Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.er hin und wieder zu seiner Entschuldigung, auf welches ich mich aber nicht einlassen konnte, weil es Dinge betraf, die außer meinem Gesichtskreise lagen, und über die ich nicht unterrichtet war. Seine politischen Einsichten zu berichtigen, hatte ich weder Beruf noch Fähigkeit, und ich durfte hoffen, daß sein eignes Nachdenken, und die Empfindung der Folgen, die seine Fehlschlüsse in diesem Stücke für ihn selbst hatten, ihn von seinen Jrrthümern in der Staatswissenschaft zurückbringen würden. We- nigstens fand ich ihn voller Reue über das Ganze, wenn er gleich sein Betragen in einem oder dem andern einzel- nen Falle für nicht so sehr unfähig entschuldigt zu wer- den halten mochte. Er bezeugte sie mir ausdrücklich, und äußerte so gar Bekümmerniß darüber, daß sie noch nicht ernstlich genug seyn möchte, daß sie wenigstens über einige seiner Vergehungen stärker und anhaltender sey, als über andere. Jch antwortete ihm hierauf, daß mir dieser sein Zweifel an der Ernstlichkeit seiner Reue sehr lieb sey. Jch sähe ihn als einen Beweis seiner Auf- richtigkeit an. Jch mußte aber doch zu seiner Beruhi- gung sagen, daß ich ihn bisher von einer Unterredung zur andern immer mehr erweicht fände. Er möchte sich erinnern, daß er anfänglich nur Eine empfindliche Seite gehabt hätte. Jtzt wäre die Wunde seines Gewissens schon größer und sein Schmerz ausgebreiteter und allge- meiner. Ueber dieses wäre es natürlich und der Sache gemäß, daß er über einige seiner Vergehungen beküm- merter wäre, als über andere, denn jene wären etwa die größesten, über die er sich selbst gar keine Entschuldi- gung zu ersinnen wüßte, und die auch die traurigsten Folgen hätten. Wenn er fortführe seine Sünden unpar- theiisch und mit ihren betrübten Folgen, so weit er sie in Gedanken verfolgen könnte, zu erwägen, und dann beson- ders die Liebe Gottes gegen ihn und seine Undankbarkeit gegen Gott dagegen zu halten, und diese daraus zu beur- theilen,
er hin und wieder zu ſeiner Entſchuldigung, auf welches ich mich aber nicht einlaſſen konnte, weil es Dinge betraf, die außer meinem Geſichtskreiſe lagen, und uͤber die ich nicht unterrichtet war. Seine politiſchen Einſichten zu berichtigen, hatte ich weder Beruf noch Faͤhigkeit, und ich durfte hoffen, daß ſein eignes Nachdenken, und die Empfindung der Folgen, die ſeine Fehlſchluͤſſe in dieſem Stuͤcke fuͤr ihn ſelbſt hatten, ihn von ſeinen Jrrthuͤmern in der Staatswiſſenſchaft zuruͤckbringen wuͤrden. We- nigſtens fand ich ihn voller Reue uͤber das Ganze, wenn er gleich ſein Betragen in einem oder dem andern einzel- nen Falle fuͤr nicht ſo ſehr unfaͤhig entſchuldigt zu wer- den halten mochte. Er bezeugte ſie mir ausdruͤcklich, und aͤußerte ſo gar Bekuͤmmerniß daruͤber, daß ſie noch nicht ernſtlich genug ſeyn moͤchte, daß ſie wenigſtens uͤber einige ſeiner Vergehungen ſtaͤrker und anhaltender ſey, als uͤber andere. Jch antwortete ihm hierauf, daß mir dieſer ſein Zweifel an der Ernſtlichkeit ſeiner Reue ſehr lieb ſey. Jch ſaͤhe ihn als einen Beweis ſeiner Auf- richtigkeit an. Jch mußte aber doch zu ſeiner Beruhi- gung ſagen, daß ich ihn bisher von einer Unterredung zur andern immer mehr erweicht faͤnde. Er moͤchte ſich erinnern, daß er anfaͤnglich nur Eine empfindliche Seite gehabt haͤtte. Jtzt waͤre die Wunde ſeines Gewiſſens ſchon groͤßer und ſein Schmerz ausgebreiteter und allge- meiner. Ueber dieſes waͤre es natuͤrlich und der Sache gemaͤß, daß er uͤber einige ſeiner Vergehungen bekuͤm- merter waͤre, als uͤber andere, denn jene waͤren etwa die groͤßeſten, uͤber die er ſich ſelbſt gar keine Entſchuldi- gung zu erſinnen wuͤßte, und die auch die traurigſten Folgen haͤtten. Wenn er fortfuͤhre ſeine Suͤnden unpar- theiiſch und mit ihren betruͤbten Folgen, ſo weit er ſie in Gedanken verfolgen koͤnnte, zu erwaͤgen, und dann beſon- ders die Liebe Gottes gegen ihn und ſeine Undankbarkeit gegen Gott dagegen zu halten, und dieſe daraus zu beur- theilen,
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er hin und wieder zu ſeiner Entſchuldigung, auf welches
ich mich aber nicht einlaſſen konnte, weil es Dinge betraf,
die außer meinem Geſichtskreiſe lagen, und uͤber die ich
nicht unterrichtet war. Seine politiſchen Einſichten zu
berichtigen, hatte ich weder Beruf noch Faͤhigkeit, und
ich durfte hoffen, daß ſein eignes Nachdenken, und die
Empfindung der Folgen, die ſeine Fehlſchluͤſſe in dieſem
Stuͤcke fuͤr ihn ſelbſt hatten, ihn von ſeinen Jrrthuͤmern
in der Staatswiſſenſchaft zuruͤckbringen wuͤrden. We-
nigſtens fand ich ihn voller Reue uͤber das Ganze, wenn
er gleich ſein Betragen in einem oder dem andern einzel-
nen Falle fuͤr nicht ſo ſehr unfaͤhig entſchuldigt zu wer-
den halten mochte. Er bezeugte ſie mir ausdruͤcklich,
und aͤußerte ſo gar Bekuͤmmerniß daruͤber, daß ſie noch
nicht ernſtlich genug ſeyn moͤchte, daß ſie wenigſtens
uͤber einige ſeiner Vergehungen ſtaͤrker und anhaltender
ſey, als uͤber andere. Jch antwortete ihm hierauf, daß
mir dieſer ſein Zweifel an der Ernſtlichkeit ſeiner Reue
ſehr lieb ſey. Jch ſaͤhe ihn als einen Beweis ſeiner Auf-
richtigkeit an. Jch mußte aber doch zu ſeiner Beruhi-
gung ſagen, daß ich ihn bisher von einer Unterredung
zur andern immer mehr erweicht faͤnde. Er moͤchte ſich
erinnern, daß er anfaͤnglich nur Eine empfindliche Seite
gehabt haͤtte. Jtzt waͤre die Wunde ſeines Gewiſſens
ſchon groͤßer und ſein Schmerz ausgebreiteter und allge-
meiner. Ueber dieſes waͤre es natuͤrlich und der Sache
gemaͤß, daß er uͤber einige ſeiner Vergehungen bekuͤm-
merter waͤre, als uͤber andere, denn jene waͤren etwa
die groͤßeſten, uͤber die er ſich ſelbſt gar keine Entſchuldi-
gung zu erſinnen wuͤßte, und die auch die traurigſten
Folgen haͤtten. Wenn er fortfuͤhre ſeine Suͤnden unpar-
theiiſch und mit ihren betruͤbten Folgen, ſo weit er ſie in
Gedanken verfolgen koͤnnte, zu erwaͤgen, und dann beſon-
ders die Liebe Gottes gegen ihn und ſeine Undankbarkeit
gegen Gott dagegen zu halten, und dieſe daraus zu beur-
theilen,
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