Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_063.001 Alles in allem zeigt sich, daß eine ganz scharfe Abgrenzung des Epischen pmu_063.029 4. Betrachten wir nun die einzelnen Formen der Epik, wie sie auf uns pmu_063.036 pmu_063.001 Alles in allem zeigt sich, daß eine ganz scharfe Abgrenzung des Epischen pmu_063.029 4. Betrachten wir nun die einzelnen Formen der Epik, wie sie auf uns pmu_063.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0073" n="63"/><lb n="pmu_063.001"/> des erzählenden Wirtes für den Helden der ganzen Geschichte jenes <lb n="pmu_063.002"/> prachtvolle Tempo und Feuer verleiht. Nur wenn der Leser die Parteilichkeit <lb n="pmu_063.003"/> des Dichters als Ungerechtigkeit empfindet, stört sie. Sonst könnte <lb n="pmu_063.004"/> man gerade in einer gewissen subjektiven Färbung durch das Medium des <lb n="pmu_063.005"/> Erzählers das Wesen des Epischen sehen, vor allem im Gegensatz zum <lb n="pmu_063.006"/> Dramatischen. So hat besonders K. Friedemann neuerdings es als das <lb n="pmu_063.007"/> Wesen des Epischen bezeichnet, daß uns die Geschehnisse nicht direkt, <lb n="pmu_063.008"/> „sondern durch ein organisch mit der Dichtung selbst verwachsenes Medium <lb n="pmu_063.009"/> übermittelt werden“. Trotzdem ist dabei zu bedenken, daß alle <lb n="pmu_063.010"/> Epiker in großen Partien ihrer Werke die Personen selber sprechen lassen, <lb n="pmu_063.011"/> ohne daß ihre Reden durch ein Medium hindurchgegangen wären, und <lb n="pmu_063.012"/> vielleicht ist es doch zu weit gegangen, wenn man nur jene indirekte Form <lb n="pmu_063.013"/> als „eigentliche“ Erzählung gelten läßt. Denn alle sprachlichen Elemente <lb n="pmu_063.014"/> seines Stoffes nehmen für den Dichter insofern eine besondere Stellung <lb n="pmu_063.015"/> ein, als sie seiner Darstellung unmittelbar zugänglich sind, während er <lb n="pmu_063.016"/> alles nichtsprachliche Geschehen erst transponieren muß. Daher lag es <lb n="pmu_063.017"/> für ihn nahe, alles Dialogische unmittelbar zu geben, zumal er durch indirekte <lb n="pmu_063.018"/> Wiedergabe sich mancher ausgezeichneter Einzelheiten für die Charakterisierung <lb n="pmu_063.019"/> und die lebendige Wirkung entschlagen würde. So müssen <lb n="pmu_063.020"/> wir doch nach den vorliegenden Kunstwerken gerade diese Doppelheit <lb n="pmu_063.021"/> zwischen mittelbarer Erzählung und direkter Wiedergabe des Dialogs als <lb n="pmu_063.022"/> das Wesen der Epik ansehen. Daß die Einheit des Werkes nicht darüber <lb n="pmu_063.023"/> verloren geht, ist im Versepos schon durch die Versform gewährleistet, <lb n="pmu_063.024"/> und auch im Roman pflegt oft ein gemeinsamer Rhythmus, eine auch den <lb n="pmu_063.025"/> Dialog durchdringende persönliche Färbung und Stilisierung die Stileinheit <lb n="pmu_063.026"/> zu wahren. Natürlich gibt es auch Werke genug, wo diese Einheit <lb n="pmu_063.027"/> fehlt, wie in den naturalistischen Romanen mit mundartlichem Dialog.</p> <lb n="pmu_063.028"/> <p> Alles in allem zeigt sich, daß eine ganz scharfe Abgrenzung des Epischen <lb n="pmu_063.029"/> gegen Lyrik und Dramatik nicht möglich ist. Es gibt unzählige <lb n="pmu_063.030"/> Übergangsstufen, und wir können nur ganz allgemein sagen, daß das <lb n="pmu_063.031"/> Wesen des Epischen gegenüber dem Lyrischen sich als größere Betonung <lb n="pmu_063.032"/> des Sachlichen und Zurücktreten der Subjektivität darstellt, während eine <lb n="pmu_063.033"/> größere, durchgehende subjektive Färbung aller sachlichen Darstellung <lb n="pmu_063.034"/> wieder gegenüber dem Dramatiker für den Epiker bezeichnend ist.</p> <lb n="pmu_063.035"/> </div> <div n="3"> <p> 4. Betrachten wir nun die einzelnen Formen der Epik, wie sie auf uns <lb n="pmu_063.036"/> gekommen sind, so scheinen fast überall am Anfang kürzere <hi rendition="#g">balladen</hi>hafte <lb n="pmu_063.037"/> Lieder gestanden zu haben. Und zwar ist dieser Balladenstil ganz klar gekennzeichnet <lb n="pmu_063.038"/> als für den mündlichen Vortrag gedacht, wohl meist für den </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0073]
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des erzählenden Wirtes für den Helden der ganzen Geschichte jenes pmu_063.002
prachtvolle Tempo und Feuer verleiht. Nur wenn der Leser die Parteilichkeit pmu_063.003
des Dichters als Ungerechtigkeit empfindet, stört sie. Sonst könnte pmu_063.004
man gerade in einer gewissen subjektiven Färbung durch das Medium des pmu_063.005
Erzählers das Wesen des Epischen sehen, vor allem im Gegensatz zum pmu_063.006
Dramatischen. So hat besonders K. Friedemann neuerdings es als das pmu_063.007
Wesen des Epischen bezeichnet, daß uns die Geschehnisse nicht direkt, pmu_063.008
„sondern durch ein organisch mit der Dichtung selbst verwachsenes Medium pmu_063.009
übermittelt werden“. Trotzdem ist dabei zu bedenken, daß alle pmu_063.010
Epiker in großen Partien ihrer Werke die Personen selber sprechen lassen, pmu_063.011
ohne daß ihre Reden durch ein Medium hindurchgegangen wären, und pmu_063.012
vielleicht ist es doch zu weit gegangen, wenn man nur jene indirekte Form pmu_063.013
als „eigentliche“ Erzählung gelten läßt. Denn alle sprachlichen Elemente pmu_063.014
seines Stoffes nehmen für den Dichter insofern eine besondere Stellung pmu_063.015
ein, als sie seiner Darstellung unmittelbar zugänglich sind, während er pmu_063.016
alles nichtsprachliche Geschehen erst transponieren muß. Daher lag es pmu_063.017
für ihn nahe, alles Dialogische unmittelbar zu geben, zumal er durch indirekte pmu_063.018
Wiedergabe sich mancher ausgezeichneter Einzelheiten für die Charakterisierung pmu_063.019
und die lebendige Wirkung entschlagen würde. So müssen pmu_063.020
wir doch nach den vorliegenden Kunstwerken gerade diese Doppelheit pmu_063.021
zwischen mittelbarer Erzählung und direkter Wiedergabe des Dialogs als pmu_063.022
das Wesen der Epik ansehen. Daß die Einheit des Werkes nicht darüber pmu_063.023
verloren geht, ist im Versepos schon durch die Versform gewährleistet, pmu_063.024
und auch im Roman pflegt oft ein gemeinsamer Rhythmus, eine auch den pmu_063.025
Dialog durchdringende persönliche Färbung und Stilisierung die Stileinheit pmu_063.026
zu wahren. Natürlich gibt es auch Werke genug, wo diese Einheit pmu_063.027
fehlt, wie in den naturalistischen Romanen mit mundartlichem Dialog.
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Alles in allem zeigt sich, daß eine ganz scharfe Abgrenzung des Epischen pmu_063.029
gegen Lyrik und Dramatik nicht möglich ist. Es gibt unzählige pmu_063.030
Übergangsstufen, und wir können nur ganz allgemein sagen, daß das pmu_063.031
Wesen des Epischen gegenüber dem Lyrischen sich als größere Betonung pmu_063.032
des Sachlichen und Zurücktreten der Subjektivität darstellt, während eine pmu_063.033
größere, durchgehende subjektive Färbung aller sachlichen Darstellung pmu_063.034
wieder gegenüber dem Dramatiker für den Epiker bezeichnend ist.
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4. Betrachten wir nun die einzelnen Formen der Epik, wie sie auf uns pmu_063.036
gekommen sind, so scheinen fast überall am Anfang kürzere balladenhafte pmu_063.037
Lieder gestanden zu haben. Und zwar ist dieser Balladenstil ganz klar gekennzeichnet pmu_063.038
als für den mündlichen Vortrag gedacht, wohl meist für den
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