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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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einer Familie nur Töchter geboren wurden, wird einer
angenommen unter der Bedingung, daß er die Tochter
des Hauses oder eine der Töchter heiratet. In solchem
Falle gelten die Kinder oft schon von Kindesbeinen an
als verlobt. Wo der Stammhalter eine solche Rolle
spielt, ist die Freude, welche die Geburt eines Sohnes
hervorruft, wohl begreiflich. Da strömen die Glieder
der Familie bis in die weitläufigsten Verzweigungen
herbei, um ihrer Freude bei dem frohen Ereignis Aus-
druck zu verleihen. Daß man sich bei der Geburt eines
Mädchens in seinen frohen Gefühlen zurückhaltender
zeigt, liegt bei diesem Familiensystem in der Natur der
Sache. Wozu soll sich die Familie freuen über ein
Menschenkind, welches doch einmal aus der Familie
hinausheiratet und darum für dieselbe wertlos ist?
Gleichwohl muß es den Eltern zum Lobe nachgesagt
werden, daß auch die Behandlung dieser Menschen
zweiter Ordnung eine liebevolle und zärtliche ist. Zwar
weist die Etikette den Söhnen, vorab dem ältesten, eine
bevorzugte Rangstellung im Hause zu; aber das kleine
Mädchen weiß sich oft genug zu Vaters Liebling zu
machen. Ich kenne viele Europäer, die für die Japaner
wenig übrig haben; ich kenne keine Abendländer, die
nicht bezaubert wären von Japans Kindern. Es ist
die sonnige Natur des Landes, die in ihnen Leben
gewinnt. Die Mädchen heißen mit Namen "Blume,
Aster, Frühling, Fichte, Schnee, Bambus etc.", und sie
entsprechen diesen Namen vollkommen. Heiterkeit und
Frohsinn lachen einem entgegen aus den Kinderaugen,
die Knaben sind frank und frei in dem Ausdruck ihrer
intelligenten Gesichtszüge, an den Mädchen aber ist
alles Anstand, Grazie und sanfte Anmut.

Japan ist das Paradies der Kinder. Selten, um

einer Familie nur Töchter geboren wurden, wird einer
angenommen unter der Bedingung, daß er die Tochter
des Hauſes oder eine der Töchter heiratet. In ſolchem
Falle gelten die Kinder oft ſchon von Kindesbeinen an
als verlobt. Wo der Stammhalter eine ſolche Rolle
ſpielt, iſt die Freude, welche die Geburt eines Sohnes
hervorruft, wohl begreiflich. Da ſtrömen die Glieder
der Familie bis in die weitläufigſten Verzweigungen
herbei, um ihrer Freude bei dem frohen Ereignis Aus-
druck zu verleihen. Daß man ſich bei der Geburt eines
Mädchens in ſeinen frohen Gefühlen zurückhaltender
zeigt, liegt bei dieſem Familienſyſtem in der Natur der
Sache. Wozu ſoll ſich die Familie freuen über ein
Menſchenkind, welches doch einmal aus der Familie
hinausheiratet und darum für dieſelbe wertlos iſt?
Gleichwohl muß es den Eltern zum Lobe nachgeſagt
werden, daß auch die Behandlung dieſer Menſchen
zweiter Ordnung eine liebevolle und zärtliche iſt. Zwar
weiſt die Etikette den Söhnen, vorab dem älteſten, eine
bevorzugte Rangſtellung im Hauſe zu; aber das kleine
Mädchen weiß ſich oft genug zu Vaters Liebling zu
machen. Ich kenne viele Europäer, die für die Japaner
wenig übrig haben; ich kenne keine Abendländer, die
nicht bezaubert wären von Japans Kindern. Es iſt
die ſonnige Natur des Landes, die in ihnen Leben
gewinnt. Die Mädchen heißen mit Namen „Blume,
Aſter, Frühling, Fichte, Schnee, Bambus ꝛc.“, und ſie
entſprechen dieſen Namen vollkommen. Heiterkeit und
Frohſinn lachen einem entgegen aus den Kinderaugen,
die Knaben ſind frank und frei in dem Ausdruck ihrer
intelligenten Geſichtszüge, an den Mädchen aber iſt
alles Anſtand, Grazie und ſanfte Anmut.

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[146/0160] einer Familie nur Töchter geboren wurden, wird einer angenommen unter der Bedingung, daß er die Tochter des Hauſes oder eine der Töchter heiratet. In ſolchem Falle gelten die Kinder oft ſchon von Kindesbeinen an als verlobt. Wo der Stammhalter eine ſolche Rolle ſpielt, iſt die Freude, welche die Geburt eines Sohnes hervorruft, wohl begreiflich. Da ſtrömen die Glieder der Familie bis in die weitläufigſten Verzweigungen herbei, um ihrer Freude bei dem frohen Ereignis Aus- druck zu verleihen. Daß man ſich bei der Geburt eines Mädchens in ſeinen frohen Gefühlen zurückhaltender zeigt, liegt bei dieſem Familienſyſtem in der Natur der Sache. Wozu ſoll ſich die Familie freuen über ein Menſchenkind, welches doch einmal aus der Familie hinausheiratet und darum für dieſelbe wertlos iſt? Gleichwohl muß es den Eltern zum Lobe nachgeſagt werden, daß auch die Behandlung dieſer Menſchen zweiter Ordnung eine liebevolle und zärtliche iſt. Zwar weiſt die Etikette den Söhnen, vorab dem älteſten, eine bevorzugte Rangſtellung im Hauſe zu; aber das kleine Mädchen weiß ſich oft genug zu Vaters Liebling zu machen. Ich kenne viele Europäer, die für die Japaner wenig übrig haben; ich kenne keine Abendländer, die nicht bezaubert wären von Japans Kindern. Es iſt die ſonnige Natur des Landes, die in ihnen Leben gewinnt. Die Mädchen heißen mit Namen „Blume, Aſter, Frühling, Fichte, Schnee, Bambus ꝛc.“, und ſie entſprechen dieſen Namen vollkommen. Heiterkeit und Frohſinn lachen einem entgegen aus den Kinderaugen, die Knaben ſind frank und frei in dem Ausdruck ihrer intelligenten Geſichtszüge, an den Mädchen aber iſt alles Anſtand, Grazie und ſanfte Anmut. Japan iſt das Paradies der Kinder. Selten, um

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/160>, abgerufen am 24.11.2024.