Abend, sondern, wie jeder Andre, in der Mitte der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben glaubt --: eben so steht jeder Staatsbürger mit- ten in der Lebenszeit des Staates, und hat hinter sich eine Vergangenheit, die respectirt, vor sich eine eben so große Zukunft, für die ge- sorgt werden soll; aus diesem Zeitzusammen- hange kann niemand heraustreten, ohne sich selbst zu widersprechen. Wir Alle klagen mit- unter über die schlechte Zeit, sehnen uns in un- glücklichen Augenblicken wohl gar nach andern vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und möchten unsre eignen Ahnherren, oder unsre eig- nen Enkel seyn; doch der Widerspruch hierin ist offenbar, und bleibt ewig.
Endlich 3) ist der Staat nicht eine bloß künstliche Veranstaltung, nicht eine von den tau- send Erfindungen zum Nutzen und Vergnügen des bürgerlichen Lebens, sondern er ist das Gan- ze dieses bürgerlichen Lebens selbst, nothwendig sobald es nur Menschen giebt, unvermeidlich, -- in der Natur des Menschen begründet, würde ich sagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge- sichtspunkten betrachtet, menschliche Existenz und bürgerliche eins und dasselbe wären, und wenn ich also mit jenen Worten nicht etwas sehr Ueber- flüßiges sagen würde.
Abend, ſondern, wie jeder Andre, in der Mitte der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben glaubt —: eben ſo ſteht jeder Staatsbuͤrger mit- ten in der Lebenszeit des Staates, und hat hinter ſich eine Vergangenheit, die reſpectirt, vor ſich eine eben ſo große Zukunft, fuͤr die ge- ſorgt werden ſoll; aus dieſem Zeitzuſammen- hange kann niemand heraustreten, ohne ſich ſelbſt zu widerſprechen. Wir Alle klagen mit- unter uͤber die ſchlechte Zeit, ſehnen uns in un- gluͤcklichen Augenblicken wohl gar nach andern vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und moͤchten unſre eignen Ahnherren, oder unſre eig- nen Enkel ſeyn; doch der Widerſpruch hierin iſt offenbar, und bleibt ewig.
Endlich 3) iſt der Staat nicht eine bloß kuͤnſtliche Veranſtaltung, nicht eine von den tau- ſend Erfindungen zum Nutzen und Vergnuͤgen des buͤrgerlichen Lebens, ſondern er iſt das Gan- ze dieſes buͤrgerlichen Lebens ſelbſt, nothwendig ſobald es nur Menſchen giebt, unvermeidlich, — in der Natur des Menſchen begruͤndet, wuͤrde ich ſagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge- ſichtspunkten betrachtet, menſchliche Exiſtenz und buͤrgerliche eins und daſſelbe waͤren, und wenn ich alſo mit jenen Worten nicht etwas ſehr Ueber- fluͤßiges ſagen wuͤrde.
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Abend, ſondern, wie jeder Andre, in der Mitte
der Zeit, und am Mittage der Welt zu leben
glaubt —: eben ſo ſteht jeder Staatsbuͤrger mit-
ten in der Lebenszeit des Staates, und hat
hinter ſich eine Vergangenheit, die reſpectirt,
vor ſich eine eben ſo große Zukunft, fuͤr die ge-
ſorgt werden ſoll; aus dieſem Zeitzuſammen-
hange kann niemand heraustreten, ohne ſich
ſelbſt zu widerſprechen. Wir Alle klagen mit-
unter uͤber die ſchlechte Zeit, ſehnen uns in un-
gluͤcklichen Augenblicken wohl gar nach andern
vergangenen oder kommenden Zeiten hin, und
moͤchten unſre eignen Ahnherren, oder unſre eig-
nen Enkel ſeyn; doch der Widerſpruch hierin iſt
offenbar, und bleibt ewig.
Endlich 3) iſt der Staat nicht eine bloß
kuͤnſtliche Veranſtaltung, nicht eine von den tau-
ſend Erfindungen zum Nutzen und Vergnuͤgen
des buͤrgerlichen Lebens, ſondern er iſt das Gan-
ze dieſes buͤrgerlichen Lebens ſelbſt, nothwendig
ſobald es nur Menſchen giebt, unvermeidlich, —
in der Natur des Menſchen begruͤndet, wuͤrde
ich ſagen, wenn nicht, aus allen richtigen Ge-
ſichtspunkten betrachtet, menſchliche Exiſtenz und
buͤrgerliche eins und daſſelbe waͤren, und wenn
ich alſo mit jenen Worten nicht etwas ſehr Ueber-
fluͤßiges ſagen wuͤrde.
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/73>, abgerufen am 22.11.2024.
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