Form erst durch die Art des Umnehmens einen bestimm- ten Charakter erhalten, und zugleich einen großen Wechsel glatter und faltiger Parthieen gestatten, waren von An- fang an für solche Zwecke geeignet; aber es wurde auch zeitig Künstlergrundsatz, durch enges Anziehn der Gewänder und Beschwerung der Zipfel mit kleinen Ge- wichten (RoIskoi?) die Körperformen überall möglichst vortreten zu lassen. Das Streben nach Klarheit der Dar-5 stellung gebot den Künstlern der besten Zeit Anordnung in großen Massen, Unterordnung des Details unter die Hauptformen, grade so wie bei der Muskulatur des Körpers.
4. Prosptussetai pleuraisin artikollos oste tekto- nos khiton apan kat arthron Soph. Trachin. 765. -- Auch die vestes lucidae der alten Mahler (oben §. 134, 2.) gehören hieher. Die kleinen Gewichte sieht man selbst auf Münzen, Mi- onnet Descr. Planches 65, 7.
5. Vom älteren Draperie-Styl. §. 93.; vom spätern §. 204, 2. Jene starren und tiefen Falten an den Gewändern der Giu- stin. Vesta, des Barberinischen Apollon, der Musen von Venedig möchten, wie §. 93, 1. angedeutet, aus architektonischen Bedingun- gen abzuleiten sein.
III. Von den Attributen.
344. Zu den Kunstformen gehören auch die Attribute,1 worunter untergeordnete Wesen der Natur oder Produkte menschlicher Arbeit verstanden werden, welche zur Bezeich- nung des Charakters und der Thätigkeit von Hauptfiguren dienen. Da zwischen diesen Wesen und Dingen und ei-2 nem geistigen Leben nicht der innige und natürliche Zu- sammenhang besteht, wie zwischen dem Menschenkörper und Geiste: so wird die Kunst hier immer an ein Posi- tives gewiesen sein. Personen der Wirklichkeit werden3 ihre wirklichen Umgebungen zugefügt (wie den Senato-
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II. Bildende Kunſt. Formen.
Form erſt durch die Art des Umnehmens einen beſtimm- ten Charakter erhalten, und zugleich einen großen Wechſel glatter und faltiger Parthieen geſtatten, waren von An- fang an fuͤr ſolche Zwecke geeignet; aber es wurde auch zeitig Kuͤnſtlergrundſatz, durch enges Anziehn der Gewaͤnder und Beſchwerung der Zipfel mit kleinen Ge- wichten (ῥοΐσκοι?) die Koͤrperformen uͤberall moͤglichſt vortreten zu laſſen. Das Streben nach Klarheit der Dar-5 ſtellung gebot den Kuͤnſtlern der beſten Zeit Anordnung in großen Maſſen, Unterordnung des Details unter die Hauptformen, grade ſo wie bei der Muskulatur des Koͤrpers.
4. Προςπτύσσεται πλευραῖσιν ἀρτἰκολλος ὥστε τέκτο- νος χιτὼν ἅπαν κατ̕ ἄρϑρον Soph. Trachin. 765. — Auch die vestes lucidae der alten Mahler (oben §. 134, 2.) gehören hieher. Die kleinen Gewichte ſieht man ſelbſt auf Münzen, Mi- onnet Descr. Planches 65, 7.
5. Vom älteren Draperie-Styl. §. 93.; vom ſpätern §. 204, 2. Jene ſtarren und tiefen Falten an den Gewändern der Giu- ſtin. Veſta, des Barberiniſchen Apollon, der Muſen von Venedig möchten, wie §. 93, 1. angedeutet, aus architektoniſchen Bedingun- gen abzuleiten ſein.
III. Von den Attributen.
344. Zu den Kunſtformen gehoͤren auch die Attribute,1 worunter untergeordnete Weſen der Natur oder Produkte menſchlicher Arbeit verſtanden werden, welche zur Bezeich- nung des Charakters und der Thaͤtigkeit von Hauptfiguren dienen. Da zwiſchen dieſen Weſen und Dingen und ei-2 nem geiſtigen Leben nicht der innige und natuͤrliche Zu- ſammenhang beſteht, wie zwiſchen dem Menſchenkoͤrper und Geiſte: ſo wird die Kunſt hier immer an ein Poſi- tives gewieſen ſein. Perſonen der Wirklichkeit werden3 ihre wirklichen Umgebungen zugefuͤgt (wie den Senato-
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II. Bildende Kunſt. Formen.
Form erſt durch die Art des Umnehmens einen beſtimm-
ten Charakter erhalten, und zugleich einen großen Wechſel
glatter und faltiger Parthieen geſtatten, waren von An-
fang an fuͤr ſolche Zwecke geeignet; aber es wurde
auch zeitig Kuͤnſtlergrundſatz, durch enges Anziehn der
Gewaͤnder und Beſchwerung der Zipfel mit kleinen Ge-
wichten (ῥοΐσκοι?) die Koͤrperformen uͤberall moͤglichſt
vortreten zu laſſen. Das Streben nach Klarheit der Dar-
ſtellung gebot den Kuͤnſtlern der beſten Zeit Anordnung
in großen Maſſen, Unterordnung des Details unter die
Hauptformen, grade ſo wie bei der Muskulatur des Koͤrpers.
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4. Προςπτύσσεται πλευραῖσιν ἀρτἰκολλος ὥστε τέκτο-
νος χιτὼν ἅπαν κατ̕ ἄρϑρον Soph. Trachin. 765. — Auch
die vestes lucidae der alten Mahler (oben §. 134, 2.) gehören
hieher. Die kleinen Gewichte ſieht man ſelbſt auf Münzen, Mi-
onnet Descr. Planches 65, 7.
5. Vom älteren Draperie-Styl. §. 93.; vom ſpätern §. 204,
2. Jene ſtarren und tiefen Falten an den Gewändern der Giu-
ſtin. Veſta, des Barberiniſchen Apollon, der Muſen von Venedig
möchten, wie §. 93, 1. angedeutet, aus architektoniſchen Bedingun-
gen abzuleiten ſein.
III. Von den Attributen.
344. Zu den Kunſtformen gehoͤren auch die Attribute,
worunter untergeordnete Weſen der Natur oder Produkte
menſchlicher Arbeit verſtanden werden, welche zur Bezeich-
nung des Charakters und der Thaͤtigkeit von Hauptfiguren
dienen. Da zwiſchen dieſen Weſen und Dingen und ei-
nem geiſtigen Leben nicht der innige und natuͤrliche Zu-
ſammenhang beſteht, wie zwiſchen dem Menſchenkoͤrper
und Geiſte: ſo wird die Kunſt hier immer an ein Poſi-
tives gewieſen ſein. Perſonen der Wirklichkeit werden
ihre wirklichen Umgebungen zugefuͤgt (wie den Senato-
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/455>, abgerufen am 16.07.2024.
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