130) nicht fragen, wer denn den Alkamenes einen Insulaner nenne, da es dort (S. 40) genau angegeben ist, und auch nicht einen Lemnier in einen Limnier verwandeln, dergleichen es nie ge- geben hat. In chronologischen Bestimmungen möchte überhaupt die vermißte Behutsamkeit am meisten nöthig sein, damit nicht, wie S. 420, eine Begebenheit, "gegen Ol. 40, 4, vor Chr. 532., in das Zeitalter des Pythagoras" gesetzt werde, von welchen Da- ten das zweite und dritte um volle zwanzig Olympiaden vom er- sten abliegen.
Aber in diesen und ähnlichen Stellen, denn die angeführten stehen wirklich nur beispielsweise hier, hat das Verfahren von H. Th., wenn es auch immer der Haltbarkeit seiner Untersuchungen schadet, doch einen durchaus gutartigen Charakter; und man kann ihm nicht zürnen, wenn er mit einem im Laufe der Rede immer steigenden Eifer und einer glänzenden Redefülle, ohne allen Arg- wohn einer verborgnen Gefahr, seine Ansichten über eine Materie auseinandersetzt, bei der ihm nur grade ein Hauptpunkt entgangen ist. Dagegen giebt es eine Stelle (aber auch nur eine, so viel der Vf. bemerkt hat), wo wenigstens der Verdacht sehr natürlich ist, daß H. Th. eine an sich höchst verwickelte Untersuchung absichtlich zu verwirren suche. Auf jeden Fall ist die Sache sehr wunder- lich. H. Th. hatte eine Lehrer- u. Schüler-Folge von dem Künst- ler Aristokles bis Pantias in fünf Gliedern aufgestellt; der Vf. hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, daß unter diesen das dritte und vierte in keinem nachweisbaren Zusammenhange stehen, und hier eine Lücke in der Reihenfolge angenommen werden müsse, indem nach sichrem Zeugniß Pantias der siebente vor Aristokles war; H. Th. gesteht nun auch jetzt, daß wir hier nur zwei Bruch- stücke einer Künstler-Succession haben, aber macht durch ein ei- genthümliches Kunststück aufs schnellste ein Ganzes daraus, indem er sagt: "Knüpfen wir nun diese beiden Bruchstücke von Kunstge- nealogieen zusammen" Doch wer über diesen Gegenstand ordent- lich richten will, muß durchaus das in der ersten Auflage der Epo-
130) nicht fragen, wer denn den Alkamenes einen Inſulaner nenne, da es dort (S. 40) genau angegeben iſt, und auch nicht einen Lemnier in einen Limnier verwandeln, dergleichen es nie ge- geben hat. In chronologiſchen Beſtimmungen möchte überhaupt die vermißte Behutſamkeit am meiſten nöthig ſein, damit nicht, wie S. 420, eine Begebenheit, “gegen Ol. 40, 4, vor Chr. 532., in das Zeitalter des Pythagoras„ geſetzt werde, von welchen Da- ten das zweite und dritte um volle zwanzig Olympiaden vom er- ſten abliegen.
Aber in dieſen und ähnlichen Stellen, denn die angeführten ſtehen wirklich nur beiſpielsweiſe hier, hat das Verfahren von H. Th., wenn es auch immer der Haltbarkeit ſeiner Unterſuchungen ſchadet, doch einen durchaus gutartigen Charakter; und man kann ihm nicht zürnen, wenn er mit einem im Laufe der Rede immer ſteigenden Eifer und einer glänzenden Redefülle, ohne allen Arg- wohn einer verborgnen Gefahr, ſeine Anſichten über eine Materie auseinanderſetzt, bei der ihm nur grade ein Hauptpunkt entgangen iſt. Dagegen giebt es eine Stelle (aber auch nur eine, ſo viel der Vf. bemerkt hat), wo wenigſtens der Verdacht ſehr natürlich iſt, daß H. Th. eine an ſich höchſt verwickelte Unterſuchung abſichtlich zu verwirren ſuche. Auf jeden Fall iſt die Sache ſehr wunder- lich. H. Th. hatte eine Lehrer- u. Schüler-Folge von dem Künſt- ler Ariſtokles bis Pantias in fünf Gliedern aufgeſtellt; der Vf. hatte ihn darauf aufmerkſam gemacht, daß unter dieſen das dritte und vierte in keinem nachweisbaren Zuſammenhange ſtehen, und hier eine Lücke in der Reihenfolge angenommen werden müſſe, indem nach ſichrem Zeugniß Pantias der ſiebente vor Ariſtokles war; H. Th. geſteht nun auch jetzt, daß wir hier nur zwei Bruch- ſtücke einer Künſtler-Succeſſion haben, aber macht durch ein ei- genthümliches Kunſtſtück aufs ſchnellſte ein Ganzes daraus, indem er ſagt: “Knüpfen wir nun dieſe beiden Bruchſtücke von Kunſtge- nealogieen zuſammen” Doch wer über dieſen Gegenſtand ordent- lich richten will, muß durchaus das in der erſten Auflage der Epo-
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130) nicht fragen, wer denn den Alkamenes einen Inſulaner
nenne, da es dort (S. 40) genau angegeben iſt, und auch nicht
einen Lemnier in einen Limnier verwandeln, dergleichen es nie ge-
geben hat. In chronologiſchen Beſtimmungen möchte überhaupt
die vermißte Behutſamkeit am meiſten nöthig ſein, damit nicht,
wie S. 420, eine Begebenheit, “gegen Ol. 40, 4, vor Chr. 532.,
in das Zeitalter des Pythagoras„ geſetzt werde, von welchen Da-
ten das zweite und dritte um volle zwanzig Olympiaden vom er-
ſten abliegen.
Aber in dieſen und ähnlichen Stellen, denn die angeführten
ſtehen wirklich nur beiſpielsweiſe hier, hat das Verfahren von H.
Th., wenn es auch immer der Haltbarkeit ſeiner Unterſuchungen
ſchadet, doch einen durchaus gutartigen Charakter; und man kann
ihm nicht zürnen, wenn er mit einem im Laufe der Rede immer
ſteigenden Eifer und einer glänzenden Redefülle, ohne allen Arg-
wohn einer verborgnen Gefahr, ſeine Anſichten über eine Materie
auseinanderſetzt, bei der ihm nur grade ein Hauptpunkt entgangen
iſt. Dagegen giebt es eine Stelle (aber auch nur eine, ſo viel der
Vf. bemerkt hat), wo wenigſtens der Verdacht ſehr natürlich iſt,
daß H. Th. eine an ſich höchſt verwickelte Unterſuchung abſichtlich
zu verwirren ſuche. Auf jeden Fall iſt die Sache ſehr wunder-
lich. H. Th. hatte eine Lehrer- u. Schüler-Folge von dem Künſt-
ler Ariſtokles bis Pantias in fünf Gliedern aufgeſtellt; der Vf.
hatte ihn darauf aufmerkſam gemacht, daß unter dieſen das
dritte und vierte in keinem nachweisbaren Zuſammenhange ſtehen,
und hier eine Lücke in der Reihenfolge angenommen werden müſſe,
indem nach ſichrem Zeugniß Pantias der ſiebente vor Ariſtokles
war; H. Th. geſteht nun auch jetzt, daß wir hier nur zwei Bruch-
ſtücke einer Künſtler-Succeſſion haben, aber macht durch ein ei-
genthümliches Kunſtſtück aufs ſchnellſte ein Ganzes daraus, indem
er ſagt: “Knüpfen wir nun dieſe beiden Bruchſtücke von Kunſtge-
nealogieen zuſammen” Doch wer über dieſen Gegenſtand ordent-
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/637>, abgerufen am 24.11.2024.
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