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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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d. h. nicht bloß den Flächenraum, den er einmal be-
sitzt, zu vertheidigen, sondern den gesammten dar-
auf errichteten nationalen Körper jener Rechts-
Idee unberührt und unverdorben zu erhalten;
2) diesen eigenthümlichen Ausdruck der Rechts-
Idee allen andern Staaten kenntlich, fühlbar und
wichtig zu machen, kurz, sich selbst nicht bloß zu
vergrößern, sondern, im vollen Sinne des
Wortes, nach allen Seiten seines erhabenen We-
sens hin auszubreiten. Aus diesem gegenseiti-
gen Regen und Dehnen der Europäischen Staa-
ten, aus diesem Agiren und Reagiren, aus diesem
Sich-gegenseitig-Beschränken und Treiben, ent-
steht das höchste, schönste und regelmäßigste Wachs-
thum aller Einzelnen, wie Kant den Fortschritt
der Cultur aus dem Nebeneinanderstehen und
gegenseitigen Drängen der einzelnen menschlichen
Individuen erklärte, die, gleich dicht gepflanzten
Bäumen eines Waldes, einander zu einem gera-
den und stolzen Wuchse in die Höhe treiben,
während der einzelne Baum in nachtheiliger Frei-
heit verkrüppelt und näher am Boden bleibt.
Jenes gemeinschaftliche, gleichmäßige Wachsen
und Gedeihen der neben einander lebenden Staa-
ten ist im Zeitalter der Begriffe mit dem Worte
Gleichgewicht bezeichnet worden, welches
Wort zu unzähligen Mißverständnissen Anlaß

d. h. nicht bloß den Flaͤchenraum, den er einmal be-
ſitzt, zu vertheidigen, ſondern den geſammten dar-
auf errichteten nationalen Koͤrper jener Rechts-
Idee unberuͤhrt und unverdorben zu erhalten;
2) dieſen eigenthuͤmlichen Ausdruck der Rechts-
Idee allen andern Staaten kenntlich, fuͤhlbar und
wichtig zu machen, kurz, ſich ſelbſt nicht bloß zu
vergroͤßern, ſondern, im vollen Sinne des
Wortes, nach allen Seiten ſeines erhabenen We-
ſens hin auszubreiten. Aus dieſem gegenſeiti-
gen Regen und Dehnen der Europaͤiſchen Staa-
ten, aus dieſem Agiren und Reagiren, aus dieſem
Sich-gegenſeitig-Beſchraͤnken und Treiben, ent-
ſteht das hoͤchſte, ſchoͤnſte und regelmaͤßigſte Wachs-
thum aller Einzelnen, wie Kant den Fortſchritt
der Cultur aus dem Nebeneinanderſtehen und
gegenſeitigen Draͤngen der einzelnen menſchlichen
Individuen erklaͤrte, die, gleich dicht gepflanzten
Baͤumen eines Waldes, einander zu einem gera-
den und ſtolzen Wuchſe in die Hoͤhe treiben,
waͤhrend der einzelne Baum in nachtheiliger Frei-
heit verkruͤppelt und naͤher am Boden bleibt.
Jenes gemeinſchaftliche, gleichmaͤßige Wachſen
und Gedeihen der neben einander lebenden Staa-
ten iſt im Zeitalter der Begriffe mit dem Worte
Gleichgewicht bezeichnet worden, welches
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[116/0150] d. h. nicht bloß den Flaͤchenraum, den er einmal be- ſitzt, zu vertheidigen, ſondern den geſammten dar- auf errichteten nationalen Koͤrper jener Rechts- Idee unberuͤhrt und unverdorben zu erhalten; 2) dieſen eigenthuͤmlichen Ausdruck der Rechts- Idee allen andern Staaten kenntlich, fuͤhlbar und wichtig zu machen, kurz, ſich ſelbſt nicht bloß zu vergroͤßern, ſondern, im vollen Sinne des Wortes, nach allen Seiten ſeines erhabenen We- ſens hin auszubreiten. Aus dieſem gegenſeiti- gen Regen und Dehnen der Europaͤiſchen Staa- ten, aus dieſem Agiren und Reagiren, aus dieſem Sich-gegenſeitig-Beſchraͤnken und Treiben, ent- ſteht das hoͤchſte, ſchoͤnſte und regelmaͤßigſte Wachs- thum aller Einzelnen, wie Kant den Fortſchritt der Cultur aus dem Nebeneinanderſtehen und gegenſeitigen Draͤngen der einzelnen menſchlichen Individuen erklaͤrte, die, gleich dicht gepflanzten Baͤumen eines Waldes, einander zu einem gera- den und ſtolzen Wuchſe in die Hoͤhe treiben, waͤhrend der einzelne Baum in nachtheiliger Frei- heit verkruͤppelt und naͤher am Boden bleibt. Jenes gemeinſchaftliche, gleichmaͤßige Wachſen und Gedeihen der neben einander lebenden Staa- ten iſt im Zeitalter der Begriffe mit dem Worte Gleichgewicht bezeichnet worden, welches Wort zu unzaͤhligen Mißverſtaͤndniſſen Anlaß

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/150>, abgerufen am 22.11.2024.