Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.Ueberlegen Sie endlich: wenn nun ich und je- Jch habe es meinen Lesern schon vorhin gesagt, sich
Ueberlegen Sie endlich: wenn nun ich und je- Jch habe es meinen Leſern ſchon vorhin geſagt, ſich
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0074" n="62"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Ueberlegen Sie endlich: wenn nun ich und je-<lb/> dermann ſo leben wollte, was wuͤrde aus dem menſchli-<lb/> chen Geſchlechte werden? “Jch habe mir thoͤrichterweiſe<lb/> eingebildet, die Geſellſchaft koͤnne dabey beſtehen. Die<lb/> Großen in Engelland und Frankreich, dachte ich, fuͤhren<lb/> ja eine ſolche ungebundene Lebensart.„ Aber, antwor-<lb/> tete ich, macht denn dieſe ungebundene zuͤgelloſe Lebens-<lb/> art der Großen in Engelland und Frankreich ihre Nation<lb/> gluͤcklich? Befinden ſie ſelbſt ſich ſo wohl dabey, als<lb/> ſich der Mittelſtand bey ſeiner gebundenern und geſetztern<lb/> Auffuͤhrung befindet? Und machen endlich dieſe Großen<lb/> die ganzen Geſellſchaften aus, oder ſind Sie nicht viel-<lb/> mehr nur ein kleiner, und, wenn es auf die Zahl an-<lb/> kommt, unbetraͤchtlicher Theil derſelben?</p><lb/> <p>Jch habe es meinen Leſern ſchon vorhin geſagt,<lb/> daß der Graf Struenſee waͤhrend dieſer ganzen Unterre-<lb/> dung ſehr geruͤhrt und weich war. Jch ſah es ihm an,<lb/> wie empfindlich ihn der Anblick ſeines ſo uͤbel gefuͤhrten<lb/> Lebens nur von dieſer einen Seite demuͤthigte. Wie iſt<lb/> es doch moͤglich, ſagte er, als wir dieſe Gewiſſenspruͤ-<lb/> fung geendigt hatten, daß ich von meinen vorigen Grund-<lb/> ſaͤtzen ſo uͤberzeugt ſeyn, und mich ſo habe vergeſſen koͤn-<lb/> nen? Was muͤſſen ihm nicht noch fuͤr Vergehungen ins<lb/> Gedaͤchtniß gekommen ſeyn, die nicht mir, ſondern ſei-<lb/> nem Gewiſſen bekannt waren! Und wie hoch mußte nicht<lb/> die Summe ſeiner Suͤnden itzt vor ſeinen Augen anwach-<lb/> ſen, da er auf einmahl viele Jahre eines ausſchweifend<lb/> gefuͤhrten Lebens uͤberſah! Je ernſter er daruͤber nach-<lb/> dachte, und je genauer er ſich ſelbſt kennen lernte, deſto<lb/> beſſer war es fuͤr ihn. Jch forderte ihn deswegen auf,<lb/> in ſeiner Einſamkeit die ganze Kette ſeiner wolluͤſtigen<lb/> Synden noch einmahl durchzudenken. Um ihm dieſe Ar-<lb/> beit zu erleichtern gab ich ihm meinen Aufſatz davon, und<lb/> er verſprach mir uͤber alles ſorgfaͤltig nachzudenken, und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſich</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [62/0074]
Ueberlegen Sie endlich: wenn nun ich und je-
dermann ſo leben wollte, was wuͤrde aus dem menſchli-
chen Geſchlechte werden? “Jch habe mir thoͤrichterweiſe
eingebildet, die Geſellſchaft koͤnne dabey beſtehen. Die
Großen in Engelland und Frankreich, dachte ich, fuͤhren
ja eine ſolche ungebundene Lebensart.„ Aber, antwor-
tete ich, macht denn dieſe ungebundene zuͤgelloſe Lebens-
art der Großen in Engelland und Frankreich ihre Nation
gluͤcklich? Befinden ſie ſelbſt ſich ſo wohl dabey, als
ſich der Mittelſtand bey ſeiner gebundenern und geſetztern
Auffuͤhrung befindet? Und machen endlich dieſe Großen
die ganzen Geſellſchaften aus, oder ſind Sie nicht viel-
mehr nur ein kleiner, und, wenn es auf die Zahl an-
kommt, unbetraͤchtlicher Theil derſelben?
Jch habe es meinen Leſern ſchon vorhin geſagt,
daß der Graf Struenſee waͤhrend dieſer ganzen Unterre-
dung ſehr geruͤhrt und weich war. Jch ſah es ihm an,
wie empfindlich ihn der Anblick ſeines ſo uͤbel gefuͤhrten
Lebens nur von dieſer einen Seite demuͤthigte. Wie iſt
es doch moͤglich, ſagte er, als wir dieſe Gewiſſenspruͤ-
fung geendigt hatten, daß ich von meinen vorigen Grund-
ſaͤtzen ſo uͤberzeugt ſeyn, und mich ſo habe vergeſſen koͤn-
nen? Was muͤſſen ihm nicht noch fuͤr Vergehungen ins
Gedaͤchtniß gekommen ſeyn, die nicht mir, ſondern ſei-
nem Gewiſſen bekannt waren! Und wie hoch mußte nicht
die Summe ſeiner Suͤnden itzt vor ſeinen Augen anwach-
ſen, da er auf einmahl viele Jahre eines ausſchweifend
gefuͤhrten Lebens uͤberſah! Je ernſter er daruͤber nach-
dachte, und je genauer er ſich ſelbſt kennen lernte, deſto
beſſer war es fuͤr ihn. Jch forderte ihn deswegen auf,
in ſeiner Einſamkeit die ganze Kette ſeiner wolluͤſtigen
Synden noch einmahl durchzudenken. Um ihm dieſe Ar-
beit zu erleichtern gab ich ihm meinen Aufſatz davon, und
er verſprach mir uͤber alles ſorgfaͤltig nachzudenken, und
ſich
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