stämme, welche von Osten her über das Römi- sche Reich fielen, läßt sich nicht verkennen. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, in wie fern unter den Asiatischen Gesetzgebungen ein wirklich genealogischer Zusammenhang Statt finden möch- te; genug, diese Einrichtung ist die natürlichste und ursprünglichste, besonders seitdem ein gemein- schaftlicher Glaube unter den sogenannten Bar- baren des Mittelalters die Idee eines unsichtba- ren obersten Lehnsherrn festgestellt hatte, und demnach der sichtbare Süzerän, als der Stell- vertreter jenes unsichtbaren, anerkannt war. -- Wie weit man davon entfernt war, dem obersten Lehnsherrn ein unbedingtes Eigenthum über die Landschaften, welche er verlieh, zuzugestehen, ist jedem Kenner des Mittelalters wohl bekannt. --
Man sollte doch nie übersehen, daß der Grundgedanke des gesammten Lehns-Systems eigentlich der ist: Es giebt nur Nießbrauch, aber keinen unbedingten Besitz. Und da man dem zu Folge dem Grundeigenthum etwas Per- sönliches, Unveräußerliches, Heiliges zugestand, so war der Tausch: Besitz gegen Dienste, keinesweges unnatürlich, wie ihn gegenwärtig die dürre Weisheit und die haushälterische Hu- manität unsres Jahrhunderts findet, nachdem sie zu der tiefen Einsicht gekommen ist, daß die
ſtaͤmme, welche von Oſten her uͤber das Roͤmi- ſche Reich fielen, laͤßt ſich nicht verkennen. Es iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen, in wie fern unter den Aſiatiſchen Geſetzgebungen ein wirklich genealogiſcher Zuſammenhang Statt finden moͤch- te; genug, dieſe Einrichtung iſt die natuͤrlichſte und urſpruͤnglichſte, beſonders ſeitdem ein gemein- ſchaftlicher Glaube unter den ſogenannten Bar- baren des Mittelalters die Idee eines unſichtba- ren oberſten Lehnsherrn feſtgeſtellt hatte, und demnach der ſichtbare Suͤzeraͤn, als der Stell- vertreter jenes unſichtbaren, anerkannt war. — Wie weit man davon entfernt war, dem oberſten Lehnsherrn ein unbedingtes Eigenthum uͤber die Landſchaften, welche er verlieh, zuzugeſtehen, iſt jedem Kenner des Mittelalters wohl bekannt. —
Man ſollte doch nie uͤberſehen, daß der Grundgedanke des geſammten Lehns-Syſtems eigentlich der iſt: Es giebt nur Nießbrauch, aber keinen unbedingten Beſitz. Und da man dem zu Folge dem Grundeigenthum etwas Per- ſoͤnliches, Unveraͤußerliches, Heiliges zugeſtand, ſo war der Tauſch: Beſitz gegen Dienſte, keinesweges unnatuͤrlich, wie ihn gegenwaͤrtig die duͤrre Weisheit und die haushaͤlteriſche Hu- manitaͤt unſres Jahrhunderts findet, nachdem ſie zu der tiefen Einſicht gekommen iſt, daß die
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ſtaͤmme, welche von Oſten her uͤber das Roͤmi-
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iſt hier nicht der Ort, zu unterſuchen, in wie fern
unter den Aſiatiſchen Geſetzgebungen ein wirklich
genealogiſcher Zuſammenhang Statt finden moͤch-
te; genug, dieſe Einrichtung iſt die natuͤrlichſte
und urſpruͤnglichſte, beſonders ſeitdem ein gemein-
ſchaftlicher Glaube unter den ſogenannten Bar-
baren des Mittelalters die Idee eines unſichtba-
ren oberſten Lehnsherrn feſtgeſtellt hatte, und
demnach der ſichtbare Suͤzeraͤn, als der Stell-
vertreter jenes unſichtbaren, anerkannt war. —
Wie weit man davon entfernt war, dem oberſten
Lehnsherrn ein unbedingtes Eigenthum uͤber die
Landſchaften, welche er verlieh, zuzugeſtehen, iſt
jedem Kenner des Mittelalters wohl bekannt. —
Man ſollte doch nie uͤberſehen, daß der
Grundgedanke des geſammten Lehns-Syſtems
eigentlich der iſt: Es giebt nur Nießbrauch,
aber keinen unbedingten Beſitz. Und da man
dem zu Folge dem Grundeigenthum etwas Per-
ſoͤnliches, Unveraͤußerliches, Heiliges zugeſtand,
ſo war der Tauſch: Beſitz gegen Dienſte,
keinesweges unnatuͤrlich, wie ihn gegenwaͤrtig
die duͤrre Weisheit und die haushaͤlteriſche Hu-
manitaͤt unſres Jahrhunderts findet, nachdem
ſie zu der tiefen Einſicht gekommen iſt, daß die
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/87>, abgerufen am 23.11.2024.
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