Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.Semnons vor, und bat ihn sogleich mir zu sagen, wel- cher von beyden ihm am besten gefiele. Er erklärte sich natürlicher weise für den letzten. Sehen Sie hier, sagte ich, ein Urtheil Jhres moralischen Gefühls oder Jhres Gewissens. Ob Sie sich gleich in dem Damon zum Theil müssen erkannt haben, ob sie gleich in diesem Au- genblicke nicht Zeit gehabt haben beyde Charactere zu vergleichen, und die Grundzüge derselben nach morali- schen Grundsätzen zu prüfen, so finden Sie doch gleich, daß Semnon der bessere Mann ist; und wenn Sie nun ihr Urtheil regelmäßig untersuchten, so würden Sie ge- wahr werden, daß es ganz richtig gefällt sey. Als ich ihm nun hierauf sagte, dieß moralische antwor-
Semnons vor, und bat ihn ſogleich mir zu ſagen, wel- cher von beyden ihm am beſten gefiele. Er erklaͤrte ſich natuͤrlicher weiſe fuͤr den letzten. Sehen Sie hier, ſagte ich, ein Urtheil Jhres moraliſchen Gefuͤhls oder Jhres Gewiſſens. Ob Sie ſich gleich in dem Damon zum Theil muͤſſen erkannt haben, ob ſie gleich in dieſem Au- genblicke nicht Zeit gehabt haben beyde Charactere zu vergleichen, und die Grundzuͤge derſelben nach morali- ſchen Grundſaͤtzen zu pruͤfen, ſo finden Sie doch gleich, daß Semnon der beſſere Mann iſt; und wenn Sie nun ihr Urtheil regelmaͤßig unterſuchten, ſo wuͤrden Sie ge- wahr werden, daß es ganz richtig gefaͤllt ſey. Als ich ihm nun hierauf ſagte, dieß moraliſche antwor-
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Semnons vor, und bat ihn ſogleich mir zu ſagen, wel-
cher von beyden ihm am beſten gefiele. Er erklaͤrte ſich
natuͤrlicher weiſe fuͤr den letzten. Sehen Sie hier, ſagte
ich, ein Urtheil Jhres moraliſchen Gefuͤhls oder Jhres
Gewiſſens. Ob Sie ſich gleich in dem Damon zum
Theil muͤſſen erkannt haben, ob ſie gleich in dieſem Au-
genblicke nicht Zeit gehabt haben beyde Charactere zu
vergleichen, und die Grundzuͤge derſelben nach morali-
ſchen Grundſaͤtzen zu pruͤfen, ſo finden Sie doch gleich,
daß Semnon der beſſere Mann iſt; und wenn Sie nun
ihr Urtheil regelmaͤßig unterſuchten, ſo wuͤrden Sie ge-
wahr werden, daß es ganz richtig gefaͤllt ſey.
Als ich ihm nun hierauf ſagte, dieß moraliſche
Gefuͤhl ſey uns angebohren, und gehoͤre mit zu unſrer
Natur, ſo mußte ich mich darauf gefaßt halten, Ein-
wuͤrfe zu beantworten. Er bezeugte mir hier zwar, daß
er gar keine Luſt haͤtte, welche zu machen, ſondern daß
er ſich vielmehr aller Zweifel entſchlagen wollte. Aber
es erfordre doch unſre Abſicht, daß er mir offenherzig
ſagte, wovon er nicht uͤberzeugt waͤre. Er finde zwar
ein ſolch moraliſches Gefuͤhl bey dem Menſchen, aber
ob es ihm angebohren ſey, wiſſe er nicht. Ob es nicht
ein gewiſſes Vorurtheil ſeyn koͤnnte? Wie kaͤmen denn
alle Menſchen, antwortete ich, zu einem und demſelben
Vorurtheil? Wie gienge es denn zu, daß der Laſter-
hafte daſſelbe Vorurtheil hat, als der Tugendhafte, ob
es gleich ſeinem Jntereſſe ſo ſehr zuwider iſt? Denn Sie
wiſſen der Laſterhafte kann der Tugend doch nicht ſeinen
innern Beyfall verſagen, wenn er ihn gleich nicht aͤußer-
lich bezeugt. Woher kommt das anders, als von ſei-
nem moraliſchen Gefuͤhl? “So koͤnnte es denn doch
wohl eine Wuͤrkung der Erfahrung oder auch der Ge-
wohnheit ſeyn, die wir Menſchen haben, die Handlun-
gen anderer in Beziehung auf uns zu denken.„ Jch
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