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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Häusern des Landes wäre es unmöglich, mit ihren jähr-
lichen Einkünften unter den teuren europäischen Ver-
hältnissen überhaupt zu bestehen. Und doch giebt es
kaum ein Land, wo es so wenig wirkliche Armut im
Sinne des Hungerleidens und der Entbehrung giebt als
hier. Und wenn es schon ausgesprochen wurde, daß auf
den Straßen von Japan weit weniger Betrunkenheit zu
sehen ist als bei uns, so ist das andere nicht minder
wahr, daß Bettler, Vagabunden und Leute in ärmlicher,
verlumpter Kleidung in Japan in geringerer Zahl zu
finden sind als selbst in Deutschland oder England, von
Italien und Spanien vollends gar nicht zu reden.

Wer könnte seine Augen verschließen gegen diese
schönen Züge des Lebens? Und all das hat ein einziger
Mann vollbracht, Konfuzius; hat es fertig gebracht aus
ureigener Kraft. Niemand hat ihm geholfen; den
Shintoismus hat er in etwas ins Schlepptau genommen;
Buddha aber hat kein Teil daran; in Japan existiert
die Moral für sich, losgelöst von der Religion. Die
Familie, welche Konfuzius gestaltet hat, ist in einzelnen
Zügen geradezu mustergültig; aber Charaktere für das
Leben in dem ganzen großen Reichtum seiner Erschei-
nungen hat er nicht zu schaffen verstanden. Ist es doch
eine auffallende Thatsache, daß dieselben Japaner als
Knaben jedermann sympathisch, als Männer aber vielen
unsympathisch sind! Ist es doch gar nicht zu leugnen,
daß die heutige Jugend, welche das beste versprach, so
lange sie im Elternhause war, verroht, wenn sie, los-
gelöst von der Familie, in das Leben hineingestellt wird.
In der Familie ruhen die starken Wurzeln ihrer Kraft.
Aber der Fonds, welchen sie im Elternhause gesammelt,
reicht wohl aus für den friedlichen Kreis der Familie,
versagt aber in dem brausenden Meere des Lebens.

Häuſern des Landes wäre es unmöglich, mit ihren jähr-
lichen Einkünften unter den teuren europäiſchen Ver-
hältniſſen überhaupt zu beſtehen. Und doch giebt es
kaum ein Land, wo es ſo wenig wirkliche Armut im
Sinne des Hungerleidens und der Entbehrung giebt als
hier. Und wenn es ſchon ausgeſprochen wurde, daß auf
den Straßen von Japan weit weniger Betrunkenheit zu
ſehen iſt als bei uns, ſo iſt das andere nicht minder
wahr, daß Bettler, Vagabunden und Leute in ärmlicher,
verlumpter Kleidung in Japan in geringerer Zahl zu
finden ſind als ſelbſt in Deutſchland oder England, von
Italien und Spanien vollends gar nicht zu reden.

Wer könnte ſeine Augen verſchließen gegen dieſe
ſchönen Züge des Lebens? Und all das hat ein einziger
Mann vollbracht, Konfuzius; hat es fertig gebracht aus
ureigener Kraft. Niemand hat ihm geholfen; den
Shintoismus hat er in etwas ins Schlepptau genommen;
Buddha aber hat kein Teil daran; in Japan exiſtiert
die Moral für ſich, losgelöſt von der Religion. Die
Familie, welche Konfuzius geſtaltet hat, iſt in einzelnen
Zügen geradezu muſtergültig; aber Charaktere für das
Leben in dem ganzen großen Reichtum ſeiner Erſchei-
nungen hat er nicht zu ſchaffen verſtanden. Iſt es doch
eine auffallende Thatſache, daß dieſelben Japaner als
Knaben jedermann ſympathiſch, als Männer aber vielen
unſympathiſch ſind! Iſt es doch gar nicht zu leugnen,
daß die heutige Jugend, welche das beſte verſprach, ſo
lange ſie im Elternhauſe war, verroht, wenn ſie, los-
gelöſt von der Familie, in das Leben hineingeſtellt wird.
In der Familie ruhen die ſtarken Wurzeln ihrer Kraft.
Aber der Fonds, welchen ſie im Elternhauſe geſammelt,
reicht wohl aus für den friedlichen Kreis der Familie,
verſagt aber in dem brauſenden Meere des Lebens.

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[154/0168] Häuſern des Landes wäre es unmöglich, mit ihren jähr- lichen Einkünften unter den teuren europäiſchen Ver- hältniſſen überhaupt zu beſtehen. Und doch giebt es kaum ein Land, wo es ſo wenig wirkliche Armut im Sinne des Hungerleidens und der Entbehrung giebt als hier. Und wenn es ſchon ausgeſprochen wurde, daß auf den Straßen von Japan weit weniger Betrunkenheit zu ſehen iſt als bei uns, ſo iſt das andere nicht minder wahr, daß Bettler, Vagabunden und Leute in ärmlicher, verlumpter Kleidung in Japan in geringerer Zahl zu finden ſind als ſelbſt in Deutſchland oder England, von Italien und Spanien vollends gar nicht zu reden. Wer könnte ſeine Augen verſchließen gegen dieſe ſchönen Züge des Lebens? Und all das hat ein einziger Mann vollbracht, Konfuzius; hat es fertig gebracht aus ureigener Kraft. Niemand hat ihm geholfen; den Shintoismus hat er in etwas ins Schlepptau genommen; Buddha aber hat kein Teil daran; in Japan exiſtiert die Moral für ſich, losgelöſt von der Religion. Die Familie, welche Konfuzius geſtaltet hat, iſt in einzelnen Zügen geradezu muſtergültig; aber Charaktere für das Leben in dem ganzen großen Reichtum ſeiner Erſchei- nungen hat er nicht zu ſchaffen verſtanden. Iſt es doch eine auffallende Thatſache, daß dieſelben Japaner als Knaben jedermann ſympathiſch, als Männer aber vielen unſympathiſch ſind! Iſt es doch gar nicht zu leugnen, daß die heutige Jugend, welche das beſte verſprach, ſo lange ſie im Elternhauſe war, verroht, wenn ſie, los- gelöſt von der Familie, in das Leben hineingeſtellt wird. In der Familie ruhen die ſtarken Wurzeln ihrer Kraft. Aber der Fonds, welchen ſie im Elternhauſe geſammelt, reicht wohl aus für den friedlichen Kreis der Familie, verſagt aber in dem brauſenden Meere des Lebens.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/168>, abgerufen am 23.11.2024.