Werth des großen Montesquieu auf eine Weile in den Schatten stellen. -- Meine Per- sönlichkeit und mein wissenschaftliches Verdienst mit dem seinigen vergleichen zu wollen, wäre lächerlich; es neben ihm zu erheben, wäre völlig Thorheit: denn, wer kann sagen, daß er, was die Geschichte darbietet, gekannt und auch in vielen Rücksichten empfunden habe, wie Montesquieu! Wo ist bei irgend einem neueren Schriftsteller diese Leichtigkeit und Gewandtheit des Geistes, bei demselben heldenartigen Gefühle für die Wahrheit, bei dem unermeßlichen Fleiße! Wer hat diese lichtvolle Kürze der Darstellung, bei demselben Reichthum und bei der Fülle der Materien! Nur irreligiös ist er, neben Burke betrachtet, durch und durch: die Gesetze sind ihm durch- aus Sache des weltlichen Arrangements und der weltlichen Klugheit; daher versäumt er, neben dem esprit der Gesetze, überall den Geist der Gesetze, das Ewige und Unver- gängliche in denselben, welches zu empfinden und zu würdigen man die Gesetze selbst
Werth des großen Montesquieu auf eine Weile in den Schatten ſtellen. — Meine Per- ſoͤnlichkeit und mein wiſſenſchaftliches Verdienſt mit dem ſeinigen vergleichen zu wollen, waͤre laͤcherlich; es neben ihm zu erheben, waͤre voͤllig Thorheit: denn, wer kann ſagen, daß er, was die Geſchichte darbietet, gekannt und auch in vielen Ruͤckſichten empfunden habe, wie Montesquieu! Wo iſt bei irgend einem neueren Schriftſteller dieſe Leichtigkeit und Gewandtheit des Geiſtes, bei demſelben heldenartigen Gefuͤhle fuͤr die Wahrheit, bei dem unermeßlichen Fleiße! Wer hat dieſe lichtvolle Kuͤrze der Darſtellung, bei demſelben Reichthum und bei der Fuͤlle der Materien! Nur irreligioͤs iſt er, neben Burke betrachtet, durch und durch: die Geſetze ſind ihm durch- aus Sache des weltlichen Arrangements und der weltlichen Klugheit; daher verſaͤumt er, neben dem esprit der Geſetze, uͤberall den Geiſt der Geſetze, das Ewige und Unver- gaͤngliche in denſelben, welches zu empfinden und zu wuͤrdigen man die Geſetze ſelbſt
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[XIII/0019]
Werth des großen Montesquieu auf eine
Weile in den Schatten ſtellen. — Meine Per-
ſoͤnlichkeit und mein wiſſenſchaftliches Verdienſt
mit dem ſeinigen vergleichen zu wollen, waͤre
laͤcherlich; es neben ihm zu erheben, waͤre
voͤllig Thorheit: denn, wer kann ſagen, daß
er, was die Geſchichte darbietet, gekannt
und auch in vielen Ruͤckſichten empfunden
habe, wie Montesquieu! Wo iſt bei irgend
einem neueren Schriftſteller dieſe Leichtigkeit
und Gewandtheit des Geiſtes, bei demſelben
heldenartigen Gefuͤhle fuͤr die Wahrheit, bei
dem unermeßlichen Fleiße! Wer hat dieſe
lichtvolle Kuͤrze der Darſtellung, bei demſelben
Reichthum und bei der Fuͤlle der Materien!
Nur irreligioͤs iſt er, neben Burke betrachtet,
durch und durch: die Geſetze ſind ihm durch-
aus Sache des weltlichen Arrangements und
der weltlichen Klugheit; daher verſaͤumt er,
neben dem esprit der Geſetze, uͤberall den
Geiſt der Geſetze, das Ewige und Unver-
gaͤngliche in denſelben, welches zu empfinden
und zu wuͤrdigen man die Geſetze ſelbſt
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/19>, abgerufen am 22.11.2024.
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