Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_091.001 Ferner liebt die poetische Sprache alle diejenigen Ausdrücke, denen pmu_091.004 Zu den in der Wahl des einzelnen Wortes liegenden Stilwirkungen treten pmu_091.025 8. Gehen wir nun zu jenen Formen über, wo wenigstens ursprünglich pmu_091.035 pmu_091.001 Ferner liebt die poetische Sprache alle diejenigen Ausdrücke, denen pmu_091.004 Zu den in der Wahl des einzelnen Wortes liegenden Stilwirkungen treten pmu_091.025 8. Gehen wir nun zu jenen Formen über, wo wenigstens ursprünglich pmu_091.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0101" n="91"/><lb n="pmu_091.001"/> Wort zu finden. Die Auswahl ist stets relativ. Es kommt auf die Gesamthaltung <lb n="pmu_091.002"/> des Werkes an, nach welcher Seite die Auswahl zu treffen ist.</p> <lb n="pmu_091.003"/> <p> Ferner liebt die poetische Sprache alle diejenigen Ausdrücke, denen <lb n="pmu_091.004"/> ein gewisser Gefühlswert anhaftet, weil sie bestimmten Lebenssphären <lb n="pmu_091.005"/> entnommen sind. So wirken „<hi rendition="#g">Archaismen</hi>“, richtig verwandt, poetisch, <lb n="pmu_091.006"/> weil ihnen ein Duft von Altertum anhaftet, der unter Umständen, <lb n="pmu_091.007"/> in Balladen z. B., sehr stimmungsverstärkend wirken kann. Aus demselben <lb n="pmu_091.008"/> Grunde haben <hi rendition="#g">dialektische</hi> Worte einen ganz bestimmten Stimmungswert, <lb n="pmu_091.009"/> dem nicht nur der Stammesangehörige, sondern auch der <lb n="pmu_091.010"/> Fremde unterliegt. So bringen die alemannischen Ausdrücke bei Hebel <lb n="pmu_091.011"/> oder Auerbach, wie das eingestreute „halt“ z. B., auch bei den Nichtalemannen <lb n="pmu_091.012"/> eine Stimmung der traulichen Gemütlichkeit mit. — Anders ist <lb n="pmu_091.013"/> die Wirkung der <hi rendition="#g">Neologismen.</hi> Diese Neubildungen erzeugen oft die <lb n="pmu_091.014"/> Gefühlswirkung des Überraschenden, ja Verblüffenden und können darum <lb n="pmu_091.015"/> sehr gut wirken, obwohl sie oft, wie alle diese Stilformen, zur Manier <lb n="pmu_091.016"/> ausarten. Neuerdings ist es wieder besonders in der Mode, den Stil mit <lb n="pmu_091.017"/> lauter derartigen Worten herauszuputzen. So ist z. B. Spitteler groß <lb n="pmu_091.018"/> in Provinzialismen und Neologismen. Sehr glücklich in Neubildungen <lb n="pmu_091.019"/> ist z. B. der Österreicher Bartsch. Alles in allem wird man jedoch die <lb n="pmu_091.020"/> poetische Wirkung derartiger Dinge nicht überschätzen dürfen. Sie dienen oft <lb n="pmu_091.021"/> mehr der Eitelkeit des Autors als einem wirklichen Bedürfnis. Andre Sprachen, <lb n="pmu_091.022"/> wie das Französische, verhalten sich darin auch bedeutend ablehnender <lb n="pmu_091.023"/> als das Deutsche, und es ist eine Frage, ob es wirklich viel verliert dadurch.</p> <lb n="pmu_091.024"/> <p> Zu den in der Wahl des einzelnen Wortes liegenden Stilwirkungen treten <lb n="pmu_091.025"/> auch <hi rendition="#g">syntaktische.</hi> Eine vom Umgangston abweichende Wortstellung ist <lb n="pmu_091.026"/> vor allem beliebt, um das ganze Dichterwerk in eine besondere Sphäre zu <lb n="pmu_091.027"/> transponieren. So wirken z. B. vorgeschobene Genitive („der Könige <lb n="pmu_091.028"/> Häuser“ statt die „Häuser der Könige“), Anaphern usw. stark aufs Gefühl, <lb n="pmu_091.029"/> teils durch das Ungewöhnliche allein, teils, wie bei der Anapher, durch die besondere <lb n="pmu_091.030"/> Emphase, die dem vorgeschobenen Worte geliehen wird. Daneben <lb n="pmu_091.031"/> dient die besondere Wortstellung auch noch phonetischen Wirkungen, der <lb n="pmu_091.032"/> Vermeidung von Hiaten, von häßlichen Konsonantenhäufungen und vor <lb n="pmu_091.033"/> allem auch der Rhythmisierung des Satzes, die ja auch in Prosa nicht fehlt.</p> <lb n="pmu_091.034"/> </div> <div n="3"> <p> 8. Gehen wir nun zu jenen Formen über, wo wenigstens ursprünglich <lb n="pmu_091.035"/> eine besondere Apperzeption zugrunde gelegen hat, so sehen wir leicht, <lb n="pmu_091.036"/> daß diejenigen Formen, die die Stilistik seit alters als <hi rendition="#aq">Epitheton ornans</hi>, <lb n="pmu_091.037"/> Metapher, Metonymie, Gleichnis, Symbol unterscheidet, im tiefsten <lb n="pmu_091.038"/> Grunde sehr nahe verwandt sind. Sie scheiden sich oft nur durch die sprachliche </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [91/0101]
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Wort zu finden. Die Auswahl ist stets relativ. Es kommt auf die Gesamthaltung pmu_091.002
des Werkes an, nach welcher Seite die Auswahl zu treffen ist.
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Ferner liebt die poetische Sprache alle diejenigen Ausdrücke, denen pmu_091.004
ein gewisser Gefühlswert anhaftet, weil sie bestimmten Lebenssphären pmu_091.005
entnommen sind. So wirken „Archaismen“, richtig verwandt, poetisch, pmu_091.006
weil ihnen ein Duft von Altertum anhaftet, der unter Umständen, pmu_091.007
in Balladen z. B., sehr stimmungsverstärkend wirken kann. Aus demselben pmu_091.008
Grunde haben dialektische Worte einen ganz bestimmten Stimmungswert, pmu_091.009
dem nicht nur der Stammesangehörige, sondern auch der pmu_091.010
Fremde unterliegt. So bringen die alemannischen Ausdrücke bei Hebel pmu_091.011
oder Auerbach, wie das eingestreute „halt“ z. B., auch bei den Nichtalemannen pmu_091.012
eine Stimmung der traulichen Gemütlichkeit mit. — Anders ist pmu_091.013
die Wirkung der Neologismen. Diese Neubildungen erzeugen oft die pmu_091.014
Gefühlswirkung des Überraschenden, ja Verblüffenden und können darum pmu_091.015
sehr gut wirken, obwohl sie oft, wie alle diese Stilformen, zur Manier pmu_091.016
ausarten. Neuerdings ist es wieder besonders in der Mode, den Stil mit pmu_091.017
lauter derartigen Worten herauszuputzen. So ist z. B. Spitteler groß pmu_091.018
in Provinzialismen und Neologismen. Sehr glücklich in Neubildungen pmu_091.019
ist z. B. der Österreicher Bartsch. Alles in allem wird man jedoch die pmu_091.020
poetische Wirkung derartiger Dinge nicht überschätzen dürfen. Sie dienen oft pmu_091.021
mehr der Eitelkeit des Autors als einem wirklichen Bedürfnis. Andre Sprachen, pmu_091.022
wie das Französische, verhalten sich darin auch bedeutend ablehnender pmu_091.023
als das Deutsche, und es ist eine Frage, ob es wirklich viel verliert dadurch.
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Zu den in der Wahl des einzelnen Wortes liegenden Stilwirkungen treten pmu_091.025
auch syntaktische. Eine vom Umgangston abweichende Wortstellung ist pmu_091.026
vor allem beliebt, um das ganze Dichterwerk in eine besondere Sphäre zu pmu_091.027
transponieren. So wirken z. B. vorgeschobene Genitive („der Könige pmu_091.028
Häuser“ statt die „Häuser der Könige“), Anaphern usw. stark aufs Gefühl, pmu_091.029
teils durch das Ungewöhnliche allein, teils, wie bei der Anapher, durch die besondere pmu_091.030
Emphase, die dem vorgeschobenen Worte geliehen wird. Daneben pmu_091.031
dient die besondere Wortstellung auch noch phonetischen Wirkungen, der pmu_091.032
Vermeidung von Hiaten, von häßlichen Konsonantenhäufungen und vor pmu_091.033
allem auch der Rhythmisierung des Satzes, die ja auch in Prosa nicht fehlt.
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8. Gehen wir nun zu jenen Formen über, wo wenigstens ursprünglich pmu_091.035
eine besondere Apperzeption zugrunde gelegen hat, so sehen wir leicht, pmu_091.036
daß diejenigen Formen, die die Stilistik seit alters als Epitheton ornans, pmu_091.037
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Grunde sehr nahe verwandt sind. Sie scheiden sich oft nur durch die sprachliche
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