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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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"dummen Frau" (gusai). Der Mann ist der Himmel,
die Frau die Erde; der Mann ist die Sonne, die Frau
aber soll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden
Abglanz der Sonne sehen, sie soll sich bescheiden mit
dem stillen Schein des Mondes.

Demzufolge ist die Stellung der japanischen Frau
entschieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht
etwa meinen, der japanische Ehemann sei gemeinhin
ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, seine
tyrannischen Gelüste an seiner armen Frau auszulassen.
Auch hier ist es wie überall: Es giebt rohe und wohl-
meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von
hundert, deren Ehen geschieden werden, haben ja wohl
von vornherein Nieten in der großen Lotterie des
Glückes gezogen. Damit ist aber zugleich mit den
unglücklichen Ehen stark aufgeräumt, und wenn die
Bestimmungen des Konfuzius über Ehescheidung einen
Vorzug haben, so ist es der, daß sie ein vortreffliches
Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht
weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet
werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne
Liebe in die Ehe treten, so ist doch das Wesen der
Frau in der Regel derart, daß ihr Mann sie lieb
gewinnt. Und wenn sie auch als erste Magd des
Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in
der Kinderstube hat, so weiß sie doch nicht selten ein
Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner
Kenntnis des japanischen Familienlebens ist es theore-
tisch richtig, aber praktisch meistens falsch, von der
Japanerin schlechthin als von einer Sklavin zu reden.
Auf die niederen Klassen des Volkes, wo der Kampf
um das Dasein die Unterschiede aufhebt und alle gleich-
macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die

„dummen Frau“ (gusai). Der Mann iſt der Himmel,
die Frau die Erde; der Mann iſt die Sonne, die Frau
aber ſoll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden
Abglanz der Sonne ſehen, ſie ſoll ſich beſcheiden mit
dem ſtillen Schein des Mondes.

Demzufolge iſt die Stellung der japaniſchen Frau
entſchieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht
etwa meinen, der japaniſche Ehemann ſei gemeinhin
ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, ſeine
tyranniſchen Gelüſte an ſeiner armen Frau auszulaſſen.
Auch hier iſt es wie überall: Es giebt rohe und wohl-
meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von
hundert, deren Ehen geſchieden werden, haben ja wohl
von vornherein Nieten in der großen Lotterie des
Glückes gezogen. Damit iſt aber zugleich mit den
unglücklichen Ehen ſtark aufgeräumt, und wenn die
Beſtimmungen des Konfuzius über Eheſcheidung einen
Vorzug haben, ſo iſt es der, daß ſie ein vortreffliches
Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht
weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet
werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne
Liebe in die Ehe treten, ſo iſt doch das Weſen der
Frau in der Regel derart, daß ihr Mann ſie lieb
gewinnt. Und wenn ſie auch als erſte Magd des
Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in
der Kinderſtube hat, ſo weiß ſie doch nicht ſelten ein
Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner
Kenntnis des japaniſchen Familienlebens iſt es theore-
tiſch richtig, aber praktiſch meiſtens falſch, von der
Japanerin ſchlechthin als von einer Sklavin zu reden.
Auf die niederen Klaſſen des Volkes, wo der Kampf
um das Daſein die Unterſchiede aufhebt und alle gleich-
macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die

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[136/0150] „dummen Frau“ (gusai). Der Mann iſt der Himmel, die Frau die Erde; der Mann iſt die Sonne, die Frau aber ſoll ihre einzige Ehre in dem auf ihr ruhenden Abglanz der Sonne ſehen, ſie ſoll ſich beſcheiden mit dem ſtillen Schein des Mondes. Demzufolge iſt die Stellung der japaniſchen Frau entſchieden eine niedrige. Gleichwohl darf man nicht etwa meinen, der japaniſche Ehemann ſei gemeinhin ein brutaler Wüterich, dem es Vergnügen mache, ſeine tyranniſchen Gelüſte an ſeiner armen Frau auszulaſſen. Auch hier iſt es wie überall: Es giebt rohe und wohl- meinende Männer. Die fünfundzwanzig Frauen von hundert, deren Ehen geſchieden werden, haben ja wohl von vornherein Nieten in der großen Lotterie des Glückes gezogen. Damit iſt aber zugleich mit den unglücklichen Ehen ſtark aufgeräumt, und wenn die Beſtimmungen des Konfuzius über Eheſcheidung einen Vorzug haben, ſo iſt es der, daß ſie ein vortreffliches Sieb bilden. Unter den übrigen Ehen giebt es nicht weniger als bei uns, die als normal glückliche bezeichnet werden dürfen. Wenn auch Gatte und Gattin ohne Liebe in die Ehe treten, ſo iſt doch das Weſen der Frau in der Regel derart, daß ihr Mann ſie lieb gewinnt. Und wenn ſie auch als erſte Magd des Mannes ihren Platz vorzüglich in der Küche und in der Kinderſtube hat, ſo weiß ſie doch nicht ſelten ein Plätzchen im Herzen des Gatten zu finden. Nach meiner Kenntnis des japaniſchen Familienlebens iſt es theore- tiſch richtig, aber praktiſch meiſtens falſch, von der Japanerin ſchlechthin als von einer Sklavin zu reden. Auf die niederen Klaſſen des Volkes, wo der Kampf um das Daſein die Unterſchiede aufhebt und alle gleich- macht, trifft es durchaus nicht zu. Aber auch für die

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/150>, abgerufen am 22.11.2024.