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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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der Vortheile und Nachteile von jedem zu ver-
fügenden Gesetze oder Institute; sie sind, um ein
Gleichniß aus der Arzneikunst zu gebrauchen, voll-
ständig in der Anatomie des Staates, und klug im
Beschreiben der Heilmittel für seine Krankheiten:
aber, wenn es darauf ankommt, die ganze Le-
benserscheinung eines Staates auf eine angemes-
sene Weise zu ergreifen, so fehlt es ihnen selbst
an dem dazu erforderlichen Leben.

Die meisten Staatslehren z. B. sind fast al-
lein auf den Friedensstand einer Nation berechnet:
sie enthalten Kapitel vom Kriege und von Krieges-
anstalten; sie geben dem milden, humanen, phi-
lanthropischen Wesen, welches sie "Staat"
nennen, und welches eben nicht gern Blut sehen
mag, nun zuletzt noch Schild und Helm, ohne
dafür zu sorgen, daß jede Muskel, jeder Nerve
des Staates zum Kriege gerüstet seyn, daß jeder
Blutstropfen des Staates, wie er auch für den
Frieden glühen möge, dennoch Eisen enthalten
müsse; kurz, sie betrachten den Krieg als eine
bloße Ausnahme von allen Friedensregeln, als
ein schreckliches Interregnum des Zufalls, und,
sobald er ausbricht, ist ihre gesammte Friedens-
weisheit zu Ende. Der Staat trägt, nach ih-
nen, zwei ganz widersprechende Staaten in sich:
einen Kriegesstaat und einen Friedensstaat; zwei

der Vortheile und Nachteile von jedem zu ver-
fuͤgenden Geſetze oder Inſtitute; ſie ſind, um ein
Gleichniß aus der Arzneikunſt zu gebrauchen, voll-
ſtaͤndig in der Anatomie des Staates, und klug im
Beſchreiben der Heilmittel fuͤr ſeine Krankheiten:
aber, wenn es darauf ankommt, die ganze Le-
benserſcheinung eines Staates auf eine angemeſ-
ſene Weiſe zu ergreifen, ſo fehlt es ihnen ſelbſt
an dem dazu erforderlichen Leben.

Die meiſten Staatslehren z. B. ſind faſt al-
lein auf den Friedensſtand einer Nation berechnet:
ſie enthalten Kapitel vom Kriege und von Krieges-
anſtalten; ſie geben dem milden, humanen, phi-
lanthropiſchen Weſen, welches ſie „Staat
nennen, und welches eben nicht gern Blut ſehen
mag, nun zuletzt noch Schild und Helm, ohne
dafuͤr zu ſorgen, daß jede Muskel, jeder Nerve
des Staates zum Kriege geruͤſtet ſeyn, daß jeder
Blutstropfen des Staates, wie er auch fuͤr den
Frieden gluͤhen moͤge, dennoch Eiſen enthalten
muͤſſe; kurz, ſie betrachten den Krieg als eine
bloße Ausnahme von allen Friedensregeln, als
ein ſchreckliches Interregnum des Zufalls, und,
ſobald er ausbricht, iſt ihre geſammte Friedens-
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[12/0046] der Vortheile und Nachteile von jedem zu ver- fuͤgenden Geſetze oder Inſtitute; ſie ſind, um ein Gleichniß aus der Arzneikunſt zu gebrauchen, voll- ſtaͤndig in der Anatomie des Staates, und klug im Beſchreiben der Heilmittel fuͤr ſeine Krankheiten: aber, wenn es darauf ankommt, die ganze Le- benserſcheinung eines Staates auf eine angemeſ- ſene Weiſe zu ergreifen, ſo fehlt es ihnen ſelbſt an dem dazu erforderlichen Leben. Die meiſten Staatslehren z. B. ſind faſt al- lein auf den Friedensſtand einer Nation berechnet: ſie enthalten Kapitel vom Kriege und von Krieges- anſtalten; ſie geben dem milden, humanen, phi- lanthropiſchen Weſen, welches ſie „Staat” nennen, und welches eben nicht gern Blut ſehen mag, nun zuletzt noch Schild und Helm, ohne dafuͤr zu ſorgen, daß jede Muskel, jeder Nerve des Staates zum Kriege geruͤſtet ſeyn, daß jeder Blutstropfen des Staates, wie er auch fuͤr den Frieden gluͤhen moͤge, dennoch Eiſen enthalten muͤſſe; kurz, ſie betrachten den Krieg als eine bloße Ausnahme von allen Friedensregeln, als ein ſchreckliches Interregnum des Zufalls, und, ſobald er ausbricht, iſt ihre geſammte Friedens- weisheit zu Ende. Der Staat traͤgt, nach ih- nen, zwei ganz widerſprechende Staaten in ſich: einen Kriegesſtaat und einen Friedensſtaat; zwei

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/46>, abgerufen am 23.11.2024.