Stadt-Interesse und das größere Interesse der Städtebünde, wie der Rheinische und der han- seatische, zugleich im Auge zu haben; und so konnte es wenigstens nie zu der strengen Abschei- dung des Privat- und des öffentlichen Interesse kommen, die gegenwärtig das A und das O un- srer Staatskunst ausmacht. Die einzelnen wich- tigsten Gewerbe, unter die sich das Gemeinbe- dürfniß vertheilt hatte, waren geschlossen; die Meister, Gesellen und Lehrlinge, die einem be- stimmten Gewerke zugethan waren, bildeten eine eigne moralische Person: so, bekanntlich, nicht et- wa bloß Weber, Fleischer, Schuster, sondern auch Dichter, Gelehrte und Künstler aller Art. Von hochmüthigen Unterscheidungen der schönen Kün- ste und Handwerke, wie sie dem Alexandrinischen und unserm Dilettanten-Zeitalter eigen ist, hiel- ten sie wenig; die Pfuscherei in allen Stücken war ihnen das Verhaßteste. In den gewöhnlich- sten Handwerken war ein lebendiger Geist, wie er sich noch heut zu Tage in den ehrwürdigen Zunft- und Innungsgebräuchen ankündigt; jedes einzelne Gewerk hielt sich für wichtig und eh- renvoll, um des großen und unentbehrlichen Dienstes willen, den es der Stadt leistete: wel- che Gründlichkeit, Selbstgefälligkeit und Ehrbar- keit in den uns aus jener Zeit hinterbliebenen
Stadt-Intereſſe und das groͤßere Intereſſe der Staͤdtebuͤnde, wie der Rheiniſche und der han- ſeatiſche, zugleich im Auge zu haben; und ſo konnte es wenigſtens nie zu der ſtrengen Abſchei- dung des Privat- und des oͤffentlichen Intereſſe kommen, die gegenwaͤrtig das A und das O un- ſrer Staatskunſt ausmacht. Die einzelnen wich- tigſten Gewerbe, unter die ſich das Gemeinbe- duͤrfniß vertheilt hatte, waren geſchloſſen; die Meiſter, Geſellen und Lehrlinge, die einem be- ſtimmten Gewerke zugethan waren, bildeten eine eigne moraliſche Perſon: ſo, bekanntlich, nicht et- wa bloß Weber, Fleiſcher, Schuſter, ſondern auch Dichter, Gelehrte und Kuͤnſtler aller Art. Von hochmuͤthigen Unterſcheidungen der ſchoͤnen Kuͤn- ſte und Handwerke, wie ſie dem Alexandriniſchen und unſerm Dilettanten-Zeitalter eigen iſt, hiel- ten ſie wenig; die Pfuſcherei in allen Stuͤcken war ihnen das Verhaßteſte. In den gewoͤhnlich- ſten Handwerken war ein lebendiger Geiſt, wie er ſich noch heut zu Tage in den ehrwuͤrdigen Zunft- und Innungsgebraͤuchen ankuͤndigt; jedes einzelne Gewerk hielt ſich fuͤr wichtig und eh- renvoll, um des großen und unentbehrlichen Dienſtes willen, den es der Stadt leiſtete: wel- che Gruͤndlichkeit, Selbſtgefaͤlligkeit und Ehrbar- keit in den uns aus jener Zeit hinterbliebenen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0148"n="140"/>
Stadt-Intereſſe und das groͤßere Intereſſe der<lb/>
Staͤdtebuͤnde, wie der Rheiniſche und der han-<lb/>ſeatiſche, zugleich im Auge zu haben; und ſo<lb/>
konnte es wenigſtens nie zu der ſtrengen Abſchei-<lb/>
dung des Privat- und des oͤffentlichen Intereſſe<lb/>
kommen, die gegenwaͤrtig das A und das O un-<lb/>ſrer Staatskunſt ausmacht. Die einzelnen wich-<lb/>
tigſten Gewerbe, unter die ſich das Gemeinbe-<lb/>
duͤrfniß vertheilt hatte, waren geſchloſſen; die<lb/>
Meiſter, Geſellen und Lehrlinge, die einem be-<lb/>ſtimmten Gewerke zugethan waren, bildeten eine<lb/>
eigne moraliſche Perſon: ſo, bekanntlich, nicht et-<lb/>
wa bloß Weber, Fleiſcher, Schuſter, ſondern auch<lb/>
Dichter, Gelehrte und Kuͤnſtler aller Art. Von<lb/>
hochmuͤthigen Unterſcheidungen der ſchoͤnen Kuͤn-<lb/>ſte und Handwerke, wie ſie dem Alexandriniſchen<lb/>
und unſerm Dilettanten-Zeitalter eigen iſt, hiel-<lb/>
ten ſie wenig; die Pfuſcherei in allen Stuͤcken<lb/>
war ihnen das Verhaßteſte. In den gewoͤhnlich-<lb/>ſten Handwerken war ein lebendiger Geiſt, wie<lb/>
er ſich noch heut zu Tage in den ehrwuͤrdigen<lb/>
Zunft- und Innungsgebraͤuchen ankuͤndigt; jedes<lb/>
einzelne Gewerk hielt ſich fuͤr wichtig und eh-<lb/>
renvoll, um des großen und unentbehrlichen<lb/>
Dienſtes willen, den es der Stadt leiſtete: wel-<lb/>
che Gruͤndlichkeit, Selbſtgefaͤlligkeit und Ehrbar-<lb/>
keit in den uns aus jener Zeit hinterbliebenen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[140/0148]
Stadt-Intereſſe und das groͤßere Intereſſe der
Staͤdtebuͤnde, wie der Rheiniſche und der han-
ſeatiſche, zugleich im Auge zu haben; und ſo
konnte es wenigſtens nie zu der ſtrengen Abſchei-
dung des Privat- und des oͤffentlichen Intereſſe
kommen, die gegenwaͤrtig das A und das O un-
ſrer Staatskunſt ausmacht. Die einzelnen wich-
tigſten Gewerbe, unter die ſich das Gemeinbe-
duͤrfniß vertheilt hatte, waren geſchloſſen; die
Meiſter, Geſellen und Lehrlinge, die einem be-
ſtimmten Gewerke zugethan waren, bildeten eine
eigne moraliſche Perſon: ſo, bekanntlich, nicht et-
wa bloß Weber, Fleiſcher, Schuſter, ſondern auch
Dichter, Gelehrte und Kuͤnſtler aller Art. Von
hochmuͤthigen Unterſcheidungen der ſchoͤnen Kuͤn-
ſte und Handwerke, wie ſie dem Alexandriniſchen
und unſerm Dilettanten-Zeitalter eigen iſt, hiel-
ten ſie wenig; die Pfuſcherei in allen Stuͤcken
war ihnen das Verhaßteſte. In den gewoͤhnlich-
ſten Handwerken war ein lebendiger Geiſt, wie
er ſich noch heut zu Tage in den ehrwuͤrdigen
Zunft- und Innungsgebraͤuchen ankuͤndigt; jedes
einzelne Gewerk hielt ſich fuͤr wichtig und eh-
renvoll, um des großen und unentbehrlichen
Dienſtes willen, den es der Stadt leiſtete: wel-
che Gruͤndlichkeit, Selbſtgefaͤlligkeit und Ehrbar-
keit in den uns aus jener Zeit hinterbliebenen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/148>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.