Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

strenge Privat-Eigenthum und das Geld-In-
teresse, in den letzteren Zeiten eine viel zu fried-
liche Gestalt angenommen haben. William Pitt
war während seines glorreichen Ministeriums be-
kanntlich genöthigt, gegen hundert neue Peers
zu ereiren. Ein beträchtlicher Theil des Geld-
Interesse ist demnach in das Lehns-Interesse hin-
über getragen, und das ganze Verhältniß beider
Häuser wesentlich verändert worden. Indeß, so
lange unter dem Volke im Allgemeinen der Geist
des feudalistischen Gehorsams und der Geist
der feudalistischen Freiheit die Oberhand be-
hält, ist dennoch keine wesentliche Veränderung
zu befürchten. --

Man hat in neueren Zeiten in Deutschland,
und vorzüglich auf Veranlassung der Französischen
Revolution, die Europäische Staatengeschichte
so dargestellt, als sey die Ausbildung des so ge-
nannten dritten Standes ihr Haupt-Object.
Spittler, damals in Göttingen, war es, welcher
der Staatengeschichte vornehmlich diese Richtung
gab. Es bedarf, nach allem bisher Gesagten, kei-
ner weiteren Auseinandersetzung, daß Ausbildung
des tiers-etat im Wesen nichts anderes heißt,
als Ausbildung des strengen Privat-Eigenthums-
rechtes, dem Lehns- und dem Kirchenrechte, oder
dem unvollständigen Familien- und dem corpora-

ſtrenge Privat-Eigenthum und das Geld-In-
tereſſe, in den letzteren Zeiten eine viel zu fried-
liche Geſtalt angenommen haben. William Pitt
war waͤhrend ſeines glorreichen Miniſteriums be-
kanntlich genoͤthigt, gegen hundert neue Peers
zu ereiren. Ein betraͤchtlicher Theil des Geld-
Intereſſe iſt demnach in das Lehns-Intereſſe hin-
uͤber getragen, und das ganze Verhaͤltniß beider
Haͤuſer weſentlich veraͤndert worden. Indeß, ſo
lange unter dem Volke im Allgemeinen der Geiſt
des feudaliſtiſchen Gehorſams und der Geiſt
der feudaliſtiſchen Freiheit die Oberhand be-
haͤlt, iſt dennoch keine weſentliche Veraͤnderung
zu befuͤrchten. —

Man hat in neueren Zeiten in Deutſchland,
und vorzuͤglich auf Veranlaſſung der Franzoͤſiſchen
Revolution, die Europaͤiſche Staatengeſchichte
ſo dargeſtellt, als ſey die Ausbildung des ſo ge-
nannten dritten Standes ihr Haupt-Object.
Spittler, damals in Goͤttingen, war es, welcher
der Staatengeſchichte vornehmlich dieſe Richtung
gab. Es bedarf, nach allem bisher Geſagten, kei-
ner weiteren Auseinanderſetzung, daß Ausbildung
des tiers-état im Weſen nichts anderes heißt,
als Ausbildung des ſtrengen Privat-Eigenthums-
rechtes, dem Lehns- und dem Kirchenrechte, oder
dem unvollſtaͤndigen Familien- und dem corpora-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="92"/>
&#x017F;trenge Privat-Eigenthum und das Geld-In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e, in den letzteren Zeiten eine viel zu fried-<lb/>
liche Ge&#x017F;talt angenommen haben. William Pitt<lb/>
war wa&#x0364;hrend &#x017F;eines glorreichen Mini&#x017F;teriums be-<lb/>
kanntlich geno&#x0364;thigt, gegen hundert neue Peers<lb/>
zu ereiren. Ein betra&#x0364;chtlicher Theil des Geld-<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t demnach in das Lehns-Intere&#x017F;&#x017F;e hin-<lb/>
u&#x0364;ber getragen, und das ganze Verha&#x0364;ltniß beider<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er we&#x017F;entlich vera&#x0364;ndert worden. Indeß, &#x017F;o<lb/>
lange unter dem Volke im Allgemeinen der Gei&#x017F;t<lb/>
des feudali&#x017F;ti&#x017F;chen <hi rendition="#g">Gehor&#x017F;ams</hi> und der Gei&#x017F;t<lb/>
der feudali&#x017F;ti&#x017F;chen <hi rendition="#g">Freiheit</hi> die Oberhand be-<lb/>
ha&#x0364;lt, i&#x017F;t dennoch keine we&#x017F;entliche Vera&#x0364;nderung<lb/>
zu befu&#x0364;rchten. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Man hat in neueren Zeiten in Deut&#x017F;chland,<lb/>
und vorzu&#x0364;glich auf Veranla&#x017F;&#x017F;ung der Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Revolution, die Europa&#x0364;i&#x017F;che Staatenge&#x017F;chichte<lb/>
&#x017F;o darge&#x017F;tellt, als &#x017F;ey die Ausbildung des &#x017F;o ge-<lb/>
nannten dritten Standes ihr Haupt-Object.<lb/>
Spittler, damals in Go&#x0364;ttingen, war es, welcher<lb/>
der Staatenge&#x017F;chichte vornehmlich die&#x017F;e Richtung<lb/>
gab. Es bedarf, nach allem bisher Ge&#x017F;agten, kei-<lb/>
ner weiteren Auseinander&#x017F;etzung, daß Ausbildung<lb/>
des <hi rendition="#aq">tiers-état</hi> im We&#x017F;en nichts anderes heißt,<lb/>
als Ausbildung des &#x017F;trengen Privat-Eigenthums-<lb/>
rechtes, dem Lehns- und dem Kirchenrechte, oder<lb/>
dem unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Familien- und dem corpora-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0100] ſtrenge Privat-Eigenthum und das Geld-In- tereſſe, in den letzteren Zeiten eine viel zu fried- liche Geſtalt angenommen haben. William Pitt war waͤhrend ſeines glorreichen Miniſteriums be- kanntlich genoͤthigt, gegen hundert neue Peers zu ereiren. Ein betraͤchtlicher Theil des Geld- Intereſſe iſt demnach in das Lehns-Intereſſe hin- uͤber getragen, und das ganze Verhaͤltniß beider Haͤuſer weſentlich veraͤndert worden. Indeß, ſo lange unter dem Volke im Allgemeinen der Geiſt des feudaliſtiſchen Gehorſams und der Geiſt der feudaliſtiſchen Freiheit die Oberhand be- haͤlt, iſt dennoch keine weſentliche Veraͤnderung zu befuͤrchten. — Man hat in neueren Zeiten in Deutſchland, und vorzuͤglich auf Veranlaſſung der Franzoͤſiſchen Revolution, die Europaͤiſche Staatengeſchichte ſo dargeſtellt, als ſey die Ausbildung des ſo ge- nannten dritten Standes ihr Haupt-Object. Spittler, damals in Goͤttingen, war es, welcher der Staatengeſchichte vornehmlich dieſe Richtung gab. Es bedarf, nach allem bisher Geſagten, kei- ner weiteren Auseinanderſetzung, daß Ausbildung des tiers-état im Weſen nichts anderes heißt, als Ausbildung des ſtrengen Privat-Eigenthums- rechtes, dem Lehns- und dem Kirchenrechte, oder dem unvollſtaͤndigen Familien- und dem corpora-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/100
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/100>, abgerufen am 02.05.2024.