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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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könne, und zu den jedesmaligen Geschäfften meines Ver-
hältnisses weniger Zeit brauche als andere, so gehöre die
übrige Zeit meinen Lüsten, und sey für sie gewonnen.
Jch sehe aber nun ein, da es zu spät ist, wie sehr es
meine Pflicht gewesen wäre, nach dem Maaße der Kräfte,
die mir Gott anvertrauet hatte, auch würksam zum Gu-
ten zu seyn.

Wie viel Gutes, das Jhre Pflicht war, ist da-
durch unterblieben? -- Wie unersättlich sind Sie in Be-
lustigungen gewesen?

Wie werden Sie darauf raffinirt haben, sich im-
mer neue angenehme Empfindungen der Sinne zu ver-
schaffen. "Die Ueberhäufung mit Vergnügungen zieht
eine unvermeidliche Leere nach sich, und um diese auszu-
füllen, sinnt man denn immer auf Veränderungen in den
Ergötzlichkeiten."

Wie sehr ist die Bildung Jhres Geistes und Her-
zens dadurch versäumt worden? Erinnern Sie sich hier
an Jhre Schul und Universitätsjahre. "Jch bin da-
durch sehr zurückgesetzt worden, und habe erst in spätern
Jahren angefangen die Kenntnisse zu suchen, die ich schon
auf der Schule hätte erlangen können. Auf der Univer-
sität habe ich nachher oft ganze Monate umhergeschwärmt,
dann aber auch wieder eine Zeitlang studirt. An die Bil-
dung meines Herzens dachte ich vor meinem zwey oder
drey und zwanzigsten Jahre gar nicht. Von der Zeit
an habe ich mir nach und nach meine Grundsätze über
die Moralität gesammlet und eingeprägt, die ich Jhnen
eröffnet habe."

Wie nachlässig hat Sie die Wollust in Jhren
Pflichten gegen Gott, andre Menschen und sich selbst,

auch



koͤnne, und zu den jedesmaligen Geſchaͤfften meines Ver-
haͤltniſſes weniger Zeit brauche als andere, ſo gehoͤre die
uͤbrige Zeit meinen Luͤſten, und ſey fuͤr ſie gewonnen.
Jch ſehe aber nun ein, da es zu ſpaͤt iſt, wie ſehr es
meine Pflicht geweſen waͤre, nach dem Maaße der Kraͤfte,
die mir Gott anvertrauet hatte, auch wuͤrkſam zum Gu-
ten zu ſeyn.

Wie viel Gutes, das Jhre Pflicht war, iſt da-
durch unterblieben? — Wie unerſaͤttlich ſind Sie in Be-
luſtigungen geweſen?

Wie werden Sie darauf raffinirt haben, ſich im-
mer neue angenehme Empfindungen der Sinne zu ver-
ſchaffen. “Die Ueberhaͤufung mit Vergnuͤgungen zieht
eine unvermeidliche Leere nach ſich, und um dieſe auszu-
fuͤllen, ſinnt man denn immer auf Veraͤnderungen in den
Ergoͤtzlichkeiten.„

Wie ſehr iſt die Bildung Jhres Geiſtes und Her-
zens dadurch verſaͤumt worden? Erinnern Sie ſich hier
an Jhre Schul und Univerſitaͤtsjahre. “Jch bin da-
durch ſehr zuruͤckgeſetzt worden, und habe erſt in ſpaͤtern
Jahren angefangen die Kenntniſſe zu ſuchen, die ich ſchon
auf der Schule haͤtte erlangen koͤnnen. Auf der Univer-
ſitaͤt habe ich nachher oft ganze Monate umhergeſchwaͤrmt,
dann aber auch wieder eine Zeitlang ſtudirt. An die Bil-
dung meines Herzens dachte ich vor meinem zwey oder
drey und zwanzigſten Jahre gar nicht. Von der Zeit
an habe ich mir nach und nach meine Grundſaͤtze uͤber
die Moralitaͤt geſammlet und eingepraͤgt, die ich Jhnen
eroͤffnet habe.„

Wie nachlaͤſſig hat Sie die Wolluſt in Jhren
Pflichten gegen Gott, andre Menſchen und ſich ſelbſt,

auch
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[56/0068] koͤnne, und zu den jedesmaligen Geſchaͤfften meines Ver- haͤltniſſes weniger Zeit brauche als andere, ſo gehoͤre die uͤbrige Zeit meinen Luͤſten, und ſey fuͤr ſie gewonnen. Jch ſehe aber nun ein, da es zu ſpaͤt iſt, wie ſehr es meine Pflicht geweſen waͤre, nach dem Maaße der Kraͤfte, die mir Gott anvertrauet hatte, auch wuͤrkſam zum Gu- ten zu ſeyn. Wie viel Gutes, das Jhre Pflicht war, iſt da- durch unterblieben? — Wie unerſaͤttlich ſind Sie in Be- luſtigungen geweſen? Wie werden Sie darauf raffinirt haben, ſich im- mer neue angenehme Empfindungen der Sinne zu ver- ſchaffen. “Die Ueberhaͤufung mit Vergnuͤgungen zieht eine unvermeidliche Leere nach ſich, und um dieſe auszu- fuͤllen, ſinnt man denn immer auf Veraͤnderungen in den Ergoͤtzlichkeiten.„ Wie ſehr iſt die Bildung Jhres Geiſtes und Her- zens dadurch verſaͤumt worden? Erinnern Sie ſich hier an Jhre Schul und Univerſitaͤtsjahre. “Jch bin da- durch ſehr zuruͤckgeſetzt worden, und habe erſt in ſpaͤtern Jahren angefangen die Kenntniſſe zu ſuchen, die ich ſchon auf der Schule haͤtte erlangen koͤnnen. Auf der Univer- ſitaͤt habe ich nachher oft ganze Monate umhergeſchwaͤrmt, dann aber auch wieder eine Zeitlang ſtudirt. An die Bil- dung meines Herzens dachte ich vor meinem zwey oder drey und zwanzigſten Jahre gar nicht. Von der Zeit an habe ich mir nach und nach meine Grundſaͤtze uͤber die Moralitaͤt geſammlet und eingepraͤgt, die ich Jhnen eroͤffnet habe.„ Wie nachlaͤſſig hat Sie die Wolluſt in Jhren Pflichten gegen Gott, andre Menſchen und ſich ſelbſt, auch

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/68>, abgerufen am 02.05.2024.