Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

Kriegeszustand nicht außerhalb seiner Staats-
lehre, als etwas damit Unverträgliches und Un-
natürliches, stehen lassen, sondern er soll machen,
daß die ganze Lehre gänzlich von dem Ge-
danken des Krieges allgegenwärtig durchdrungen
und beseelt werde. Nie soll er den Frieden ohne
den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung
darstellen. Diese Ergänzung der Wissenschaft ist
ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus
unrichtiger Ansicht des Krieges und der Staats-
bewegung hergeflossenen, Erfahrungen der Zeit.

Eben so soll die Staatskunst, die ich meine,
den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe-
gung behandeln, nicht bloß Gesetze hinein wer-
fen und hinein würfeln, und dann müßig zuse-
hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann soll
die allgegenwärtige Seele der bürgerlichen Ge-
sellschaft seyn, und kriegerisch und friedlich zu-
gleich handeln. Je größer die Bewegung des Mee-
res ist, um so mehr wird die Ruhe des Steuer-
mannes gerühmt. Kraft und Ruhe müssen zu-
sammentreten, wenn ein Künstler werden soll.
Vornehmlich bedarf der Staatskünstler beider;
sein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine
Art von Sehnsucht so gut nach Frieden, wie
nach Krieg. Es ist nur Täuschung, wenn man
glaubt, daß die Völker mehr den Frieden begehr-

Kriegeszuſtand nicht außerhalb ſeiner Staats-
lehre, als etwas damit Unvertraͤgliches und Un-
natuͤrliches, ſtehen laſſen, ſondern er ſoll machen,
daß die ganze Lehre gaͤnzlich von dem Ge-
danken des Krieges allgegenwaͤrtig durchdrungen
und beſeelt werde. Nie ſoll er den Frieden ohne
den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung
darſtellen. Dieſe Ergaͤnzung der Wiſſenſchaft iſt
ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus
unrichtiger Anſicht des Krieges und der Staats-
bewegung hergefloſſenen, Erfahrungen der Zeit.

Eben ſo ſoll die Staatskunſt, die ich meine,
den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe-
gung behandeln, nicht bloß Geſetze hinein wer-
fen und hinein wuͤrfeln, und dann muͤßig zuſe-
hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann ſoll
die allgegenwaͤrtige Seele der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft ſeyn, und kriegeriſch und friedlich zu-
gleich handeln. Je groͤßer die Bewegung des Mee-
res iſt, um ſo mehr wird die Ruhe des Steuer-
mannes geruͤhmt. Kraft und Ruhe muͤſſen zu-
ſammentreten, wenn ein Kuͤnſtler werden ſoll.
Vornehmlich bedarf der Staatskuͤnſtler beider;
ſein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine
Art von Sehnſucht ſo gut nach Frieden, wie
nach Krieg. Es iſt nur Taͤuſchung, wenn man
glaubt, daß die Voͤlker mehr den Frieden begehr-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0049" n="15"/>
Kriegeszu&#x017F;tand nicht außerhalb &#x017F;einer Staats-<lb/>
lehre, als etwas damit Unvertra&#x0364;gliches und Un-<lb/>
natu&#x0364;rliches, &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern er &#x017F;oll machen,<lb/>
daß die ganze Lehre ga&#x0364;nzlich von dem Ge-<lb/>
danken des Krieges allgegenwa&#x0364;rtig durchdrungen<lb/>
und be&#x017F;eelt werde. Nie &#x017F;oll er den Frieden ohne<lb/>
den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung<lb/>
dar&#x017F;tellen. Die&#x017F;e Erga&#x0364;nzung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t<lb/>
ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus<lb/>
unrichtiger An&#x017F;icht des Krieges und der Staats-<lb/>
bewegung hergeflo&#x017F;&#x017F;enen, Erfahrungen der Zeit.</p><lb/>
            <p>Eben &#x017F;o &#x017F;oll die <hi rendition="#g">Staatskun&#x017F;t</hi>, die ich meine,<lb/>
den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe-<lb/>
gung behandeln, nicht bloß Ge&#x017F;etze hinein wer-<lb/>
fen und hinein wu&#x0364;rfeln, und dann mu&#x0364;ßig zu&#x017F;e-<lb/>
hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann &#x017F;oll<lb/>
die allgegenwa&#x0364;rtige Seele der bu&#x0364;rgerlichen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;eyn, und kriegeri&#x017F;ch und friedlich zu-<lb/>
gleich handeln. Je gro&#x0364;ßer die Bewegung des Mee-<lb/>
res i&#x017F;t, um &#x017F;o mehr wird die Ruhe des Steuer-<lb/>
mannes geru&#x0364;hmt. Kraft und Ruhe mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en zu-<lb/>
&#x017F;ammentreten, wenn ein Ku&#x0364;n&#x017F;tler werden &#x017F;oll.<lb/>
Vornehmlich bedarf der Staatsku&#x0364;n&#x017F;tler beider;<lb/>
&#x017F;ein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine<lb/>
Art von Sehn&#x017F;ucht &#x017F;o gut nach Frieden, wie<lb/>
nach Krieg. Es i&#x017F;t nur Ta&#x0364;u&#x017F;chung, wenn man<lb/>
glaubt, daß die Vo&#x0364;lker mehr den Frieden begehr-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0049] Kriegeszuſtand nicht außerhalb ſeiner Staats- lehre, als etwas damit Unvertraͤgliches und Un- natuͤrliches, ſtehen laſſen, ſondern er ſoll machen, daß die ganze Lehre gaͤnzlich von dem Ge- danken des Krieges allgegenwaͤrtig durchdrungen und beſeelt werde. Nie ſoll er den Frieden ohne den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung darſtellen. Dieſe Ergaͤnzung der Wiſſenſchaft iſt ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus unrichtiger Anſicht des Krieges und der Staats- bewegung hergefloſſenen, Erfahrungen der Zeit. Eben ſo ſoll die Staatskunſt, die ich meine, den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe- gung behandeln, nicht bloß Geſetze hinein wer- fen und hinein wuͤrfeln, und dann muͤßig zuſe- hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann ſoll die allgegenwaͤrtige Seele der buͤrgerlichen Ge- ſellſchaft ſeyn, und kriegeriſch und friedlich zu- gleich handeln. Je groͤßer die Bewegung des Mee- res iſt, um ſo mehr wird die Ruhe des Steuer- mannes geruͤhmt. Kraft und Ruhe muͤſſen zu- ſammentreten, wenn ein Kuͤnſtler werden ſoll. Vornehmlich bedarf der Staatskuͤnſtler beider; ſein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine Art von Sehnſucht ſo gut nach Frieden, wie nach Krieg. Es iſt nur Taͤuſchung, wenn man glaubt, daß die Voͤlker mehr den Frieden begehr-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/49
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/49>, abgerufen am 19.04.2024.