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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Sache erledigt sei. Ich fragte ihn, wie er denn mit
dem neuen Lehrer einig geworden sei. "Nun", sagte er,
"ich ging zu ihm hin und fragte ihn: Wenn Sie eine
Schule hätten und müßten einen Lehrer anstellen, was
würden Sie dem wohl für ein Gehalt geben? Darauf
besann er sich ein wenig und nannte dann eine Summe,
und ich bat ihn darauf, um diese Summe als Lehrer
bei uns einzutreten". Der Japaner spricht mit dem
gleichgültigsten Gesicht über die gleichgültigsten Dinge von
der Welt, so daß man sich fast verwundern möchte über
die inhaltslose Unterhaltung. Wenn er sich aber
empfiehlt, weiß er, was er hatte wissen wollen, und der
harmlose Europäer ist der Gefoppte. Er ist der geborene
Diplomat, wie das vom Ostasiaten überhaupt gilt, und
die Vertreter der europäischen Mächte dürfen all ihren
Witz zusammenhalten, um nicht unbewußt die Spielbälle
der japanischen Staatsmänner zu werden. Die euro-
päische Macht, welche ihren Gesandtschaftsposten in Tokyo
als eine Art Sinekure betrachtet und an mittelmäßige
Kräfte vergiebt, ist übel beraten. Die neuen Verträge,
welche Japan mit den europäischen Mächten auf der
Grundlage politischer Gleichberechtigung abgeschlossen
hat, sind ein diplomatisches Meisterstück, welches dem fähig-
sten europäischen Staatsmanne zur Ehre gereicht hätte.

Die Maske eines unschuldigen, harmlosen Kindes
ist dem Japaner zur zweiten Natur geworden. Oft aber
ist es ein von ihm beabsichtigter Schein, und dann wird
er zum Heuchler. Im Verkehr mit dem Europäer ist
er stets freundlich. Auch wenn er gerechten Grund zum
Zorn hat, bleibt er ruhig, gleichmütig, liebenswürdig.
Aber Thatsache ist, daß er eher Abneigung als Liebe
gegen den Fremden im Herzen trägt. Wenn sie unter
sich sind, zumal in der Presse, die nur von sehr wenigen

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Sache erledigt ſei. Ich fragte ihn, wie er denn mit
dem neuen Lehrer einig geworden ſei. „Nun“, ſagte er,
„ich ging zu ihm hin und fragte ihn: Wenn Sie eine
Schule hätten und müßten einen Lehrer anſtellen, was
würden Sie dem wohl für ein Gehalt geben? Darauf
beſann er ſich ein wenig und nannte dann eine Summe,
und ich bat ihn darauf, um dieſe Summe als Lehrer
bei uns einzutreten“. Der Japaner ſpricht mit dem
gleichgültigſten Geſicht über die gleichgültigſten Dinge von
der Welt, ſo daß man ſich faſt verwundern möchte über
die inhaltsloſe Unterhaltung. Wenn er ſich aber
empfiehlt, weiß er, was er hatte wiſſen wollen, und der
harmloſe Europäer iſt der Gefoppte. Er iſt der geborene
Diplomat, wie das vom Oſtaſiaten überhaupt gilt, und
die Vertreter der europäiſchen Mächte dürfen all ihren
Witz zuſammenhalten, um nicht unbewußt die Spielbälle
der japaniſchen Staatsmänner zu werden. Die euro-
päiſche Macht, welche ihren Geſandtſchaftspoſten in Tokyo
als eine Art Sinekure betrachtet und an mittelmäßige
Kräfte vergiebt, iſt übel beraten. Die neuen Verträge,
welche Japan mit den europäiſchen Mächten auf der
Grundlage politiſcher Gleichberechtigung abgeſchloſſen
hat, ſind ein diplomatiſches Meiſterſtück, welches dem fähig-
ſten europäiſchen Staatsmanne zur Ehre gereicht hätte.

Die Maske eines unſchuldigen, harmloſen Kindes
iſt dem Japaner zur zweiten Natur geworden. Oft aber
iſt es ein von ihm beabſichtigter Schein, und dann wird
er zum Heuchler. Im Verkehr mit dem Europäer iſt
er ſtets freundlich. Auch wenn er gerechten Grund zum
Zorn hat, bleibt er ruhig, gleichmütig, liebenswürdig.
Aber Thatſache iſt, daß er eher Abneigung als Liebe
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[99/0113] Sache erledigt ſei. Ich fragte ihn, wie er denn mit dem neuen Lehrer einig geworden ſei. „Nun“, ſagte er, „ich ging zu ihm hin und fragte ihn: Wenn Sie eine Schule hätten und müßten einen Lehrer anſtellen, was würden Sie dem wohl für ein Gehalt geben? Darauf beſann er ſich ein wenig und nannte dann eine Summe, und ich bat ihn darauf, um dieſe Summe als Lehrer bei uns einzutreten“. Der Japaner ſpricht mit dem gleichgültigſten Geſicht über die gleichgültigſten Dinge von der Welt, ſo daß man ſich faſt verwundern möchte über die inhaltsloſe Unterhaltung. Wenn er ſich aber empfiehlt, weiß er, was er hatte wiſſen wollen, und der harmloſe Europäer iſt der Gefoppte. Er iſt der geborene Diplomat, wie das vom Oſtaſiaten überhaupt gilt, und die Vertreter der europäiſchen Mächte dürfen all ihren Witz zuſammenhalten, um nicht unbewußt die Spielbälle der japaniſchen Staatsmänner zu werden. Die euro- päiſche Macht, welche ihren Geſandtſchaftspoſten in Tokyo als eine Art Sinekure betrachtet und an mittelmäßige Kräfte vergiebt, iſt übel beraten. Die neuen Verträge, welche Japan mit den europäiſchen Mächten auf der Grundlage politiſcher Gleichberechtigung abgeſchloſſen hat, ſind ein diplomatiſches Meiſterſtück, welches dem fähig- ſten europäiſchen Staatsmanne zur Ehre gereicht hätte. Die Maske eines unſchuldigen, harmloſen Kindes iſt dem Japaner zur zweiten Natur geworden. Oft aber iſt es ein von ihm beabſichtigter Schein, und dann wird er zum Heuchler. Im Verkehr mit dem Europäer iſt er ſtets freundlich. Auch wenn er gerechten Grund zum Zorn hat, bleibt er ruhig, gleichmütig, liebenswürdig. Aber Thatſache iſt, daß er eher Abneigung als Liebe gegen den Fremden im Herzen trägt. Wenn ſie unter ſich ſind, zumal in der Preſſe, die nur von ſehr wenigen 7*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/113>, abgerufen am 24.11.2024.