Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

wirthschaftlichen Untersuchungen, die man in
neueren Zeiten gegen das Werk von Adam Smith
viel zu sehr herabgesetzt hat, und die von großer
Welterfahrenheit, Gelehrsamkeit und Reinheit
der Gesinnungen Zeugniß geben, sagt: "in jedem
Lande sind zu gleicher Zeit zwei Menschenalter
auf der Schaubühne -- eine Classe von Men-
schen zwischen zwanzig und dreißig Jahren,
deren Meinungen sich bilden; eine andre um die
Funfziger Jahre her, deren Meinungen und Ge-
wohnheiten bereits befestigt sind." Mit andern
Worten: die bürgerliche Gesellschaft besteht aus
zwei in ihren gesammten Ansichten sehr verschie-
denen Classen von Menschen, deren Eine, die
jüngere, mehr auf den Erwerb nicht bloß von
Meinungen sondern auch von Besitzthümern, die
andre, ältere, mehr auf die Erhaltung des be-
reits Erworbenen gestellt ist. --

Die Jugend eines Landes liebt aus sehr na-
türlichen Gründen das Ungemessene; sie liebt
unbeschränkte Laufbahnen für den Ehrgeitz und
für das Streben nach Reichthum; die Schran-
ken des Gesetzes und der Gewohnheit sind ihr
lästig, und so ist sie geneigt, dieselben zu durch-
brechen; das Alter hingegen muß diese Schran-
ken mehr und mehr verehren, je mehr es an
physischen Kräften abnimmt, für seine Nach-

kom-

wirthſchaftlichen Unterſuchungen, die man in
neueren Zeiten gegen das Werk von Adam Smith
viel zu ſehr herabgeſetzt hat, und die von großer
Welterfahrenheit, Gelehrſamkeit und Reinheit
der Geſinnungen Zeugniß geben, ſagt: „in jedem
Lande ſind zu gleicher Zeit zwei Menſchenalter
auf der Schaubuͤhne — eine Claſſe von Men-
ſchen zwiſchen zwanzig und dreißig Jahren,
deren Meinungen ſich bilden; eine andre um die
Funfziger Jahre her, deren Meinungen und Ge-
wohnheiten bereits befeſtigt ſind.“ Mit andern
Worten: die buͤrgerliche Geſellſchaft beſteht aus
zwei in ihren geſammten Anſichten ſehr verſchie-
denen Claſſen von Menſchen, deren Eine, die
juͤngere, mehr auf den Erwerb nicht bloß von
Meinungen ſondern auch von Beſitzthuͤmern, die
andre, aͤltere, mehr auf die Erhaltung des be-
reits Erworbenen geſtellt iſt. —

Die Jugend eines Landes liebt aus ſehr na-
tuͤrlichen Gruͤnden das Ungemeſſene; ſie liebt
unbeſchraͤnkte Laufbahnen fuͤr den Ehrgeitz und
fuͤr das Streben nach Reichthum; die Schran-
ken des Geſetzes und der Gewohnheit ſind ihr
laͤſtig, und ſo iſt ſie geneigt, dieſelben zu durch-
brechen; das Alter hingegen muß dieſe Schran-
ken mehr und mehr verehren, je mehr es an
phyſiſchen Kraͤften abnimmt, fuͤr ſeine Nach-

kom-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0162" n="128"/>
wirth&#x017F;chaftlichen Unter&#x017F;uchungen, die man in<lb/>
neueren Zeiten gegen das Werk von Adam Smith<lb/>
viel zu &#x017F;ehr herabge&#x017F;etzt hat, und die von großer<lb/>
Welterfahrenheit, Gelehr&#x017F;amkeit und Reinheit<lb/>
der Ge&#x017F;innungen Zeugniß geben, &#x017F;agt: &#x201E;in jedem<lb/>
Lande &#x017F;ind zu gleicher Zeit zwei Men&#x017F;chenalter<lb/>
auf der Schaubu&#x0364;hne &#x2014; eine Cla&#x017F;&#x017F;e von Men-<lb/>
&#x017F;chen zwi&#x017F;chen zwanzig und dreißig Jahren,<lb/>
deren Meinungen &#x017F;ich bilden; eine andre um die<lb/>
Funfziger Jahre her, deren Meinungen und Ge-<lb/>
wohnheiten bereits befe&#x017F;tigt &#x017F;ind.&#x201C; Mit andern<lb/>
Worten: die bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft be&#x017F;teht aus<lb/>
zwei in ihren ge&#x017F;ammten An&#x017F;ichten &#x017F;ehr ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Cla&#x017F;&#x017F;en von Men&#x017F;chen, deren Eine, die<lb/>
ju&#x0364;ngere, mehr auf den Erwerb nicht bloß von<lb/>
Meinungen &#x017F;ondern auch von Be&#x017F;itzthu&#x0364;mern, die<lb/>
andre, a&#x0364;ltere, mehr auf die Erhaltung des be-<lb/>
reits Erworbenen ge&#x017F;tellt i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Die Jugend eines Landes liebt aus &#x017F;ehr na-<lb/>
tu&#x0364;rlichen Gru&#x0364;nden das Ungeme&#x017F;&#x017F;ene; &#x017F;ie liebt<lb/>
unbe&#x017F;chra&#x0364;nkte Laufbahnen fu&#x0364;r den Ehrgeitz und<lb/>
fu&#x0364;r das Streben nach Reichthum; die Schran-<lb/>
ken des Ge&#x017F;etzes und der Gewohnheit &#x017F;ind ihr<lb/>
la&#x0364;&#x017F;tig, und &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie geneigt, die&#x017F;elben zu durch-<lb/>
brechen; das Alter hingegen muß die&#x017F;e Schran-<lb/>
ken mehr und mehr verehren, je mehr es an<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Kra&#x0364;ften abnimmt, fu&#x0364;r &#x017F;eine Nach-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">kom-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0162] wirthſchaftlichen Unterſuchungen, die man in neueren Zeiten gegen das Werk von Adam Smith viel zu ſehr herabgeſetzt hat, und die von großer Welterfahrenheit, Gelehrſamkeit und Reinheit der Geſinnungen Zeugniß geben, ſagt: „in jedem Lande ſind zu gleicher Zeit zwei Menſchenalter auf der Schaubuͤhne — eine Claſſe von Men- ſchen zwiſchen zwanzig und dreißig Jahren, deren Meinungen ſich bilden; eine andre um die Funfziger Jahre her, deren Meinungen und Ge- wohnheiten bereits befeſtigt ſind.“ Mit andern Worten: die buͤrgerliche Geſellſchaft beſteht aus zwei in ihren geſammten Anſichten ſehr verſchie- denen Claſſen von Menſchen, deren Eine, die juͤngere, mehr auf den Erwerb nicht bloß von Meinungen ſondern auch von Beſitzthuͤmern, die andre, aͤltere, mehr auf die Erhaltung des be- reits Erworbenen geſtellt iſt. — Die Jugend eines Landes liebt aus ſehr na- tuͤrlichen Gruͤnden das Ungemeſſene; ſie liebt unbeſchraͤnkte Laufbahnen fuͤr den Ehrgeitz und fuͤr das Streben nach Reichthum; die Schran- ken des Geſetzes und der Gewohnheit ſind ihr laͤſtig, und ſo iſt ſie geneigt, dieſelben zu durch- brechen; das Alter hingegen muß dieſe Schran- ken mehr und mehr verehren, je mehr es an phyſiſchen Kraͤften abnimmt, fuͤr ſeine Nach- kom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/162
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/162>, abgerufen am 01.05.2024.