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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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eröffnen, denn ich hoffte dadurch auch für die Religion
einen Eingang in dasselbe zu finden, so bat ich ihn zu
bedenken, wie unendlich er seine frommen Eltern betrübt
hätte, und wie sehr es daher seine Pflicht wäre, dar-
nach zu streben, daß er ihnen doch den einzigen Trost
verschaffen möchte, der noch für sie übrig wäre, den
Trost, daß sie über seine Zukunft nicht bekümmert seyn
dürften. Mein Vater, antwortete er, ist ein rechtschaf-
fener Mann, er ist gewohnt nach seiner Ueberzeugung
zu handeln, aber ich glaube, er ist zu hart gegen mich
gewesen. "Das denken Sie nun wohl so: aber ich
vermuhte, Sie irren darin. Sie sind ohne Zweifel
von Jugend auf ausschweifend gewesen, und das hat
der redliche Vater nicht zugeben wollen. Dieß haben
Sie für Härte gehalten." Das ist freylich wahr,
aber " -- Aber Sie wußten doch, daß Er Vater und
Sie Sohn waren. Wußten Sie denn nicht auch, daß
Sie, als Sohn, verbunden waren, einem Vater, der
noch dazu ein retschaffener Mann war, zu gehorchen?"
Das habe ich auch bis zu gewissen Jahren gethan!
"Waren Sie denn nach diesen gewissen Jahren weni-
ger Sohn, und er weniger Vater? Confucius, dessen
Moral Sie, wie ich mich erinnere gehört zu haben, der
christlichen vorziehen, hätte Sie darüber belehren kön-
nen." Sie haben freylich Recht!

Jch ließ ihm Jerusalems Betrachtungen zurück,
die er mit Nachdenken zu lesen versprach. Jch nahm ge-
rührt und mit Thränen über sein Elend Abschied von
ihm, und er bat mich bald wieder zu kommen.

Dritte



eroͤffnen, denn ich hoffte dadurch auch fuͤr die Religion
einen Eingang in daſſelbe zu finden, ſo bat ich ihn zu
bedenken, wie unendlich er ſeine frommen Eltern betruͤbt
haͤtte, und wie ſehr es daher ſeine Pflicht waͤre, dar-
nach zu ſtreben, daß er ihnen doch den einzigen Troſt
verſchaffen moͤchte, der noch fuͤr ſie uͤbrig waͤre, den
Troſt, daß ſie uͤber ſeine Zukunft nicht bekuͤmmert ſeyn
duͤrften. Mein Vater, antwortete er, iſt ein rechtſchaf-
fener Mann, er iſt gewohnt nach ſeiner Ueberzeugung
zu handeln, aber ich glaube, er iſt zu hart gegen mich
geweſen. “Das denken Sie nun wohl ſo: aber ich
vermuhte, Sie irren darin. Sie ſind ohne Zweifel
von Jugend auf ausſchweifend geweſen, und das hat
der redliche Vater nicht zugeben wollen. Dieß haben
Sie fuͤr Haͤrte gehalten.„ Das iſt freylich wahr,
aber “ — Aber Sie wußten doch, daß Er Vater und
Sie Sohn waren. Wußten Sie denn nicht auch, daß
Sie, als Sohn, verbunden waren, einem Vater, der
noch dazu ein retſchaffener Mann war, zu gehorchen?„
Das habe ich auch bis zu gewiſſen Jahren gethan!
“Waren Sie denn nach dieſen gewiſſen Jahren weni-
ger Sohn, und er weniger Vater? Confucius, deſſen
Moral Sie, wie ich mich erinnere gehoͤrt zu haben, der
chriſtlichen vorziehen, haͤtte Sie daruͤber belehren koͤn-
nen.„ Sie haben freylich Recht!

Jch ließ ihm Jeruſalems Betrachtungen zuruͤck,
die er mit Nachdenken zu leſen verſprach. Jch nahm ge-
ruͤhrt und mit Thraͤnen uͤber ſein Elend Abſchied von
ihm, und er bat mich bald wieder zu kommen.

Dritte
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[24/0036] eroͤffnen, denn ich hoffte dadurch auch fuͤr die Religion einen Eingang in daſſelbe zu finden, ſo bat ich ihn zu bedenken, wie unendlich er ſeine frommen Eltern betruͤbt haͤtte, und wie ſehr es daher ſeine Pflicht waͤre, dar- nach zu ſtreben, daß er ihnen doch den einzigen Troſt verſchaffen moͤchte, der noch fuͤr ſie uͤbrig waͤre, den Troſt, daß ſie uͤber ſeine Zukunft nicht bekuͤmmert ſeyn duͤrften. Mein Vater, antwortete er, iſt ein rechtſchaf- fener Mann, er iſt gewohnt nach ſeiner Ueberzeugung zu handeln, aber ich glaube, er iſt zu hart gegen mich geweſen. “Das denken Sie nun wohl ſo: aber ich vermuhte, Sie irren darin. Sie ſind ohne Zweifel von Jugend auf ausſchweifend geweſen, und das hat der redliche Vater nicht zugeben wollen. Dieß haben Sie fuͤr Haͤrte gehalten.„ Das iſt freylich wahr, aber “ — Aber Sie wußten doch, daß Er Vater und Sie Sohn waren. Wußten Sie denn nicht auch, daß Sie, als Sohn, verbunden waren, einem Vater, der noch dazu ein retſchaffener Mann war, zu gehorchen?„ Das habe ich auch bis zu gewiſſen Jahren gethan! “Waren Sie denn nach dieſen gewiſſen Jahren weni- ger Sohn, und er weniger Vater? Confucius, deſſen Moral Sie, wie ich mich erinnere gehoͤrt zu haben, der chriſtlichen vorziehen, haͤtte Sie daruͤber belehren koͤn- nen.„ Sie haben freylich Recht! Jch ließ ihm Jeruſalems Betrachtungen zuruͤck, die er mit Nachdenken zu leſen verſprach. Jch nahm ge- ruͤhrt und mit Thraͤnen uͤber ſein Elend Abſchied von ihm, und er bat mich bald wieder zu kommen. Dritte

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/36>, abgerufen am 21.11.2024.