Bedürfnisse, oder die Laune dieses Augenblickes will er repräsentiren.
So nun hätten wir uns in den Stand ge- setzt, die wahre Natur des Privat-Rechtes un- befangen und lebendig zu erkennen. Das Pri- vat-Recht ist nicht etwa, wie uns die Römische Schule lehrt, die Wissenschaft von dem Verhält- nisse der lebendigen Privat-Personen im Staate zu einander, in so fern dasselbe persönliche und sächliche Objecte hat; sondern es ist die Wissen- schaft von den Rechts-Verhältnissen aller der Individuen, oder gesellschaftlichen Werthe, welche in demselben Staate sich neben einander mit Freiheit behaupten wollen. Die wahre lebendige Natur des Eigenthums, so wie ich sie beschrie- ben habe, ist ein Gewinn des Mittelalters. Zu- gleich mit der Achtung für die schwächere Hälfte des menschlichen Geschlechtes, ist die Achtung für jene gesellschaftliche Bedeutung der Besitzstücke des Lebens, die der alten Welt als unbedingt und sklavisch dem lebendigen Menschen unter- worfen schienen, verbreitet worden. Das Ge- heimniß der Gegenseitigkeit aller Verhältnisse des Lebens, welches dem jugendlichen Uebermuthe und Kraftgefühle der Römischen und Griechi- schen Welt verborgen blieb, wurde klar. Zu zei- gen, wie vielen Antheil an dieser großen Verän-
Beduͤrfniſſe, oder die Laune dieſes Augenblickes will er repraͤſentiren.
So nun haͤtten wir uns in den Stand ge- ſetzt, die wahre Natur des Privat-Rechtes un- befangen und lebendig zu erkennen. Das Pri- vat-Recht iſt nicht etwa, wie uns die Roͤmiſche Schule lehrt, die Wiſſenſchaft von dem Verhaͤlt- niſſe der lebendigen Privat-Perſonen im Staate zu einander, in ſo fern daſſelbe perſoͤnliche und ſaͤchliche Objecte hat; ſondern es iſt die Wiſſen- ſchaft von den Rechts-Verhaͤltniſſen aller der Individuen, oder geſellſchaftlichen Werthe, welche in demſelben Staate ſich neben einander mit Freiheit behaupten wollen. Die wahre lebendige Natur des Eigenthums, ſo wie ich ſie beſchrie- ben habe, iſt ein Gewinn des Mittelalters. Zu- gleich mit der Achtung fuͤr die ſchwaͤchere Haͤlfte des menſchlichen Geſchlechtes, iſt die Achtung fuͤr jene geſellſchaftliche Bedeutung der Beſitzſtuͤcke des Lebens, die der alten Welt als unbedingt und ſklaviſch dem lebendigen Menſchen unter- worfen ſchienen, verbreitet worden. Das Ge- heimniß der Gegenſeitigkeit aller Verhaͤltniſſe des Lebens, welches dem jugendlichen Uebermuthe und Kraftgefuͤhle der Roͤmiſchen und Griechi- ſchen Welt verborgen blieb, wurde klar. Zu zei- gen, wie vielen Antheil an dieſer großen Veraͤn-
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Beduͤrfniſſe, oder die Laune dieſes Augenblickes
will er repraͤſentiren.
So nun haͤtten wir uns in den Stand ge-
ſetzt, die wahre Natur des Privat-Rechtes un-
befangen und lebendig zu erkennen. Das Pri-
vat-Recht iſt nicht etwa, wie uns die Roͤmiſche
Schule lehrt, die Wiſſenſchaft von dem Verhaͤlt-
niſſe der lebendigen Privat-Perſonen im Staate
zu einander, in ſo fern daſſelbe perſoͤnliche und
ſaͤchliche Objecte hat; ſondern es iſt die Wiſſen-
ſchaft von den Rechts-Verhaͤltniſſen aller der
Individuen, oder geſellſchaftlichen Werthe, welche
in demſelben Staate ſich neben einander mit
Freiheit behaupten wollen. Die wahre lebendige
Natur des Eigenthums, ſo wie ich ſie beſchrie-
ben habe, iſt ein Gewinn des Mittelalters. Zu-
gleich mit der Achtung fuͤr die ſchwaͤchere Haͤlfte
des menſchlichen Geſchlechtes, iſt die Achtung fuͤr
jene geſellſchaftliche Bedeutung der Beſitzſtuͤcke
des Lebens, die der alten Welt als unbedingt
und ſklaviſch dem lebendigen Menſchen unter-
worfen ſchienen, verbreitet worden. Das Ge-
heimniß der Gegenſeitigkeit aller Verhaͤltniſſe des
Lebens, welches dem jugendlichen Uebermuthe
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/270>, abgerufen am 22.11.2024.
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