279. Einzeln stehende Pfeiler oder Pilaster vertre- tende Bildsäulen, welche Atlanten, Telamonen, Karyatiden heißen, wendet die Griechische Architektur sehr mäßig und nie ohne eine besondre Beziehung auf den Zweck und die Bedeutung des Gebäudes an: viel häufiger waren solche Stützen bei Dreifüßen, Kesseln, Thronen, Fußschemeln und andern Geräthen.
S. §. 109, 4. 17., wo die Giganten den T. ihres Ueberwin- ders tragen. Athen. v, 208 b. von den atlantes an der Au- ßenseite des Schiffes des Hieron. Dafür sagten die Römer nach Vitr. vi, 10. Telamones. Ueber die Vitruvischen Caryatides (früher korai) Hirt, Mus. der AlterthumsW. i. S. 271. Böt- tiger Amalth. iii. S. 37. Vgl. Stuart's Ant. in der neuen Ausg., der Deutschen Uebers. i. S. 488 ff. -- Die Figuren an den Pfeilern der Halle von Thessalonike (§. 192, 4.), Incantada genannt, sind keine Atlanten, sondern bloße Reliefs an den Pfei- lern einer oberen Stoa. -- In Delos finden sich auch Vor- dertheile von Rindern an Pfeilern unter einem Gebälk angebracht.
280. Die Mauer (murus, teikhos) oder Wand (paries, toikhos) ist die Fortsetzung des Pfeilers, welche aber zugleich die Analogie der Säule vollständiger ver- läßt, indem bei dieser das Stützen als alleiniger, bei je- ner neben dem Stützen das Einschließen als hauptsächlicher Zweck hervortritt. Sie erhält indeß oft nach Art der2 Pilaster drei Theile, den Fuß, den Würfel, und eine Art Capitäl oder Sims, welche Begriffe hier zusammen- fallen (epikranon, thrigkos). Als Capitäl erscheint dieser Theil mehr, wenn ein Gebälk darüber fortläuft; als Sims, wenn die Mauer für sich allein als eine Ein- fassung ihren Zweck erfüllt, in welchem Fall sie von dem schützenden Sims, thrigkos, selbst den Namen erhält. Niedrige Mauern kommen erstens unabhängig für sich3 als Umzäunungen vor (maceria, aimasia); dann als Un- tersätze der Hauptwände, um diese über den gewöhnli- chen Boden zu erheben und schon den Fuß derselben sicht- bar zu machen. Gewöhnliche Grundmauern von einigem Vorsprung, mit oder ohne Stufen, sind krepides, cre-4
I. Tektonik. Gebaͤude.
279. Einzeln ſtehende Pfeiler oder Pilaſter vertre- tende Bildſaͤulen, welche Atlanten, Telamonen, Karyatiden heißen, wendet die Griechiſche Architektur ſehr maͤßig und nie ohne eine beſondre Beziehung auf den Zweck und die Bedeutung des Gebaͤudes an: viel haͤufiger waren ſolche Stuͤtzen bei Dreifuͤßen, Keſſeln, Thronen, Fußſchemeln und andern Geraͤthen.
S. §. 109, 4. 17., wo die Giganten den T. ihres Ueberwin- ders tragen. Athen. v, 208 b. von den ἄτλαντες an der Au- ßenſeite des Schiffes des Hieron. Dafür ſagten die Römer nach Vitr. vi, 10. Telamones. Ueber die Vitruviſchen Caryatides (früher κόραι) Hirt, Muſ. der AlterthumsW. i. S. 271. Böt- tiger Amalth. iii. S. 37. Vgl. Stuart’s Ant. in der neuen Ausg., der Deutſchen Ueberſ. i. S. 488 ff. — Die Figuren an den Pfeilern der Halle von Theſſalonike (§. 192, 4.), Incantada genannt, ſind keine Atlanten, ſondern bloße Reliefs an den Pfei- lern einer oberen Stoa. — In Delos finden ſich auch Vor- dertheile von Rindern an Pfeilern unter einem Gebälk angebracht.
280. Die Mauer (murus, τεῖχος) oder Wand (paries, τοῖχος) iſt die Fortſetzung des Pfeilers, welche aber zugleich die Analogie der Saͤule vollſtaͤndiger ver- laͤßt, indem bei dieſer das Stuͤtzen als alleiniger, bei je- ner neben dem Stuͤtzen das Einſchließen als hauptſaͤchlicher Zweck hervortritt. Sie erhaͤlt indeß oft nach Art der2 Pilaſter drei Theile, den Fuß, den Wuͤrfel, und eine Art Capitaͤl oder Sims, welche Begriffe hier zuſammen- fallen (ἑπίκρανον, ϑριγκός). Als Capitaͤl erſcheint dieſer Theil mehr, wenn ein Gebaͤlk daruͤber fortlaͤuft; als Sims, wenn die Mauer fuͤr ſich allein als eine Ein- faſſung ihren Zweck erfuͤllt, in welchem Fall ſie von dem ſchuͤtzenden Sims, ϑριγκὸς, ſelbſt den Namen erhaͤlt. Niedrige Mauern kommen erſtens unabhaͤngig fuͤr ſich3 als Umzaͤunungen vor (maceria, αἱμασιά); dann als Un- terſaͤtze der Hauptwaͤnde, um dieſe uͤber den gewoͤhnli- chen Boden zu erheben und ſchon den Fuß derſelben ſicht- bar zu machen. Gewoͤhnliche Grundmauern von einigem Vorſprung, mit oder ohne Stufen, ſind κρηπῖδες, cre-4
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I. Tektonik. Gebaͤude.
279. Einzeln ſtehende Pfeiler oder Pilaſter vertre-
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Karyatiden heißen, wendet die Griechiſche Architektur
ſehr maͤßig und nie ohne eine beſondre Beziehung auf
den Zweck und die Bedeutung des Gebaͤudes an: viel
haͤufiger waren ſolche Stuͤtzen bei Dreifuͤßen, Keſſeln,
Thronen, Fußſchemeln und andern Geraͤthen.
S. §. 109, 4. 17., wo die Giganten den T. ihres Ueberwin-
ders tragen. Athen. v, 208 b. von den ἄτλαντες an der Au-
ßenſeite des Schiffes des Hieron. Dafür ſagten die Römer nach
Vitr. vi, 10. Telamones. Ueber die Vitruviſchen Caryatides
(früher κόραι) Hirt, Muſ. der AlterthumsW. i. S. 271. Böt-
tiger Amalth. iii. S. 37. Vgl. Stuart’s Ant. in der neuen
Ausg., der Deutſchen Ueberſ. i. S. 488 ff. — Die Figuren an
den Pfeilern der Halle von Theſſalonike (§. 192, 4.), Incantada
genannt, ſind keine Atlanten, ſondern bloße Reliefs an den Pfei-
lern einer oberen Stoa. — In Delos finden ſich auch Vor-
dertheile von Rindern an Pfeilern unter einem Gebälk angebracht.
280. Die Mauer (murus, τεῖχος) oder Wand
(paries, τοῖχος) iſt die Fortſetzung des Pfeilers, welche
aber zugleich die Analogie der Saͤule vollſtaͤndiger ver-
laͤßt, indem bei dieſer das Stuͤtzen als alleiniger, bei je-
ner neben dem Stuͤtzen das Einſchließen als hauptſaͤchlicher
Zweck hervortritt. Sie erhaͤlt indeß oft nach Art der
Pilaſter drei Theile, den Fuß, den Wuͤrfel, und eine
Art Capitaͤl oder Sims, welche Begriffe hier zuſammen-
fallen (ἑπίκρανον, ϑριγκός). Als Capitaͤl erſcheint
dieſer Theil mehr, wenn ein Gebaͤlk daruͤber fortlaͤuft;
als Sims, wenn die Mauer fuͤr ſich allein als eine Ein-
faſſung ihren Zweck erfuͤllt, in welchem Fall ſie von dem
ſchuͤtzenden Sims, ϑριγκὸς, ſelbſt den Namen erhaͤlt.
Niedrige Mauern kommen erſtens unabhaͤngig fuͤr ſich
als Umzaͤunungen vor (maceria, αἱμασιά); dann als Un-
terſaͤtze der Hauptwaͤnde, um dieſe uͤber den gewoͤhnli-
chen Boden zu erheben und ſchon den Fuß derſelben ſicht-
bar zu machen. Gewoͤhnliche Grundmauern von einigem
Vorſprung, mit oder ohne Stufen, ſind κρηπῖδες, cre-
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/349>, abgerufen am 23.11.2024.
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