Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite


Er hörte mir aufmerksam zu: aber das wollte
er nicht gestehen, daß er die Unsterblichkeit gefühlt, und
sich davor gefürchtet hätte. Es könnte wohl seyn, sagte
er, aber er erinnere sich nicht daran. Der Gedanke,
daß er nun bald ganz aufhören würde zu seyn, sey ihm
freylich gar nicht angenehm, er fürchte sich davor, und
wünsche zu leben, selbst mit minderer Glückseeligkeit als
er jetzt in seinem Gefängniß habe. Aber das könne er
doch auch nicht sagen, daß ihm die Erwartung, ganz ver-
nichtigt zu werden, so erschrecklich fürchterlich sey, als
manche selbst unter denen, die mit ihm über die Sache
einerley Meynung hegten, sie gefunden hätten.

Jch knüpfte den abgerissenen Faden der Unter-
redung wieder an , und fuhr so fort: Sie müssen nun
doch wenigstens die Möglichkeit eines Lebens nach dem
Tode zugeben, und diese ist eben so wahrscheinlich, als
die Unmöglichkeit desselben, die Sie vielleicht glauben
aber nicht beweisen können. Jch könnte Jhnen aus der
bloßen Vernunft die höchste Wahrscheinlichkeit davon,
die in solchen Dingen fast Gewißheit ist, darthun: aber
ich finde das zu meiner jetzigen Absicht überflüssig. Jch
will nur die bloße Möglichkeit annehmen, die Sie schon
zugeben müssen. Wenn aber nur dieß ist, so muß es
Jhnen schon äußerst wichtig seyn, bald zu wissen, wie es
Jhnen in dem möglichen künftigen Leben ergehen könne,
damit Sie, wenn etwa in demselben ein trauriges Schick-
sal für Sie zu erwarten wäre, die besten Mittel suchen
können, es zu verbessern oder gar von sich abzuwenden.

Er erkannte diesen Schluß für richtig, und sich
für verbunden dafür zu sorgen, daß, wenn ja eine Ewig-
keit wäre, sie für ihn, wo nicht glücklich, doch wenig-
stens erträglich seyn möchte. Aber daß ein künftiges Le-
ben seyn wird, setzte er hinzu, das werden Sie mich

schwer-


Er hoͤrte mir aufmerkſam zu: aber das wollte
er nicht geſtehen, daß er die Unſterblichkeit gefuͤhlt, und
ſich davor gefuͤrchtet haͤtte. Es koͤnnte wohl ſeyn, ſagte
er, aber er erinnere ſich nicht daran. Der Gedanke,
daß er nun bald ganz aufhoͤren wuͤrde zu ſeyn, ſey ihm
freylich gar nicht angenehm, er fuͤrchte ſich davor, und
wuͤnſche zu leben, ſelbſt mit minderer Gluͤckſeeligkeit als
er jetzt in ſeinem Gefaͤngniß habe. Aber das koͤnne er
doch auch nicht ſagen, daß ihm die Erwartung, ganz ver-
nichtigt zu werden, ſo erſchrecklich fuͤrchterlich ſey, als
manche ſelbſt unter denen, die mit ihm uͤber die Sache
einerley Meynung hegten, ſie gefunden haͤtten.

Jch knuͤpfte den abgeriſſenen Faden der Unter-
redung wieder an , und fuhr ſo fort: Sie muͤſſen nun
doch wenigſtens die Moͤglichkeit eines Lebens nach dem
Tode zugeben, und dieſe iſt eben ſo wahrſcheinlich, als
die Unmoͤglichkeit deſſelben, die Sie vielleicht glauben
aber nicht beweiſen koͤnnen. Jch koͤnnte Jhnen aus der
bloßen Vernunft die hoͤchſte Wahrſcheinlichkeit davon,
die in ſolchen Dingen faſt Gewißheit iſt, darthun: aber
ich finde das zu meiner jetzigen Abſicht uͤberfluͤſſig. Jch
will nur die bloße Moͤglichkeit annehmen, die Sie ſchon
zugeben muͤſſen. Wenn aber nur dieß iſt, ſo muß es
Jhnen ſchon aͤußerſt wichtig ſeyn, bald zu wiſſen, wie es
Jhnen in dem moͤglichen kuͤnftigen Leben ergehen koͤnne,
damit Sie, wenn etwa in demſelben ein trauriges Schick-
ſal fuͤr Sie zu erwarten waͤre, die beſten Mittel ſuchen
koͤnnen, es zu verbeſſern oder gar von ſich abzuwenden.

Er erkannte dieſen Schluß fuͤr richtig, und ſich
fuͤr verbunden dafuͤr zu ſorgen, daß, wenn ja eine Ewig-
keit waͤre, ſie fuͤr ihn, wo nicht gluͤcklich, doch wenig-
ſtens ertraͤglich ſeyn moͤchte. Aber daß ein kuͤnftiges Le-
ben ſeyn wird, ſetzte er hinzu, das werden Sie mich

ſchwer-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0020" n="8"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Er ho&#x0364;rte mir aufmerk&#x017F;am zu: aber das wollte<lb/>
er nicht ge&#x017F;tehen, daß er die Un&#x017F;terblichkeit gefu&#x0364;hlt, und<lb/>
&#x017F;ich davor gefu&#x0364;rchtet ha&#x0364;tte. Es ko&#x0364;nnte wohl &#x017F;eyn, &#x017F;agte<lb/>
er, aber er erinnere &#x017F;ich nicht daran. Der Gedanke,<lb/>
daß er nun bald ganz aufho&#x0364;ren wu&#x0364;rde zu &#x017F;eyn, &#x017F;ey ihm<lb/>
freylich gar nicht angenehm, er fu&#x0364;rchte &#x017F;ich davor, und<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;che zu leben, &#x017F;elb&#x017F;t mit minderer Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit als<lb/>
er jetzt in &#x017F;einem Gefa&#x0364;ngniß habe. Aber das ko&#x0364;nne er<lb/>
doch auch nicht &#x017F;agen, daß ihm die Erwartung, ganz ver-<lb/>
nichtigt zu werden, &#x017F;o er&#x017F;chrecklich fu&#x0364;rchterlich &#x017F;ey, als<lb/>
manche &#x017F;elb&#x017F;t unter denen, die mit ihm u&#x0364;ber die Sache<lb/>
einerley Meynung hegten, &#x017F;ie gefunden ha&#x0364;tten.</p><lb/>
        <p>Jch knu&#x0364;pfte den abgeri&#x017F;&#x017F;enen Faden der Unter-<lb/>
redung wieder an , und fuhr &#x017F;o fort: Sie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nun<lb/>
doch wenig&#x017F;tens die Mo&#x0364;glichkeit eines Lebens nach dem<lb/>
Tode zugeben, und die&#x017F;e i&#x017F;t eben &#x017F;o wahr&#x017F;cheinlich, als<lb/>
die Unmo&#x0364;glichkeit de&#x017F;&#x017F;elben, die Sie vielleicht glauben<lb/>
aber nicht bewei&#x017F;en ko&#x0364;nnen. Jch ko&#x0364;nnte Jhnen aus der<lb/>
bloßen Vernunft die ho&#x0364;ch&#x017F;te Wahr&#x017F;cheinlichkeit davon,<lb/>
die in &#x017F;olchen Dingen fa&#x017F;t Gewißheit i&#x017F;t, darthun: aber<lb/>
ich finde das zu meiner jetzigen Ab&#x017F;icht u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig. Jch<lb/>
will nur die bloße Mo&#x0364;glichkeit annehmen, die Sie &#x017F;chon<lb/>
zugeben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Wenn aber nur dieß i&#x017F;t, &#x017F;o muß es<lb/>
Jhnen &#x017F;chon a&#x0364;ußer&#x017F;t wichtig &#x017F;eyn, bald zu wi&#x017F;&#x017F;en, wie es<lb/>
Jhnen in dem mo&#x0364;glichen ku&#x0364;nftigen Leben ergehen ko&#x0364;nne,<lb/>
damit Sie, wenn etwa in dem&#x017F;elben ein trauriges Schick-<lb/>
&#x017F;al fu&#x0364;r Sie zu erwarten wa&#x0364;re, die be&#x017F;ten Mittel &#x017F;uchen<lb/>
ko&#x0364;nnen, es zu verbe&#x017F;&#x017F;ern oder gar von &#x017F;ich abzuwenden.</p><lb/>
        <p>Er erkannte die&#x017F;en Schluß fu&#x0364;r richtig, und &#x017F;ich<lb/>
fu&#x0364;r verbunden dafu&#x0364;r zu &#x017F;orgen, daß, wenn ja eine Ewig-<lb/>
keit wa&#x0364;re, &#x017F;ie fu&#x0364;r ihn, wo nicht glu&#x0364;cklich, doch wenig-<lb/>
&#x017F;tens ertra&#x0364;glich &#x017F;eyn mo&#x0364;chte. Aber daß ein ku&#x0364;nftiges Le-<lb/>
ben &#x017F;eyn wird, &#x017F;etzte er hinzu, das werden Sie mich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chwer-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0020] Er hoͤrte mir aufmerkſam zu: aber das wollte er nicht geſtehen, daß er die Unſterblichkeit gefuͤhlt, und ſich davor gefuͤrchtet haͤtte. Es koͤnnte wohl ſeyn, ſagte er, aber er erinnere ſich nicht daran. Der Gedanke, daß er nun bald ganz aufhoͤren wuͤrde zu ſeyn, ſey ihm freylich gar nicht angenehm, er fuͤrchte ſich davor, und wuͤnſche zu leben, ſelbſt mit minderer Gluͤckſeeligkeit als er jetzt in ſeinem Gefaͤngniß habe. Aber das koͤnne er doch auch nicht ſagen, daß ihm die Erwartung, ganz ver- nichtigt zu werden, ſo erſchrecklich fuͤrchterlich ſey, als manche ſelbſt unter denen, die mit ihm uͤber die Sache einerley Meynung hegten, ſie gefunden haͤtten. Jch knuͤpfte den abgeriſſenen Faden der Unter- redung wieder an , und fuhr ſo fort: Sie muͤſſen nun doch wenigſtens die Moͤglichkeit eines Lebens nach dem Tode zugeben, und dieſe iſt eben ſo wahrſcheinlich, als die Unmoͤglichkeit deſſelben, die Sie vielleicht glauben aber nicht beweiſen koͤnnen. Jch koͤnnte Jhnen aus der bloßen Vernunft die hoͤchſte Wahrſcheinlichkeit davon, die in ſolchen Dingen faſt Gewißheit iſt, darthun: aber ich finde das zu meiner jetzigen Abſicht uͤberfluͤſſig. Jch will nur die bloße Moͤglichkeit annehmen, die Sie ſchon zugeben muͤſſen. Wenn aber nur dieß iſt, ſo muß es Jhnen ſchon aͤußerſt wichtig ſeyn, bald zu wiſſen, wie es Jhnen in dem moͤglichen kuͤnftigen Leben ergehen koͤnne, damit Sie, wenn etwa in demſelben ein trauriges Schick- ſal fuͤr Sie zu erwarten waͤre, die beſten Mittel ſuchen koͤnnen, es zu verbeſſern oder gar von ſich abzuwenden. Er erkannte dieſen Schluß fuͤr richtig, und ſich fuͤr verbunden dafuͤr zu ſorgen, daß, wenn ja eine Ewig- keit waͤre, ſie fuͤr ihn, wo nicht gluͤcklich, doch wenig- ſtens ertraͤglich ſeyn moͤchte. Aber daß ein kuͤnftiges Le- ben ſeyn wird, ſetzte er hinzu, das werden Sie mich ſchwer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/20
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/20>, abgerufen am 18.12.2024.