gilt der Beschluß eines ganzen Jahrhunderts, oder die Arbeit eines Montesquieu mehr, als das Resultat von der eignen Ueberlegung einer Viertelstunde! --
Nichts desto weniger können wir -- die Ungunst der Zeit sey, welche sie wolle -- von der bür- gerlichen Gesellschaft mehr wissen, als die frü- heren Zeitalter. Was wir wissen, unternehme ich in seinen großen Grundzügen zu zeigen, da es bis jetzt noch kein Andrer oder Besserer unter- nommen hat. Ich bitte meine Zuhörer (und Leser) nur, den Umfang meines Geschäftes zu erwägen, so brauche ich sie nicht weiter um Nachsicht zu bitten. Ich erinnre sie an die alles übersteigende Erhabenheit meines Gegenstandes, so brauche ich ihnen nicht erst anzukündigen, daß die Indi- viduen, und mit ihnen alle gemeine Partheilich- keit und Persönlichkeit, in den Hintergrund tre- ten werden.
Die Staatswissenschaft, die ich meine, soll den Staat im Fluge, in seiner Bewegung, auffassen; daher genügt mir keine von den bis- herigen Theorieen dieses Studiums vollständig. Sie sind sehr gründlich und fleißig in der Her- zählung des gesammten zu einem Staat erfor- derlichen Apparats; sehr sinnreich in der Angabe der zu treffenden Anordnungen; im Vorrechnen
gilt der Beſchluß eines ganzen Jahrhunderts, oder die Arbeit eines Montesquieu mehr, als das Reſultat von der eignen Ueberlegung einer Viertelſtunde! —
Nichts deſto weniger koͤnnen wir — die Ungunſt der Zeit ſey, welche ſie wolle — von der buͤr- gerlichen Geſellſchaft mehr wiſſen, als die fruͤ- heren Zeitalter. Was wir wiſſen, unternehme ich in ſeinen großen Grundzuͤgen zu zeigen, da es bis jetzt noch kein Andrer oder Beſſerer unter- nommen hat. Ich bitte meine Zuhoͤrer (und Leſer) nur, den Umfang meines Geſchaͤftes zu erwaͤgen, ſo brauche ich ſie nicht weiter um Nachſicht zu bitten. Ich erinnre ſie an die alles uͤberſteigende Erhabenheit meines Gegenſtandes, ſo brauche ich ihnen nicht erſt anzukuͤndigen, daß die Indi- viduen, und mit ihnen alle gemeine Partheilich- keit und Perſoͤnlichkeit, in den Hintergrund tre- ten werden.
Die Staatswiſſenſchaft, die ich meine, ſoll den Staat im Fluge, in ſeiner Bewegung, auffaſſen; daher genuͤgt mir keine von den bis- herigen Theorieen dieſes Studiums vollſtaͤndig. Sie ſind ſehr gruͤndlich und fleißig in der Her- zaͤhlung des geſammten zu einem Staat erfor- derlichen Apparats; ſehr ſinnreich in der Angabe der zu treffenden Anordnungen; im Vorrechnen
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[11/0045]
gilt der Beſchluß eines ganzen Jahrhunderts,
oder die Arbeit eines Montesquieu mehr, als
das Reſultat von der eignen Ueberlegung einer
Viertelſtunde! —
Nichts deſto weniger koͤnnen wir — die Ungunſt
der Zeit ſey, welche ſie wolle — von der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft mehr wiſſen, als die fruͤ-
heren Zeitalter. Was wir wiſſen, unternehme
ich in ſeinen großen Grundzuͤgen zu zeigen, da
es bis jetzt noch kein Andrer oder Beſſerer unter-
nommen hat. Ich bitte meine Zuhoͤrer (und Leſer)
nur, den Umfang meines Geſchaͤftes zu erwaͤgen,
ſo brauche ich ſie nicht weiter um Nachſicht zu
bitten. Ich erinnre ſie an die alles uͤberſteigende
Erhabenheit meines Gegenſtandes, ſo brauche
ich ihnen nicht erſt anzukuͤndigen, daß die Indi-
viduen, und mit ihnen alle gemeine Partheilich-
keit und Perſoͤnlichkeit, in den Hintergrund tre-
ten werden.
Die Staatswiſſenſchaft, die ich meine,
ſoll den Staat im Fluge, in ſeiner Bewegung,
auffaſſen; daher genuͤgt mir keine von den bis-
herigen Theorieen dieſes Studiums vollſtaͤndig.
Sie ſind ſehr gruͤndlich und fleißig in der Her-
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derlichen Apparats; ſehr ſinnreich in der Angabe
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/45>, abgerufen am 22.11.2024.
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