Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies sind drei einfache Gedanken, selbst Kin-
dern begreiflich, scheinbar sich von selbst verste-
hend, dergleichen an die Spitze jeder Wissenschaft,
z. B. der Mathematik, gestellt zu werden pfle-
gen, von denen die ganze Wissenschaft ausgeht,
und zu denen sie unaufhörlich zurückkehrt; daher
zwar sehr leicht, aber auch sehr schwer, je nach-
dem man sie betrachten will.

Lassen Sie uns diese drei Wahrheiten noch
inniger und kräftiger zusammenfassen in eine ein-
zige, und diese so ausdrücken: der Mensch
ist nicht zu denken außerhalb des Staa-
tes
. "Wie!" höre ich fragen; "wenn er sich
im Kreise seiner Familie den leisesten und zarte-
sten Empfindungen des Lebens hingiebt, von
denen die Regierung nie etwas wissen oder er-
fahren kann; wenn er stille und heilige Pflichten
erfüllt, die vor keinen andern Richter gehören,
als vor sein eigenes Herz; ja, wenn er in tie-
fer Abgezogenheit, den Wissenschaften hingegeben,
lebt --: steht er in allen diesen Fällen nicht
wirklich außerhalb des Staates, auf einer Stelle,
wo ihn der Staat nicht erreichen kann? -- Fer-
ner: wo standen denn jene ersten Menschen, die
unsre Erde lange vorher bewohnt haben mögen,
ehe an irgend eine bürgerliche Verfassung zu
denken war? Wo stehen denn noch heut zu Tage

Dies ſind drei einfache Gedanken, ſelbſt Kin-
dern begreiflich, ſcheinbar ſich von ſelbſt verſte-
hend, dergleichen an die Spitze jeder Wiſſenſchaft,
z. B. der Mathematik, geſtellt zu werden pfle-
gen, von denen die ganze Wiſſenſchaft ausgeht,
und zu denen ſie unaufhoͤrlich zuruͤckkehrt; daher
zwar ſehr leicht, aber auch ſehr ſchwer, je nach-
dem man ſie betrachten will.

Laſſen Sie uns dieſe drei Wahrheiten noch
inniger und kraͤftiger zuſammenfaſſen in eine ein-
zige, und dieſe ſo ausdruͤcken: der Menſch
iſt nicht zu denken außerhalb des Staa-
tes
. „Wie!” hoͤre ich fragen; „wenn er ſich
im Kreiſe ſeiner Familie den leiſeſten und zarte-
ſten Empfindungen des Lebens hingiebt, von
denen die Regierung nie etwas wiſſen oder er-
fahren kann; wenn er ſtille und heilige Pflichten
erfuͤllt, die vor keinen andern Richter gehoͤren,
als vor ſein eigenes Herz; ja, wenn er in tie-
fer Abgezogenheit, den Wiſſenſchaften hingegeben,
lebt —: ſteht er in allen dieſen Faͤllen nicht
wirklich außerhalb des Staates, auf einer Stelle,
wo ihn der Staat nicht erreichen kann? — Fer-
ner: wo ſtanden denn jene erſten Menſchen, die
unſre Erde lange vorher bewohnt haben moͤgen,
ehe an irgend eine buͤrgerliche Verfaſſung zu
denken war? Wo ſtehen denn noch heut zu Tage

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0074" n="40"/>
            <p>Dies &#x017F;ind drei einfache Gedanken, &#x017F;elb&#x017F;t Kin-<lb/>
dern begreiflich, &#x017F;cheinbar &#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;te-<lb/>
hend, dergleichen an die Spitze jeder Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
z. B. der Mathematik, ge&#x017F;tellt zu werden pfle-<lb/>
gen, von denen die ganze Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft ausgeht,<lb/>
und zu denen &#x017F;ie unaufho&#x0364;rlich zuru&#x0364;ckkehrt; daher<lb/>
zwar &#x017F;ehr leicht, aber auch &#x017F;ehr &#x017F;chwer, je nach-<lb/>
dem man &#x017F;ie betrachten will.</p><lb/>
            <p>La&#x017F;&#x017F;en Sie uns die&#x017F;e drei Wahrheiten noch<lb/>
inniger und kra&#x0364;ftiger zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en in eine ein-<lb/>
zige, und die&#x017F;e <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi> ausdru&#x0364;cken: <hi rendition="#g">der Men&#x017F;ch<lb/>
i&#x017F;t nicht zu denken außerhalb des Staa-<lb/>
tes</hi>. &#x201E;Wie!&#x201D; ho&#x0364;re ich fragen; &#x201E;wenn er &#x017F;ich<lb/>
im Krei&#x017F;e &#x017F;einer Familie den lei&#x017F;e&#x017F;ten und zarte-<lb/>
&#x017F;ten Empfindungen des Lebens hingiebt, von<lb/>
denen die Regierung nie etwas wi&#x017F;&#x017F;en oder er-<lb/>
fahren kann; wenn er &#x017F;tille und heilige Pflichten<lb/>
erfu&#x0364;llt, die vor keinen andern Richter geho&#x0364;ren,<lb/>
als vor &#x017F;ein eigenes Herz; ja, wenn er in tie-<lb/>
fer Abgezogenheit, den Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften hingegeben,<lb/>
lebt &#x2014;: &#x017F;teht er in allen die&#x017F;en Fa&#x0364;llen nicht<lb/>
wirklich außerhalb des Staates, auf einer Stelle,<lb/>
wo ihn der Staat nicht erreichen kann? &#x2014; Fer-<lb/>
ner: wo &#x017F;tanden denn jene er&#x017F;ten Men&#x017F;chen, die<lb/>
un&#x017F;re Erde lange vorher bewohnt haben mo&#x0364;gen,<lb/>
ehe an irgend eine bu&#x0364;rgerliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu<lb/>
denken war? Wo &#x017F;tehen denn noch heut zu Tage<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0074] Dies ſind drei einfache Gedanken, ſelbſt Kin- dern begreiflich, ſcheinbar ſich von ſelbſt verſte- hend, dergleichen an die Spitze jeder Wiſſenſchaft, z. B. der Mathematik, geſtellt zu werden pfle- gen, von denen die ganze Wiſſenſchaft ausgeht, und zu denen ſie unaufhoͤrlich zuruͤckkehrt; daher zwar ſehr leicht, aber auch ſehr ſchwer, je nach- dem man ſie betrachten will. Laſſen Sie uns dieſe drei Wahrheiten noch inniger und kraͤftiger zuſammenfaſſen in eine ein- zige, und dieſe ſo ausdruͤcken: der Menſch iſt nicht zu denken außerhalb des Staa- tes. „Wie!” hoͤre ich fragen; „wenn er ſich im Kreiſe ſeiner Familie den leiſeſten und zarte- ſten Empfindungen des Lebens hingiebt, von denen die Regierung nie etwas wiſſen oder er- fahren kann; wenn er ſtille und heilige Pflichten erfuͤllt, die vor keinen andern Richter gehoͤren, als vor ſein eigenes Herz; ja, wenn er in tie- fer Abgezogenheit, den Wiſſenſchaften hingegeben, lebt —: ſteht er in allen dieſen Faͤllen nicht wirklich außerhalb des Staates, auf einer Stelle, wo ihn der Staat nicht erreichen kann? — Fer- ner: wo ſtanden denn jene erſten Menſchen, die unſre Erde lange vorher bewohnt haben moͤgen, ehe an irgend eine buͤrgerliche Verfaſſung zu denken war? Wo ſtehen denn noch heut zu Tage

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/74
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/74>, abgerufen am 23.11.2024.