Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht weniger wichtig als die Richter, führten diese
Stammtafeln; und so ward die ursprüngliche, al-
len Urvölkern der Erde gemeinschaftliche, Heilig-
haltung der Familien-Vorfahren von Moses
durch wirkliche Gesetze bekräftigt und festgehal-
ten, während sie in Griechenland und Rom mehr
und mehr zurücktrat hinter die Bewunderung
der Thaten und Verdienste des Einzelnen, und
hinter die weltliche Anhänglichkeit an der so viel-
fältig blühenden Gegenwart. Aller Ruhm der
einzelnen Israeliten, ein noch höherer selbst als
der, welcher durch Thaten gewonnen wird, lag
in den Stammtafeln. Seinen Nahmen dort zu
erhalten, welches nur durch Fortpflanzung des
Geschlechtes geschehen konnte, indem die Kinder-
losen aus den Geschlechtsregistern weggestrichen
wurden, war der höchste Zweck des Lebens,
viele Nachkommen der größte Segen, Unfrucht-
barkeit der höchste Fluch, der in diesem Volke
vernommen wurde.

Vor allen andern Eigenheiten nun ragt aus
den Mosaischen Gesetzen allenthalben der Ge-
danke hervor: Israel sey das auserwählte Volk
Gottes. Während den übrigen Völkern des Al-
terthums eine glückliche Jugend zu Theil wurde,
hatte dieses Volk gerade seine ganze Jugend hin-
durch die härtesten Prüfungen bestanden; aber

nicht weniger wichtig als die Richter, fuͤhrten dieſe
Stammtafeln; und ſo ward die urſpruͤngliche, al-
len Urvoͤlkern der Erde gemeinſchaftliche, Heilig-
haltung der Familien-Vorfahren von Moſes
durch wirkliche Geſetze bekraͤftigt und feſtgehal-
ten, waͤhrend ſie in Griechenland und Rom mehr
und mehr zuruͤcktrat hinter die Bewunderung
der Thaten und Verdienſte des Einzelnen, und
hinter die weltliche Anhaͤnglichkeit an der ſo viel-
faͤltig bluͤhenden Gegenwart. Aller Ruhm der
einzelnen Iſraeliten, ein noch hoͤherer ſelbſt als
der, welcher durch Thaten gewonnen wird, lag
in den Stammtafeln. Seinen Nahmen dort zu
erhalten, welches nur durch Fortpflanzung des
Geſchlechtes geſchehen konnte, indem die Kinder-
loſen aus den Geſchlechtsregiſtern weggeſtrichen
wurden, war der hoͤchſte Zweck des Lebens,
viele Nachkommen der groͤßte Segen, Unfrucht-
barkeit der hoͤchſte Fluch, der in dieſem Volke
vernommen wurde.

Vor allen andern Eigenheiten nun ragt aus
den Moſaiſchen Geſetzen allenthalben der Ge-
danke hervor: Iſrael ſey das auserwaͤhlte Volk
Gottes. Waͤhrend den uͤbrigen Voͤlkern des Al-
terthums eine gluͤckliche Jugend zu Theil wurde,
hatte dieſes Volk gerade ſeine ganze Jugend hin-
durch die haͤrteſten Pruͤfungen beſtanden; aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0030" n="22"/>
nicht weniger wichtig als die Richter, fu&#x0364;hrten die&#x017F;e<lb/>
Stammtafeln; und &#x017F;o ward die ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche, al-<lb/>
len Urvo&#x0364;lkern der Erde gemein&#x017F;chaftliche, Heilig-<lb/>
haltung der Familien-Vorfahren von Mo&#x017F;es<lb/>
durch wirkliche Ge&#x017F;etze bekra&#x0364;ftigt und fe&#x017F;tgehal-<lb/>
ten, wa&#x0364;hrend &#x017F;ie in Griechenland und Rom mehr<lb/>
und mehr zuru&#x0364;cktrat hinter die Bewunderung<lb/>
der Thaten und Verdien&#x017F;te des Einzelnen, und<lb/>
hinter die weltliche Anha&#x0364;nglichkeit an der &#x017F;o viel-<lb/>
fa&#x0364;ltig blu&#x0364;henden Gegenwart. Aller Ruhm der<lb/>
einzelnen I&#x017F;raeliten, ein noch ho&#x0364;herer &#x017F;elb&#x017F;t als<lb/><hi rendition="#g">der</hi>, welcher durch Thaten gewonnen wird, lag<lb/>
in den Stammtafeln. Seinen Nahmen dort zu<lb/>
erhalten, welches nur durch Fortpflanzung des<lb/>
Ge&#x017F;chlechtes ge&#x017F;chehen konnte, indem die Kinder-<lb/>
lo&#x017F;en aus den Ge&#x017F;chlechtsregi&#x017F;tern wegge&#x017F;trichen<lb/>
wurden, war der ho&#x0364;ch&#x017F;te Zweck des Lebens,<lb/>
viele Nachkommen der gro&#x0364;ßte Segen, Unfrucht-<lb/>
barkeit der ho&#x0364;ch&#x017F;te Fluch, der in die&#x017F;em Volke<lb/>
vernommen wurde.</p><lb/>
            <p>Vor allen andern Eigenheiten nun ragt aus<lb/>
den Mo&#x017F;ai&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen allenthalben der Ge-<lb/>
danke hervor: I&#x017F;rael &#x017F;ey das auserwa&#x0364;hlte Volk<lb/>
Gottes. Wa&#x0364;hrend den u&#x0364;brigen Vo&#x0364;lkern des Al-<lb/>
terthums eine glu&#x0364;ckliche Jugend zu Theil wurde,<lb/>
hatte die&#x017F;es Volk gerade &#x017F;eine ganze Jugend hin-<lb/>
durch die ha&#x0364;rte&#x017F;ten Pru&#x0364;fungen be&#x017F;tanden; aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0030] nicht weniger wichtig als die Richter, fuͤhrten dieſe Stammtafeln; und ſo ward die urſpruͤngliche, al- len Urvoͤlkern der Erde gemeinſchaftliche, Heilig- haltung der Familien-Vorfahren von Moſes durch wirkliche Geſetze bekraͤftigt und feſtgehal- ten, waͤhrend ſie in Griechenland und Rom mehr und mehr zuruͤcktrat hinter die Bewunderung der Thaten und Verdienſte des Einzelnen, und hinter die weltliche Anhaͤnglichkeit an der ſo viel- faͤltig bluͤhenden Gegenwart. Aller Ruhm der einzelnen Iſraeliten, ein noch hoͤherer ſelbſt als der, welcher durch Thaten gewonnen wird, lag in den Stammtafeln. Seinen Nahmen dort zu erhalten, welches nur durch Fortpflanzung des Geſchlechtes geſchehen konnte, indem die Kinder- loſen aus den Geſchlechtsregiſtern weggeſtrichen wurden, war der hoͤchſte Zweck des Lebens, viele Nachkommen der groͤßte Segen, Unfrucht- barkeit der hoͤchſte Fluch, der in dieſem Volke vernommen wurde. Vor allen andern Eigenheiten nun ragt aus den Moſaiſchen Geſetzen allenthalben der Ge- danke hervor: Iſrael ſey das auserwaͤhlte Volk Gottes. Waͤhrend den uͤbrigen Voͤlkern des Al- terthums eine gluͤckliche Jugend zu Theil wurde, hatte dieſes Volk gerade ſeine ganze Jugend hin- durch die haͤrteſten Pruͤfungen beſtanden; aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/30
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/30>, abgerufen am 24.11.2024.