suveräne Idee, unerreichbar, unbeschränkt und ewig, über den zwölf Stämmen auf; ihre unbe- dingte, einige Anerkennung ward das erste aller Gesetze: er brauchte also nie jenes ungebührliche Gewicht auf die staatsrechtlichen Formen zu le- gen, welches die Griechen, in Ermangelung der einigen Idee, nicht entbehren konnten. Die ein- zelnen Stämme der Israeliten hatten oft die verschiedenartigsten Staatsformen, wie sie sich in Griechenland nur vorfinden mögen; ohne ir- gend eine Zertrümmerung ging man von Einer Form in die ganz entgegengesetzte über; der Ver- band des Ganzen blieb immer unangefochten, erhaben über die Zwietracht der Vergänglichen, während in Griechenland, wie ideenreich und le- bendig auch der Jugendglaube dieses Volkes ge- wesen seyn mag, dennoch, weil das Princip des einzigen Gottes fehlte, je mehr die einzelnen Ideen ausstarben und zu Begriffen erstarreten, nun nach künstlichen, vergänglichen Bändern gegriffen wer- den mußte, da das natürliche und ewige unhalt- bar war.
Man betrachte das, was wir von den Ge- setzen des Drako, des Solon, des Lykurg und des Zaleukus wissen; man lese die Bücher des Aristoteles von der Republik: überall ragen Cri- minal-Gesetzgebung und Staatsrecht hervor;
ſuveraͤne Idee, unerreichbar, unbeſchraͤnkt und ewig, uͤber den zwoͤlf Staͤmmen auf; ihre unbe- dingte, einige Anerkennung ward das erſte aller Geſetze: er brauchte alſo nie jenes ungebuͤhrliche Gewicht auf die ſtaatsrechtlichen Formen zu le- gen, welches die Griechen, in Ermangelung der einigen Idee, nicht entbehren konnten. Die ein- zelnen Staͤmme der Iſraeliten hatten oft die verſchiedenartigſten Staatsformen, wie ſie ſich in Griechenland nur vorfinden moͤgen; ohne ir- gend eine Zertruͤmmerung ging man von Einer Form in die ganz entgegengeſetzte uͤber; der Ver- band des Ganzen blieb immer unangefochten, erhaben uͤber die Zwietracht der Vergaͤnglichen, waͤhrend in Griechenland, wie ideenreich und le- bendig auch der Jugendglaube dieſes Volkes ge- weſen ſeyn mag, dennoch, weil das Princip des einzigen Gottes fehlte, je mehr die einzelnen Ideen ausſtarben und zu Begriffen erſtarreten, nun nach kuͤnſtlichen, vergaͤnglichen Baͤndern gegriffen wer- den mußte, da das natuͤrliche und ewige unhalt- bar war.
Man betrachte das, was wir von den Ge- ſetzen des Drako, des Solon, des Lykurg und des Zaleukus wiſſen; man leſe die Buͤcher des Ariſtoteles von der Republik: uͤberall ragen Cri- minal-Geſetzgebung und Staatsrecht hervor;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0043"n="35"/>ſuveraͤne Idee, unerreichbar, unbeſchraͤnkt und<lb/>
ewig, uͤber den zwoͤlf Staͤmmen auf; ihre unbe-<lb/>
dingte, einige Anerkennung ward das erſte aller<lb/>
Geſetze: er brauchte alſo nie jenes ungebuͤhrliche<lb/>
Gewicht auf die ſtaatsrechtlichen Formen zu le-<lb/>
gen, welches die Griechen, in Ermangelung der<lb/>
einigen Idee, nicht entbehren konnten. Die ein-<lb/>
zelnen Staͤmme der Iſraeliten hatten oft die<lb/>
verſchiedenartigſten Staatsformen, wie ſie ſich<lb/>
in Griechenland nur vorfinden moͤgen; ohne ir-<lb/>
gend eine Zertruͤmmerung ging man von Einer<lb/>
Form in die ganz entgegengeſetzte uͤber; der Ver-<lb/>
band des Ganzen blieb immer unangefochten,<lb/>
erhaben uͤber die Zwietracht der Vergaͤnglichen,<lb/>
waͤhrend in Griechenland, wie ideenreich und le-<lb/>
bendig auch der Jugendglaube dieſes Volkes ge-<lb/>
weſen ſeyn mag, dennoch, weil das Princip des<lb/>
einzigen Gottes fehlte, je mehr die einzelnen Ideen<lb/>
ausſtarben und zu Begriffen erſtarreten, nun nach<lb/>
kuͤnſtlichen, vergaͤnglichen Baͤndern gegriffen wer-<lb/>
den mußte, da das natuͤrliche und ewige unhalt-<lb/>
bar war.</p><lb/><p>Man betrachte das, was wir von den Ge-<lb/>ſetzen des Drako, des Solon, des Lykurg und<lb/>
des Zaleukus wiſſen; man leſe die Buͤcher des<lb/>
Ariſtoteles von der Republik: uͤberall ragen Cri-<lb/>
minal-Geſetzgebung und Staatsrecht hervor;<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[35/0043]
ſuveraͤne Idee, unerreichbar, unbeſchraͤnkt und
ewig, uͤber den zwoͤlf Staͤmmen auf; ihre unbe-
dingte, einige Anerkennung ward das erſte aller
Geſetze: er brauchte alſo nie jenes ungebuͤhrliche
Gewicht auf die ſtaatsrechtlichen Formen zu le-
gen, welches die Griechen, in Ermangelung der
einigen Idee, nicht entbehren konnten. Die ein-
zelnen Staͤmme der Iſraeliten hatten oft die
verſchiedenartigſten Staatsformen, wie ſie ſich
in Griechenland nur vorfinden moͤgen; ohne ir-
gend eine Zertruͤmmerung ging man von Einer
Form in die ganz entgegengeſetzte uͤber; der Ver-
band des Ganzen blieb immer unangefochten,
erhaben uͤber die Zwietracht der Vergaͤnglichen,
waͤhrend in Griechenland, wie ideenreich und le-
bendig auch der Jugendglaube dieſes Volkes ge-
weſen ſeyn mag, dennoch, weil das Princip des
einzigen Gottes fehlte, je mehr die einzelnen Ideen
ausſtarben und zu Begriffen erſtarreten, nun nach
kuͤnſtlichen, vergaͤnglichen Baͤndern gegriffen wer-
den mußte, da das natuͤrliche und ewige unhalt-
bar war.
Man betrachte das, was wir von den Ge-
ſetzen des Drako, des Solon, des Lykurg und
des Zaleukus wiſſen; man leſe die Buͤcher des
Ariſtoteles von der Republik: uͤberall ragen Cri-
minal-Geſetzgebung und Staatsrecht hervor;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/43>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.