Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

nungen der Theorie von der Praxis: das eigent-
liche Heft der Regierung der Umstände, welches
Colbert, wie sich aus dem Erfolge zeigt, noch
in hohem Grade festzuhalten wußte, ist aus un-
seren Händen genommen; daher spielen unsre
Weltverbesserer eine so traurige Rolle.

Ehe Ihr die Herzen nicht befreien könnt,
werdet Ihr die Industrie nicht befreien. Auch
hier werden wir -- da wir es gründlicher mei-
nen, und uns nicht, wie die Mode-Oekonomen,
damit begnügen, die Theorie auszufeilen -- zur
Ansicht des gesammten Staatshauswesens und
jenes National-Geldes hingedrängt, von welchem
ich neulich sprach. --

Dem Staate Abgaben bezahlen, heißt, nach
den Ansichten aller gemeinen Seelen, etwas weg-
geben, das man selbst entbehrt oder durch das
Weggeben verliert: der Staat, meinen sie, ge-
winnt auf Kosten der Staatsbürger, wenn er
nicht durch glückliche Kriege das Ausland zu
zahlen nöthigt; der Bürger auf Kosten des Staa-
tes, wenn er sich nicht durch kluge Speculation
oder Fabrication an dem Auslande schadlos hält.
Ungefähr eben so räsonnirten die gebildeten Leute:
was wir an Bürger-Charakter verlieren, kommt
uns als Menschen zu gute, und die Bürger-
pflichten, die Amts- oder, wie man es noch be-

nungen der Theorie von der Praxis: das eigent-
liche Heft der Regierung der Umſtaͤnde, welches
Colbert, wie ſich aus dem Erfolge zeigt, noch
in hohem Grade feſtzuhalten wußte, iſt aus un-
ſeren Haͤnden genommen; daher ſpielen unſre
Weltverbeſſerer eine ſo traurige Rolle.

Ehe Ihr die Herzen nicht befreien koͤnnt,
werdet Ihr die Induſtrie nicht befreien. Auch
hier werden wir — da wir es gruͤndlicher mei-
nen, und uns nicht, wie die Mode-Oekonomen,
damit begnuͤgen, die Theorie auszufeilen — zur
Anſicht des geſammten Staatshausweſens und
jenes National-Geldes hingedraͤngt, von welchem
ich neulich ſprach. —

Dem Staate Abgaben bezahlen, heißt, nach
den Anſichten aller gemeinen Seelen, etwas weg-
geben, das man ſelbſt entbehrt oder durch das
Weggeben verliert: der Staat, meinen ſie, ge-
winnt auf Koſten der Staatsbuͤrger, wenn er
nicht durch gluͤckliche Kriege das Ausland zu
zahlen noͤthigt; der Buͤrger auf Koſten des Staa-
tes, wenn er ſich nicht durch kluge Speculation
oder Fabrication an dem Auslande ſchadlos haͤlt.
Ungefaͤhr eben ſo raͤſonnirten die gebildeten Leute:
was wir an Buͤrger-Charakter verlieren, kommt
uns als Menſchen zu gute, und die Buͤrger-
pflichten, die Amts- oder, wie man es noch be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0221" n="213"/>
nungen der Theorie von der Praxis: das eigent-<lb/>
liche Heft der Regierung der Um&#x017F;ta&#x0364;nde, welches<lb/>
Colbert, wie &#x017F;ich aus dem Erfolge zeigt, noch<lb/>
in hohem Grade fe&#x017F;tzuhalten wußte, i&#x017F;t aus un-<lb/>
&#x017F;eren Ha&#x0364;nden genommen; daher &#x017F;pielen un&#x017F;re<lb/>
Weltverbe&#x017F;&#x017F;erer eine &#x017F;o traurige Rolle.</p><lb/>
            <p>Ehe Ihr die <hi rendition="#g">Herzen</hi> nicht befreien ko&#x0364;nnt,<lb/>
werdet Ihr die <hi rendition="#g">Indu&#x017F;trie</hi> nicht befreien. Auch<lb/>
hier werden wir &#x2014; da wir es gru&#x0364;ndlicher mei-<lb/>
nen, und uns nicht, wie die Mode-Oekonomen,<lb/>
damit begnu&#x0364;gen, die Theorie auszufeilen &#x2014; zur<lb/>
An&#x017F;icht des ge&#x017F;ammten Staatshauswe&#x017F;ens und<lb/>
jenes National-Geldes hingedra&#x0364;ngt, von welchem<lb/>
ich neulich &#x017F;prach. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Dem Staate Abgaben bezahlen, heißt, nach<lb/>
den An&#x017F;ichten aller gemeinen Seelen, etwas weg-<lb/>
geben, das man &#x017F;elb&#x017F;t entbehrt oder durch das<lb/>
Weggeben verliert: der Staat, meinen &#x017F;ie, ge-<lb/>
winnt auf Ko&#x017F;ten der Staatsbu&#x0364;rger, wenn er<lb/>
nicht durch glu&#x0364;ckliche Kriege das Ausland zu<lb/>
zahlen no&#x0364;thigt; der Bu&#x0364;rger auf Ko&#x017F;ten des Staa-<lb/>
tes, wenn er &#x017F;ich nicht durch kluge Speculation<lb/>
oder Fabrication an dem Auslande &#x017F;chadlos ha&#x0364;lt.<lb/>
Ungefa&#x0364;hr eben &#x017F;o ra&#x0364;&#x017F;onnirten die gebildeten Leute:<lb/>
was wir an <hi rendition="#g">Bu&#x0364;rger</hi>-Charakter verlieren, kommt<lb/>
uns als <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi> zu gute, und die Bu&#x0364;rger-<lb/>
pflichten, die Amts- oder, wie man es noch be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0221] nungen der Theorie von der Praxis: das eigent- liche Heft der Regierung der Umſtaͤnde, welches Colbert, wie ſich aus dem Erfolge zeigt, noch in hohem Grade feſtzuhalten wußte, iſt aus un- ſeren Haͤnden genommen; daher ſpielen unſre Weltverbeſſerer eine ſo traurige Rolle. Ehe Ihr die Herzen nicht befreien koͤnnt, werdet Ihr die Induſtrie nicht befreien. Auch hier werden wir — da wir es gruͤndlicher mei- nen, und uns nicht, wie die Mode-Oekonomen, damit begnuͤgen, die Theorie auszufeilen — zur Anſicht des geſammten Staatshausweſens und jenes National-Geldes hingedraͤngt, von welchem ich neulich ſprach. — Dem Staate Abgaben bezahlen, heißt, nach den Anſichten aller gemeinen Seelen, etwas weg- geben, das man ſelbſt entbehrt oder durch das Weggeben verliert: der Staat, meinen ſie, ge- winnt auf Koſten der Staatsbuͤrger, wenn er nicht durch gluͤckliche Kriege das Ausland zu zahlen noͤthigt; der Buͤrger auf Koſten des Staa- tes, wenn er ſich nicht durch kluge Speculation oder Fabrication an dem Auslande ſchadlos haͤlt. Ungefaͤhr eben ſo raͤſonnirten die gebildeten Leute: was wir an Buͤrger-Charakter verlieren, kommt uns als Menſchen zu gute, und die Buͤrger- pflichten, die Amts- oder, wie man es noch be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/221
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/221>, abgerufen am 23.11.2024.