Alle Gesetzgebungen des Alterthums sind im Anfange aus Zuständen der Völker entsprungen, in denen Religion, Sitte und Recht noch Eins und unzertrennlich waren; eben so die Griechi- sche. Wir Zergliederer sondern den irdischen Theil von dem unsterblichen Theile jener drei göttlichen Ideen unter den Nahmen Religions- gesetze, Sittengesetze und Rechtsgesetze aus, und übertragen ihn dem Staate; während der unsterb- liche Theil, der Geist der Religion, der Sitte und des Rechtes, sich selbst überlassen, und nie als ein öffentliches Gut betrachtet wird. So ist denn alles Regieren bei uns blindes Würfelspiel, das Mischen und Kneten einer Masse, die eigent- lich von der Natur nach chemischen Grundge- setzen regiert wird, welche wir nicht kennen, oder deren Beistand wir mit unedler Eitelkeit ver-
Zwoͤlfte Vorleſung.
Geiſt der Griechiſchen Geſetzgebungen.
Alle Geſetzgebungen des Alterthums ſind im Anfange aus Zuſtaͤnden der Voͤlker entſprungen, in denen Religion, Sitte und Recht noch Eins und unzertrennlich waren; eben ſo die Griechi- ſche. Wir Zergliederer ſondern den irdiſchen Theil von dem unſterblichen Theile jener drei goͤttlichen Ideen unter den Nahmen Religions- geſetze, Sittengeſetze und Rechtsgeſetze aus, und uͤbertragen ihn dem Staate; waͤhrend der unſterb- liche Theil, der Geiſt der Religion, der Sitte und des Rechtes, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und nie als ein oͤffentliches Gut betrachtet wird. So iſt denn alles Regieren bei uns blindes Wuͤrfelſpiel, das Miſchen und Kneten einer Maſſe, die eigent- lich von der Natur nach chemiſchen Grundge- ſetzen regiert wird, welche wir nicht kennen, oder deren Beiſtand wir mit unedler Eitelkeit ver-
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Zwoͤlfte Vorleſung.
Geiſt der Griechiſchen Geſetzgebungen.
Alle Geſetzgebungen des Alterthums ſind im
Anfange aus Zuſtaͤnden der Voͤlker entſprungen,
in denen Religion, Sitte und Recht noch Eins
und unzertrennlich waren; eben ſo die Griechi-
ſche. Wir Zergliederer ſondern den irdiſchen
Theil von dem unſterblichen Theile jener drei
goͤttlichen Ideen unter den Nahmen Religions-
geſetze, Sittengeſetze und Rechtsgeſetze aus, und
uͤbertragen ihn dem Staate; waͤhrend der unſterb-
liche Theil, der Geiſt der Religion, der Sitte
und des Rechtes, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, und nie
als ein oͤffentliches Gut betrachtet wird. So iſt
denn alles Regieren bei uns blindes Wuͤrfelſpiel,
das Miſchen und Kneten einer Maſſe, die eigent-
lich von der Natur nach chemiſchen Grundge-
ſetzen regiert wird, welche wir nicht kennen, oder
deren Beiſtand wir mit unedler Eitelkeit ver-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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