſchine zu verdanken, wie ihn ein groß- artiges Organiſationstalent in einander gefügt hatte. Die Japaner ſind organiſatoriſch hervorragend veranlagt. Wenn der letzte Krieg mit China auch nach vieler Leute Anſicht die rechte Feuerprobe für Japan noch nicht geweſen iſt, ſo ſteht doch eines ſeitdem feſt: Die vortreffliche Organiſation, das In- und Miteinander- arbeiten aller großen und kleinen Räder der japaniſchen Maſchine. Auch im kleinen und kleinſten iſt das orga- 12

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/191>, abgerufen am 24.11.2024.