Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Abend, sondern, wie jeder Andre, in der Mitte
der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben
glaubt --: eben so steht jeder Staatsbürger mit-
ten in der Lebenszeit des Staates, und hat
hinter sich eine Vergangenheit, die respectirt,
vor sich eine eben so große Zukunft, für die ge-
sorgt werden soll; aus diesem Zeitzusammen-
hange kann niemand heraustreten, ohne sich
selbst zu widersprechen. Wir Alle klagen mit-
unter über die schlechte Zeit, sehnen uns in un-
glücklichen Augenblicken wohl gar nach andern
vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und
möchten unsre eignen Ahnherren, oder unsre eig-
nen Enkel seyn; doch der Widerspruch hierin ist
offenbar, und bleibt ewig.

Endlich 3) ist der Staat nicht eine bloß
künstliche Veranstaltung, nicht eine von den tau-
send Erfindungen zum Nutzen und Vergnügen
des bürgerlichen Lebens, sondern er ist das Gan-
ze dieses bürgerlichen Lebens selbst, nothwendig
sobald es nur Menschen giebt, unvermeidlich, --
in der Natur des Menschen begründet, würde
ich sagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge-
sichtspunkten betrachtet, menschliche Existenz und
bürgerliche eins und dasselbe wären, und wenn
ich also mit jenen Worten nicht etwas sehr Ueber-
flüßiges sagen würde.

Abend, ſondern, wie jeder Andre, in der Mitte
der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben
glaubt —: eben ſo ſteht jeder Staatsbuͤrger mit-
ten in der Lebenszeit des Staates, und hat
hinter ſich eine Vergangenheit, die reſpectirt,
vor ſich eine eben ſo große Zukunft, fuͤr die ge-
ſorgt werden ſoll; aus dieſem Zeitzuſammen-
hange kann niemand heraustreten, ohne ſich
ſelbſt zu widerſprechen. Wir Alle klagen mit-
unter uͤber die ſchlechte Zeit, ſehnen uns in un-
gluͤcklichen Augenblicken wohl gar nach andern
vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und
moͤchten unſre eignen Ahnherren, oder unſre eig-
nen Enkel ſeyn; doch der Widerſpruch hierin iſt
offenbar, und bleibt ewig.

Endlich 3) iſt der Staat nicht eine bloß
kuͤnſtliche Veranſtaltung, nicht eine von den tau-
ſend Erfindungen zum Nutzen und Vergnuͤgen
des buͤrgerlichen Lebens, ſondern er iſt das Gan-
ze dieſes buͤrgerlichen Lebens ſelbſt, nothwendig
ſobald es nur Menſchen giebt, unvermeidlich, —
in der Natur des Menſchen begruͤndet, wuͤrde
ich ſagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge-
ſichtspunkten betrachtet, menſchliche Exiſtenz und
buͤrgerliche eins und daſſelbe waͤren, und wenn
ich alſo mit jenen Worten nicht etwas ſehr Ueber-
fluͤßiges ſagen wuͤrde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0073" n="39"/>
Abend, &#x017F;ondern, wie jeder Andre, in der Mitte<lb/>
der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben<lb/>
glaubt &#x2014;: eben &#x017F;o &#x017F;teht jeder Staatsbu&#x0364;rger mit-<lb/>
ten in der Lebenszeit des Staates, und hat<lb/><hi rendition="#g">hinter</hi> &#x017F;ich eine Vergangenheit, die re&#x017F;pectirt,<lb/><hi rendition="#g">vor</hi> &#x017F;ich eine eben &#x017F;o große Zukunft, fu&#x0364;r die ge-<lb/>
&#x017F;orgt werden &#x017F;oll; aus die&#x017F;em Zeitzu&#x017F;ammen-<lb/>
hange kann niemand heraustreten, ohne &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu wider&#x017F;prechen. Wir Alle klagen mit-<lb/>
unter u&#x0364;ber die &#x017F;chlechte Zeit, &#x017F;ehnen uns in un-<lb/>
glu&#x0364;cklichen Augenblicken wohl gar nach andern<lb/>
vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und<lb/>
mo&#x0364;chten un&#x017F;re eignen Ahnherren, oder un&#x017F;re eig-<lb/>
nen Enkel &#x017F;eyn; doch der Wider&#x017F;pruch hierin i&#x017F;t<lb/>
offenbar, und bleibt ewig.</p><lb/>
            <p>Endlich 3) i&#x017F;t der Staat nicht eine bloß<lb/>
ku&#x0364;n&#x017F;tliche Veran&#x017F;taltung, nicht eine von den tau-<lb/>
&#x017F;end Erfindungen zum Nutzen und Vergnu&#x0364;gen<lb/>
des bu&#x0364;rgerlichen Lebens, &#x017F;ondern er i&#x017F;t das Gan-<lb/>
ze die&#x017F;es bu&#x0364;rgerlichen Lebens &#x017F;elb&#x017F;t, nothwendig<lb/>
&#x017F;obald es nur Men&#x017F;chen giebt, unvermeidlich, &#x2014;<lb/>
in der Natur des Men&#x017F;chen begru&#x0364;ndet, wu&#x0364;rde<lb/>
ich &#x017F;agen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunkten betrachtet, men&#x017F;chliche Exi&#x017F;tenz und<lb/>
bu&#x0364;rgerliche eins und da&#x017F;&#x017F;elbe wa&#x0364;ren, und wenn<lb/>
ich al&#x017F;o mit jenen Worten nicht etwas &#x017F;ehr Ueber-<lb/>
flu&#x0364;ßiges &#x017F;agen wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0073] Abend, ſondern, wie jeder Andre, in der Mitte der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben glaubt —: eben ſo ſteht jeder Staatsbuͤrger mit- ten in der Lebenszeit des Staates, und hat hinter ſich eine Vergangenheit, die reſpectirt, vor ſich eine eben ſo große Zukunft, fuͤr die ge- ſorgt werden ſoll; aus dieſem Zeitzuſammen- hange kann niemand heraustreten, ohne ſich ſelbſt zu widerſprechen. Wir Alle klagen mit- unter uͤber die ſchlechte Zeit, ſehnen uns in un- gluͤcklichen Augenblicken wohl gar nach andern vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und moͤchten unſre eignen Ahnherren, oder unſre eig- nen Enkel ſeyn; doch der Widerſpruch hierin iſt offenbar, und bleibt ewig. Endlich 3) iſt der Staat nicht eine bloß kuͤnſtliche Veranſtaltung, nicht eine von den tau- ſend Erfindungen zum Nutzen und Vergnuͤgen des buͤrgerlichen Lebens, ſondern er iſt das Gan- ze dieſes buͤrgerlichen Lebens ſelbſt, nothwendig ſobald es nur Menſchen giebt, unvermeidlich, — in der Natur des Menſchen begruͤndet, wuͤrde ich ſagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge- ſichtspunkten betrachtet, menſchliche Exiſtenz und buͤrgerliche eins und daſſelbe waͤren, und wenn ich alſo mit jenen Worten nicht etwas ſehr Ueber- fluͤßiges ſagen wuͤrde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/73
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/73>, abgerufen am 22.11.2024.