bilden eine Art von Octave, consoniren und dissoniren, erwecken ähnliche Empfindungen wie Töne. -- Göthe's Farbenlehre, besonders Abschn. 6. "Sinnlich-sittliche Wirkung der Farben".
27. Hierdurch wird das Verhältniß der Pla-1 stik und Mahlerei, ihrem Vermögen und ihrer Be- stimmung nach, schon in den Hauptzügen bestimmt. Die Plastik stellt die organische Form in höchster Vollkom-2 menheit dar, und hält sich mit Recht an den Gipfel der- selben, die Menschengestalt; sie muß überall völlig und rund darstellen und darf nichts unbestimmt lassen; eine gewisse Beschränktheit aber große Klarheit auf der andern Seite gehören zu ihrem Charakter. Die Mahlerei, welche3 zunächst das Licht darstellt (in dessen Wundern sie recht ihre Größe zeigt), und dafür in der Körperform mit dem dadurch hervorgebrachten Schein zufrieden ist, ver- mag viel Mehr in ihren Kreis zu ziehn und die ganze Natur zur Darstellung ihrer Kunstideen zu machen; sie ist andeutungsvoller aber minder scharfbezeichnend. Die4 Plastik ist ihrer Natur nach mehr auf das Ruhige, Feste gerichtet; die Mahlerei mehr auf das Vorübergehende, sie erhält auch dadurch, daß sie Fernes und Nahes verbin- det, mehr Bewegung; jene ist daher mehr für die Dar- stellung des Charakters, diese des Ausdrucks geeig- net. Die Plastik ist überall an eine strengere Gesetzmä-5 ßigkeit, an ein einfacheres Schönheitsgesetz, gebunden, die Mahlerei darf eine größere scheinbare Störung im Ein- zelnen (§. 13. Anm.) wagen, weil sie reichere Mittel hat sie wieder im Ganzen aufzuheben.
5. Das Mahlerische wird von Neuern öfter dem Schönen ent- gegengesetzt, das Plastische niemals.
Das Basrelief (Basso, Mezzo, Altorilievo), dessen Gesetze schwer zu bestimmen sind, schwankt zwischen beiden Künsten; das Alterthum hat es mehr plastisch, die neuere Zeit, in der die Mahlerei vorherrscht, oft mahlerisch behandelt. Tölken über das Basrelief. Die Scalptur (Stein- und Stempelschneidekunst)
Zur Theorie der Kunſt.
bilden eine Art von Octave, conſoniren und diſſoniren, erwecken ähnliche Empfindungen wie Töne. — Göthe’s Farbenlehre, beſonders Abſchn. 6. „Sinnlich-ſittliche Wirkung der Farben“.
27. Hierdurch wird das Verhaͤltniß der Pla-1 ſtik und Mahlerei, ihrem Vermoͤgen und ihrer Be- ſtimmung nach, ſchon in den Hauptzuͤgen beſtimmt. Die Plaſtik ſtellt die organiſche Form in hoͤchſter Vollkom-2 menheit dar, und haͤlt ſich mit Recht an den Gipfel der- ſelben, die Menſchengeſtalt; ſie muß uͤberall voͤllig und rund darſtellen und darf nichts unbeſtimmt laſſen; eine gewiſſe Beſchraͤnktheit aber große Klarheit auf der andern Seite gehoͤren zu ihrem Charakter. Die Mahlerei, welche3 zunaͤchſt das Licht darſtellt (in deſſen Wundern ſie recht ihre Groͤße zeigt), und dafuͤr in der Koͤrperform mit dem dadurch hervorgebrachten Schein zufrieden iſt, ver- mag viel Mehr in ihren Kreis zu ziehn und die ganze Natur zur Darſtellung ihrer Kunſtideen zu machen; ſie iſt andeutungsvoller aber minder ſcharfbezeichnend. Die4 Plaſtik iſt ihrer Natur nach mehr auf das Ruhige, Feſte gerichtet; die Mahlerei mehr auf das Voruͤbergehende, ſie erhaͤlt auch dadurch, daß ſie Fernes und Nahes verbin- det, mehr Bewegung; jene iſt daher mehr fuͤr die Dar- ſtellung des Charakters, dieſe des Ausdrucks geeig- net. Die Plaſtik iſt uͤberall an eine ſtrengere Geſetzmaͤ-5 ßigkeit, an ein einfacheres Schoͤnheitsgeſetz, gebunden, die Mahlerei darf eine groͤßere ſcheinbare Stoͤrung im Ein- zelnen (§. 13. Anm.) wagen, weil ſie reichere Mittel hat ſie wieder im Ganzen aufzuheben.
5. Das Mahleriſche wird von Neuern öfter dem Schönen ent- gegengeſetzt, das Plaſtiſche niemals.
Das Basrelief (Basso, Mezzo, Altorilievo), deſſen Geſetze ſchwer zu beſtimmen ſind, ſchwankt zwiſchen beiden Künſten; das Alterthum hat es mehr plaſtiſch, die neuere Zeit, in der die Mahlerei vorherrſcht, oft mahleriſch behandelt. Tölken über das Basrelief. Die Scalptur (Stein- und Stempelſchneidekunſt)
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Zur Theorie der Kunſt.
bilden eine Art von Octave, conſoniren und diſſoniren, erwecken
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Abſchn. 6. „Sinnlich-ſittliche Wirkung der Farben“.
27. Hierdurch wird das Verhaͤltniß der Pla-
ſtik und Mahlerei, ihrem Vermoͤgen und ihrer Be-
ſtimmung nach, ſchon in den Hauptzuͤgen beſtimmt. Die
Plaſtik ſtellt die organiſche Form in hoͤchſter Vollkom-
menheit dar, und haͤlt ſich mit Recht an den Gipfel der-
ſelben, die Menſchengeſtalt; ſie muß uͤberall voͤllig und
rund darſtellen und darf nichts unbeſtimmt laſſen; eine
gewiſſe Beſchraͤnktheit aber große Klarheit auf der andern
Seite gehoͤren zu ihrem Charakter. Die Mahlerei, welche
zunaͤchſt das Licht darſtellt (in deſſen Wundern ſie recht
ihre Groͤße zeigt), und dafuͤr in der Koͤrperform mit
dem dadurch hervorgebrachten Schein zufrieden iſt, ver-
mag viel Mehr in ihren Kreis zu ziehn und die ganze
Natur zur Darſtellung ihrer Kunſtideen zu machen; ſie
iſt andeutungsvoller aber minder ſcharfbezeichnend. Die
Plaſtik iſt ihrer Natur nach mehr auf das Ruhige, Feſte
gerichtet; die Mahlerei mehr auf das Voruͤbergehende, ſie
erhaͤlt auch dadurch, daß ſie Fernes und Nahes verbin-
det, mehr Bewegung; jene iſt daher mehr fuͤr die Dar-
ſtellung des Charakters, dieſe des Ausdrucks geeig-
net. Die Plaſtik iſt uͤberall an eine ſtrengere Geſetzmaͤ-
ßigkeit, an ein einfacheres Schoͤnheitsgeſetz, gebunden, die
Mahlerei darf eine groͤßere ſcheinbare Stoͤrung im Ein-
zelnen (§. 13. Anm.) wagen, weil ſie reichere Mittel
hat ſie wieder im Ganzen aufzuheben.
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gegengeſetzt, das Plaſtiſche niemals.
Das Basrelief (Basso, Mezzo, Altorilievo), deſſen
Geſetze ſchwer zu beſtimmen ſind, ſchwankt zwiſchen beiden Künſten;
das Alterthum hat es mehr plaſtiſch, die neuere Zeit, in der die
Mahlerei vorherrſcht, oft mahleriſch behandelt. Tölken über das
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/35>, abgerufen am 24.11.2024.
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