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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Das beste und zuverlässigste Gefühl von der Begnadi-
gung des Sünders ist sein Bewußtseyn, daß er seine
Sünden herzlich bereut habe, und Jesum für seinen Er-
löser erkenne, und die Wahrnehmung, daß er im Guten
zunehme und seine Gesinnungen und Thaten nach dem
Willen Gottes einzurichten ernstlich bemüht sey. Wer
andere Empfindungen für nothwendig hält, der kann
leicht enthusiastisch werden. Er versicherte mich hier,
daß er die Schwärmerey in der Religion nie habe dulden
können, und daß sie eine von den Ursachen sey, die ihn
dem Christenthum so abgeneigt gemacht hätten. Er erin-
nere sich noch, daß einmahl in der öffentlichen Schule,
auf welcher er seinen Unterricht in der Religion erhalten
habe, einige hundert junge Leute für auf einmahl erleuch-
tet und bekehrt ausgegeben worden wären, unter denen
er doch viele als sehr unmoralisch und selbst lasterhaft
gewiß gekannt hätte. Mit diesen bekehrten Kindern
wären damals viele wunderliche Dinge vorgenommen,
und er und andere, die nicht zu ihrer Zahl gehört,
wären dadurch an der Religion nicht wenig geärgert wor-
den. Jch versprach ihm, damit er die Sache, von der
wir redeten, selbst untersuchen könnte, Spaldings vor-
treffliches Buch vom Wehrt der Gefühle im Christen-
thum mitzubringen.

Zwölfte Unterredung, den 24sten März.

Der Herr Probst Hee, dem ich des Grafen Verlangen
ihn zu sprechen eröffnet hatte, kam nun in meiner
Begleitung zu ihm. Der Graf, den es itzt keine Ueber-
windung mehr kostete, die vormaligen Jrrthümer seines
Verstandes und Herzens zu gestehen, erzählte demselben
umständlich, denn das hielt er für nöthig zu seiner Ab-
sicht, wie er zuerst die Tugend verlassen und darauf sich
auch von der Religion losgerissen habe, und auf welchem

Wege



Das beſte und zuverlaͤſſigſte Gefuͤhl von der Begnadi-
gung des Suͤnders iſt ſein Bewußtſeyn, daß er ſeine
Suͤnden herzlich bereut habe, und Jeſum fuͤr ſeinen Er-
loͤſer erkenne, und die Wahrnehmung, daß er im Guten
zunehme und ſeine Geſinnungen und Thaten nach dem
Willen Gottes einzurichten ernſtlich bemuͤht ſey. Wer
andere Empfindungen fuͤr nothwendig haͤlt, der kann
leicht enthuſiaſtiſch werden. Er verſicherte mich hier,
daß er die Schwaͤrmerey in der Religion nie habe dulden
koͤnnen, und daß ſie eine von den Urſachen ſey, die ihn
dem Chriſtenthum ſo abgeneigt gemacht haͤtten. Er erin-
nere ſich noch, daß einmahl in der oͤffentlichen Schule,
auf welcher er ſeinen Unterricht in der Religion erhalten
habe, einige hundert junge Leute fuͤr auf einmahl erleuch-
tet und bekehrt ausgegeben worden waͤren, unter denen
er doch viele als ſehr unmoraliſch und ſelbſt laſterhaft
gewiß gekannt haͤtte. Mit dieſen bekehrten Kindern
waͤren damals viele wunderliche Dinge vorgenommen,
und er und andere, die nicht zu ihrer Zahl gehoͤrt,
waͤren dadurch an der Religion nicht wenig geaͤrgert wor-
den. Jch verſprach ihm, damit er die Sache, von der
wir redeten, ſelbſt unterſuchen koͤnnte, Spaldings vor-
treffliches Buch vom Wehrt der Gefuͤhle im Chriſten-
thum mitzubringen.

Zwoͤlfte Unterredung, den 24ſten Maͤrz.

Der Herr Probſt Hee, dem ich des Grafen Verlangen
ihn zu ſprechen eroͤffnet hatte, kam nun in meiner
Begleitung zu ihm. Der Graf, den es itzt keine Ueber-
windung mehr koſtete, die vormaligen Jrrthuͤmer ſeines
Verſtandes und Herzens zu geſtehen, erzaͤhlte demſelben
umſtaͤndlich, denn das hielt er fuͤr noͤthig zu ſeiner Ab-
ſicht, wie er zuerſt die Tugend verlaſſen und darauf ſich
auch von der Religion losgeriſſen habe, und auf welchem

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[127/0139] Das beſte und zuverlaͤſſigſte Gefuͤhl von der Begnadi- gung des Suͤnders iſt ſein Bewußtſeyn, daß er ſeine Suͤnden herzlich bereut habe, und Jeſum fuͤr ſeinen Er- loͤſer erkenne, und die Wahrnehmung, daß er im Guten zunehme und ſeine Geſinnungen und Thaten nach dem Willen Gottes einzurichten ernſtlich bemuͤht ſey. Wer andere Empfindungen fuͤr nothwendig haͤlt, der kann leicht enthuſiaſtiſch werden. Er verſicherte mich hier, daß er die Schwaͤrmerey in der Religion nie habe dulden koͤnnen, und daß ſie eine von den Urſachen ſey, die ihn dem Chriſtenthum ſo abgeneigt gemacht haͤtten. Er erin- nere ſich noch, daß einmahl in der oͤffentlichen Schule, auf welcher er ſeinen Unterricht in der Religion erhalten habe, einige hundert junge Leute fuͤr auf einmahl erleuch- tet und bekehrt ausgegeben worden waͤren, unter denen er doch viele als ſehr unmoraliſch und ſelbſt laſterhaft gewiß gekannt haͤtte. Mit dieſen bekehrten Kindern waͤren damals viele wunderliche Dinge vorgenommen, und er und andere, die nicht zu ihrer Zahl gehoͤrt, waͤren dadurch an der Religion nicht wenig geaͤrgert wor- den. Jch verſprach ihm, damit er die Sache, von der wir redeten, ſelbſt unterſuchen koͤnnte, Spaldings vor- treffliches Buch vom Wehrt der Gefuͤhle im Chriſten- thum mitzubringen. Zwoͤlfte Unterredung, den 24ſten Maͤrz. Der Herr Probſt Hee, dem ich des Grafen Verlangen ihn zu ſprechen eroͤffnet hatte, kam nun in meiner Begleitung zu ihm. Der Graf, den es itzt keine Ueber- windung mehr koſtete, die vormaligen Jrrthuͤmer ſeines Verſtandes und Herzens zu geſtehen, erzaͤhlte demſelben umſtaͤndlich, denn das hielt er fuͤr noͤthig zu ſeiner Ab- ſicht, wie er zuerſt die Tugend verlaſſen und darauf ſich auch von der Religion losgeriſſen habe, und auf welchem Wege

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/139>, abgerufen am 23.11.2024.