wälzung; sie lassen sich leicht durch falsche Gerüchte zu Aktionen treiben, die sie nachher bereuen, und zu Ent- scheidungen über die wichtigsten Dinge; sie sind immer bereit zum Krieg auch ohne Ursache . . . .", so könnte das Subjekt dieser Sätze ebensowohl der Japaner sein. Dieselben Leute, deren Land nach seiner ganzen Lage als das England Asiens bezeichnet wird, hat man nicht mit Unrecht die Franzosen des Ostens genannt. Sie sind es, nur mit dem Unterschied, daß sie Selbstbe- herrschung üben und nach ihrem Sprichwort: "Ein rasches Wort, einmal aus dem Munde, bringen vier Pferde nicht wieder zurück", das Herz nicht auf der Zunge tragen, was bei ihrem Temperament nicht leicht ist und nur durch rigorose Dressur erreicht werden konnte. Rasch ist der Wechsel. Wie die Vulkane des Landes Jahrzehnte lang ruhen, um dann mit einem Mal aus- zubrechen, wie mitten aus der größten Ruhe urplötzlich ein schrecklicher Taifun sich erhebt, so mag am politischen oder sozialen Horizont am Abend zuvor noch alles ruhig sein, am nächsten Morgen aber befindet sich das ganze Volk in Bewegung und Aufruhr. Das ist nicht ein ruhig dahinfließender Strom, das ist vielmehr wie Ebbe und Flut des japanischen Meeres. Es fehlen die Über- gänge, es fehlt die ruhige Entwicklung.
Die Japaner sind bekannt als Schlangen- und Kautschukmenschen im Sinne ausgezeichneter Akrobaten und Jongleure, sie sind aber auch Schlangenmenschen im geistigen Sinn, biegsam und geschmeidig, ein Volk, welchem ein festes gerades Rückgrat fehlt. Alles nehmen sie leicht. Nicht als ob sie es zuvor nicht überlegten; aber mehr als das Sprichwort: "Erst wäg's, dann wag's" gilt ihnen das andere: "Frisch gewagt ist halb gewon- nen". Sie besitzen eine leichtgeschürzte Energie und
wälzung; ſie laſſen ſich leicht durch falſche Gerüchte zu Aktionen treiben, die ſie nachher bereuen, und zu Ent- ſcheidungen über die wichtigſten Dinge; ſie ſind immer bereit zum Krieg auch ohne Urſache . . . .“, ſo könnte das Subjekt dieſer Sätze ebenſowohl der Japaner ſein. Dieſelben Leute, deren Land nach ſeiner ganzen Lage als das England Aſiens bezeichnet wird, hat man nicht mit Unrecht die Franzoſen des Oſtens genannt. Sie ſind es, nur mit dem Unterſchied, daß ſie Selbſtbe- herrſchung üben und nach ihrem Sprichwort: „Ein raſches Wort, einmal aus dem Munde, bringen vier Pferde nicht wieder zurück“, das Herz nicht auf der Zunge tragen, was bei ihrem Temperament nicht leicht iſt und nur durch rigoroſe Dreſſur erreicht werden konnte. Raſch iſt der Wechſel. Wie die Vulkane des Landes Jahrzehnte lang ruhen, um dann mit einem Mal aus- zubrechen, wie mitten aus der größten Ruhe urplötzlich ein ſchrecklicher Taifun ſich erhebt, ſo mag am politiſchen oder ſozialen Horizont am Abend zuvor noch alles ruhig ſein, am nächſten Morgen aber befindet ſich das ganze Volk in Bewegung und Aufruhr. Das iſt nicht ein ruhig dahinfließender Strom, das iſt vielmehr wie Ebbe und Flut des japaniſchen Meeres. Es fehlen die Über- gänge, es fehlt die ruhige Entwicklung.
Die Japaner ſind bekannt als Schlangen- und Kautſchukmenſchen im Sinne ausgezeichneter Akrobaten und Jongleure, ſie ſind aber auch Schlangenmenſchen im geiſtigen Sinn, biegſam und geſchmeidig, ein Volk, welchem ein feſtes gerades Rückgrat fehlt. Alles nehmen ſie leicht. Nicht als ob ſie es zuvor nicht überlegten; aber mehr als das Sprichwort: „Erſt wäg’s, dann wag’s“ gilt ihnen das andere: „Friſch gewagt iſt halb gewon- nen“. Sie beſitzen eine leichtgeſchürzte Energie und
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wälzung; ſie laſſen ſich leicht durch falſche Gerüchte zu
Aktionen treiben, die ſie nachher bereuen, und zu Ent-
ſcheidungen über die wichtigſten Dinge; ſie ſind immer
bereit zum Krieg auch ohne Urſache . . . .“, ſo könnte
das Subjekt dieſer Sätze ebenſowohl der Japaner ſein.
Dieſelben Leute, deren Land nach ſeiner ganzen Lage
als das England Aſiens bezeichnet wird, hat man nicht
mit Unrecht die Franzoſen des Oſtens genannt. Sie
ſind es, nur mit dem Unterſchied, daß ſie Selbſtbe-
herrſchung üben und nach ihrem Sprichwort: „Ein raſches
Wort, einmal aus dem Munde, bringen vier Pferde
nicht wieder zurück“, das Herz nicht auf der Zunge
tragen, was bei ihrem Temperament nicht leicht iſt und
nur durch rigoroſe Dreſſur erreicht werden konnte.
Raſch iſt der Wechſel. Wie die Vulkane des Landes
Jahrzehnte lang ruhen, um dann mit einem Mal aus-
zubrechen, wie mitten aus der größten Ruhe urplötzlich
ein ſchrecklicher Taifun ſich erhebt, ſo mag am politiſchen
oder ſozialen Horizont am Abend zuvor noch alles ruhig
ſein, am nächſten Morgen aber befindet ſich das ganze
Volk in Bewegung und Aufruhr. Das iſt nicht ein
ruhig dahinfließender Strom, das iſt vielmehr wie Ebbe
und Flut des japaniſchen Meeres. Es fehlen die Über-
gänge, es fehlt die ruhige Entwicklung.
Die Japaner ſind bekannt als Schlangen- und
Kautſchukmenſchen im Sinne ausgezeichneter Akrobaten
und Jongleure, ſie ſind aber auch Schlangenmenſchen
im geiſtigen Sinn, biegſam und geſchmeidig, ein Volk,
welchem ein feſtes gerades Rückgrat fehlt. Alles nehmen
ſie leicht. Nicht als ob ſie es zuvor nicht überlegten;
aber mehr als das Sprichwort: „Erſt wäg’s, dann wag’s“
gilt ihnen das andere: „Friſch gewagt iſt halb gewon-
nen“. Sie beſitzen eine leichtgeſchürzte Energie und
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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