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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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selbst das Land sich verändert, warum sollen nicht auch
die Leute entwicklungsfähig sein? Auch Vulkane brennen
aus und werden zu freundlichen, friedlichen Bergen;
warum sollte das Volk ewig verurteilt sein, das zu
bleiben, was es gegenwärtig ist?

Aber freilich, einstweilen zeigt sich auch in diesem
Punkte des Systems des falschen Scheins noch die
Natur des Vulkans. Nach außen anmutig, ruhig, harm-
los; im Innern aber schafft's und gährt's, rastlos, un-
unterbrochen, bis es zu gelegener Zeit zum Ausbruch
kommt. Die Zeit aber, wann das sein wird, weiß
niemand. Denn der Japaner ist unberechenbar, wie die
Vulkane des Landes.

Er ist durch und durch Sanguiniker. Er besitzt
alle Tugenden und alle Mängel des sanguinischen
Temperaments. Er ist leicht empfänglich für alles,
rasch sich begeisternd, mit großem Interesse für alles
Mögliche; aber auch ebenso oberflächlich, flatterhaft und
wankelmütig. So schwerfällig der Chinese ist, so leicht
beweglich der Japaner. Feurig wie Petrus treten sie
für etwas ein, wankelmütig wie Petrus verleugnen
sie ihre Sache. Sind die Gallier rerum novarum cu-
pidi,
so sind die Japaner rerum novarum cupidissimi.
Ein französicher Gelehrter hat es verwunderlich gefunden,
daß die Charakterzeichnung, welche Cäsar von den alten
Galliern giebt, auf die heutigen Franzosen noch genau
zutrifft. Was aber würde der alte Cäsar selbst dazu
sagen, daß seine damalige Zeichnung Zug für Zug auch
auf die heutigen Japaner paßt. Ritterlicher Sinn,
Großmut, Ehrgefühl, Liebe zu den Waffen, Neigung
für das Glänzende, Leichtfertigkeit, Parlierkunst, Phrasen-
haftigkeit, und was Cäsar sonst anführt, gilt hier wie
dort. Wenn er schreibt: "Die Gallier lieben die Um-

ſelbſt das Land ſich verändert, warum ſollen nicht auch
die Leute entwicklungsfähig ſein? Auch Vulkane brennen
aus und werden zu freundlichen, friedlichen Bergen;
warum ſollte das Volk ewig verurteilt ſein, das zu
bleiben, was es gegenwärtig iſt?

Aber freilich, einſtweilen zeigt ſich auch in dieſem
Punkte des Syſtems des falſchen Scheins noch die
Natur des Vulkans. Nach außen anmutig, ruhig, harm-
los; im Innern aber ſchafft’s und gährt’s, raſtlos, un-
unterbrochen, bis es zu gelegener Zeit zum Ausbruch
kommt. Die Zeit aber, wann das ſein wird, weiß
niemand. Denn der Japaner iſt unberechenbar, wie die
Vulkane des Landes.

Er iſt durch und durch Sanguiniker. Er beſitzt
alle Tugenden und alle Mängel des ſanguiniſchen
Temperaments. Er iſt leicht empfänglich für alles,
raſch ſich begeiſternd, mit großem Intereſſe für alles
Mögliche; aber auch ebenſo oberflächlich, flatterhaft und
wankelmütig. So ſchwerfällig der Chineſe iſt, ſo leicht
beweglich der Japaner. Feurig wie Petrus treten ſie
für etwas ein, wankelmütig wie Petrus verleugnen
ſie ihre Sache. Sind die Gallier rerum novarum cu-
pidi,
ſo ſind die Japaner rerum novarum cupidissimi.
Ein franzöſicher Gelehrter hat es verwunderlich gefunden,
daß die Charakterzeichnung, welche Cäſar von den alten
Galliern giebt, auf die heutigen Franzoſen noch genau
zutrifft. Was aber würde der alte Cäſar ſelbſt dazu
ſagen, daß ſeine damalige Zeichnung Zug für Zug auch
auf die heutigen Japaner paßt. Ritterlicher Sinn,
Großmut, Ehrgefühl, Liebe zu den Waffen, Neigung
für das Glänzende, Leichtfertigkeit, Parlierkunſt, Phraſen-
haftigkeit, und was Cäſar ſonſt anführt, gilt hier wie
dort. Wenn er ſchreibt: „Die Gallier lieben die Um-

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[102/0116] ſelbſt das Land ſich verändert, warum ſollen nicht auch die Leute entwicklungsfähig ſein? Auch Vulkane brennen aus und werden zu freundlichen, friedlichen Bergen; warum ſollte das Volk ewig verurteilt ſein, das zu bleiben, was es gegenwärtig iſt? Aber freilich, einſtweilen zeigt ſich auch in dieſem Punkte des Syſtems des falſchen Scheins noch die Natur des Vulkans. Nach außen anmutig, ruhig, harm- los; im Innern aber ſchafft’s und gährt’s, raſtlos, un- unterbrochen, bis es zu gelegener Zeit zum Ausbruch kommt. Die Zeit aber, wann das ſein wird, weiß niemand. Denn der Japaner iſt unberechenbar, wie die Vulkane des Landes. Er iſt durch und durch Sanguiniker. Er beſitzt alle Tugenden und alle Mängel des ſanguiniſchen Temperaments. Er iſt leicht empfänglich für alles, raſch ſich begeiſternd, mit großem Intereſſe für alles Mögliche; aber auch ebenſo oberflächlich, flatterhaft und wankelmütig. So ſchwerfällig der Chineſe iſt, ſo leicht beweglich der Japaner. Feurig wie Petrus treten ſie für etwas ein, wankelmütig wie Petrus verleugnen ſie ihre Sache. Sind die Gallier rerum novarum cu- pidi, ſo ſind die Japaner rerum novarum cupidissimi. Ein franzöſicher Gelehrter hat es verwunderlich gefunden, daß die Charakterzeichnung, welche Cäſar von den alten Galliern giebt, auf die heutigen Franzoſen noch genau zutrifft. Was aber würde der alte Cäſar ſelbſt dazu ſagen, daß ſeine damalige Zeichnung Zug für Zug auch auf die heutigen Japaner paßt. Ritterlicher Sinn, Großmut, Ehrgefühl, Liebe zu den Waffen, Neigung für das Glänzende, Leichtfertigkeit, Parlierkunſt, Phraſen- haftigkeit, und was Cäſar ſonſt anführt, gilt hier wie dort. Wenn er ſchreibt: „Die Gallier lieben die Um-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/116>, abgerufen am 24.11.2024.