Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

überall das Streben, den Bürger zu jedem mög-
lichen Opfer an die Staatsform zu erziehen.

Im Taumel der Griechischen National-Feste
erneuerte sich noch oft die alte Einigkeit der Grie-
chischen Götterfamilie: die Poesie und die Kunst
belebten die Ideen wieder; aber der schöne Rausch
ward vergessen, wenn die Stämme wieder in
ihre abgesonderten Wohnsitze zurückkehrten. Das
Verhältniß der Griechischen Götter war allezeit
ein lebendiges Bild von dem Verhältnisse der
Griechischen Stämme: viel Schönheit, viel Le-
benskraft, viel Macht, viel Hoheit der Gesin-
nung, aber keine unerschütterliche Einheit, aber
viel unauflösliche Knoten. Ueber allen Göttern,
wie über allen Stämmen der Griechen, waltet
ein dunkles Schicksal, während der einfache klare
Gedanke des Jehova über die Stämme Israels
herrscht. Jene sind seit Alexander, d. h. nun
seit zweitausend Jahren, nicht mehr; diese,
wiewohl sie das neue höhere Leben, welches ih-
nen angeboten wurde, verschmähet haben, halten
heute noch, im äußersten Elende, aber dafür
auch nun schon im vierten Jahrtausend, den Ge-
danken der politischen Dauer fest. -- Das ist die
Frucht der Mosaischen Erziehung, und so tief
gräbt sich, was unter erhabenen Leiden gewonnen
ist, dem Gemüthe der Menschheit ein! Daß sich

uͤberall das Streben, den Buͤrger zu jedem moͤg-
lichen Opfer an die Staatsform zu erziehen.

Im Taumel der Griechiſchen National-Feſte
erneuerte ſich noch oft die alte Einigkeit der Grie-
chiſchen Goͤtterfamilie: die Poeſie und die Kunſt
belebten die Ideen wieder; aber der ſchoͤne Rauſch
ward vergeſſen, wenn die Staͤmme wieder in
ihre abgeſonderten Wohnſitze zuruͤckkehrten. Das
Verhaͤltniß der Griechiſchen Goͤtter war allezeit
ein lebendiges Bild von dem Verhaͤltniſſe der
Griechiſchen Staͤmme: viel Schoͤnheit, viel Le-
benskraft, viel Macht, viel Hoheit der Geſin-
nung, aber keine unerſchuͤtterliche Einheit, aber
viel unaufloͤsliche Knoten. Ueber allen Goͤttern,
wie uͤber allen Staͤmmen der Griechen, waltet
ein dunkles Schickſal, waͤhrend der einfache klare
Gedanke des Jehova uͤber die Staͤmme Iſraels
herrſcht. Jene ſind ſeit Alexander, d. h. nun
ſeit zweitauſend Jahren, nicht mehr; dieſe,
wiewohl ſie das neue hoͤhere Leben, welches ih-
nen angeboten wurde, verſchmaͤhet haben, halten
heute noch, im aͤußerſten Elende, aber dafuͤr
auch nun ſchon im vierten Jahrtauſend, den Ge-
danken der politiſchen Dauer feſt. — Das iſt die
Frucht der Moſaiſchen Erziehung, und ſo tief
graͤbt ſich, was unter erhabenen Leiden gewonnen
iſt, dem Gemuͤthe der Menſchheit ein! Daß ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
u&#x0364;berall das Streben, den Bu&#x0364;rger zu jedem mo&#x0364;g-<lb/>
lichen Opfer an die Staatsform zu erziehen.</p><lb/>
            <p>Im Taumel der Griechi&#x017F;chen National-Fe&#x017F;te<lb/>
erneuerte &#x017F;ich noch oft die alte Einigkeit der Grie-<lb/>
chi&#x017F;chen Go&#x0364;tterfamilie: die Poe&#x017F;ie und die Kun&#x017F;t<lb/>
belebten die Ideen wieder; aber der &#x017F;cho&#x0364;ne Rau&#x017F;ch<lb/>
ward verge&#x017F;&#x017F;en, wenn die Sta&#x0364;mme wieder in<lb/>
ihre abge&#x017F;onderten Wohn&#x017F;itze zuru&#x0364;ckkehrten. Das<lb/>
Verha&#x0364;ltniß der Griechi&#x017F;chen Go&#x0364;tter war allezeit<lb/>
ein lebendiges Bild von dem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Griechi&#x017F;chen Sta&#x0364;mme: viel Scho&#x0364;nheit, viel Le-<lb/>
benskraft, viel Macht, viel Hoheit der Ge&#x017F;in-<lb/>
nung, aber keine uner&#x017F;chu&#x0364;tterliche Einheit, aber<lb/>
viel unauflo&#x0364;sliche Knoten. Ueber allen Go&#x0364;ttern,<lb/>
wie u&#x0364;ber allen Sta&#x0364;mmen der Griechen, waltet<lb/>
ein dunkles Schick&#x017F;al, wa&#x0364;hrend der einfache klare<lb/>
Gedanke des Jehova u&#x0364;ber die Sta&#x0364;mme I&#x017F;raels<lb/>
herr&#x017F;cht. Jene &#x017F;ind &#x017F;eit Alexander, d. h. nun<lb/>
&#x017F;eit zweitau&#x017F;end Jahren, nicht mehr; die&#x017F;e,<lb/>
wiewohl &#x017F;ie das neue ho&#x0364;here Leben, welches ih-<lb/>
nen angeboten wurde, ver&#x017F;chma&#x0364;het haben, halten<lb/>
heute noch, im a&#x0364;ußer&#x017F;ten Elende, aber dafu&#x0364;r<lb/>
auch nun &#x017F;chon im vierten Jahrtau&#x017F;end, den Ge-<lb/>
danken der politi&#x017F;chen Dauer fe&#x017F;t. &#x2014; Das i&#x017F;t die<lb/>
Frucht der Mo&#x017F;ai&#x017F;chen Erziehung, und &#x017F;o tief<lb/>
gra&#x0364;bt &#x017F;ich, was unter erhabenen Leiden gewonnen<lb/>
i&#x017F;t, dem Gemu&#x0364;the der Men&#x017F;chheit ein! Daß &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] uͤberall das Streben, den Buͤrger zu jedem moͤg- lichen Opfer an die Staatsform zu erziehen. Im Taumel der Griechiſchen National-Feſte erneuerte ſich noch oft die alte Einigkeit der Grie- chiſchen Goͤtterfamilie: die Poeſie und die Kunſt belebten die Ideen wieder; aber der ſchoͤne Rauſch ward vergeſſen, wenn die Staͤmme wieder in ihre abgeſonderten Wohnſitze zuruͤckkehrten. Das Verhaͤltniß der Griechiſchen Goͤtter war allezeit ein lebendiges Bild von dem Verhaͤltniſſe der Griechiſchen Staͤmme: viel Schoͤnheit, viel Le- benskraft, viel Macht, viel Hoheit der Geſin- nung, aber keine unerſchuͤtterliche Einheit, aber viel unaufloͤsliche Knoten. Ueber allen Goͤttern, wie uͤber allen Staͤmmen der Griechen, waltet ein dunkles Schickſal, waͤhrend der einfache klare Gedanke des Jehova uͤber die Staͤmme Iſraels herrſcht. Jene ſind ſeit Alexander, d. h. nun ſeit zweitauſend Jahren, nicht mehr; dieſe, wiewohl ſie das neue hoͤhere Leben, welches ih- nen angeboten wurde, verſchmaͤhet haben, halten heute noch, im aͤußerſten Elende, aber dafuͤr auch nun ſchon im vierten Jahrtauſend, den Ge- danken der politiſchen Dauer feſt. — Das iſt die Frucht der Moſaiſchen Erziehung, und ſo tief graͤbt ſich, was unter erhabenen Leiden gewonnen iſt, dem Gemuͤthe der Menſchheit ein! Daß ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/44
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/44>, abgerufen am 23.11.2024.