Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.Griechen. Fünfte Periode. roh, ja sie werden fortwährend plumper und ungestalter;aber dabei zeigen doch die Gebäude der Justinianischen und Ostgothischen Zeit in Byzanz und Ravenna einen freiern und eigenthümlichern Sinn, der die Bedeutung des Gebäudes im Ganzen heller faßt, als es bei den letzten Römischen Architekten der Fall war; und in den großen Basiliken des fünften und sechsten Jahrhunderts wird entschieden schon auf einen machtvollen und erschüt- ternden Eindruck von Größe hingearbeitet, der frühern Gebäuden fehlte. Dieser für neue Zwecke neu belebte2 (Vorgothische, Byzantinische) Architekturstyl, welcher sich aber immer noch fast in allen einzelnen Formen an den spätrömischen anschließt, herrscht in der ersten Hälfte des Mittelalters, durch die mit Griechenland fortwährend im Zusammenhange stehenden Baucorporationen (collegia) gepflegt und ausgebildet, im ganzen Christlichen Europa;3 er herrscht so lange, bis im dreizehnten Jahrhundert der Germanische Geist, den des Europäischen Süden über- wältigend, die Römischen Formen nach einem ganz neuen System, eignen Grundideen und Gefühlen gemäß, durch- gängig umzuschaffen beginnt. Der Spitz-Giebel und Bo- gen und der Grundsatz der ununterbrochnen Verticallinien drücken die äußern (climatischen) und innern (aus dem Ge- müthe stammenden) Grundrichtungen dieser der antiken scharf entgegengesetzten Baukunst aus, welche aber in Italien nie ganz einheimisch, und im funfzehnten Jahr- hundert sehr schnell durch die erneuerte Baukunst der Rö- mischen Kaiserzeit verdrängt wurde. 1. In Ravenna: Theodorichs Mausoleum (wenigstens aus Griechen. Fuͤnfte Periode. roh, ja ſie werden fortwaͤhrend plumper und ungeſtalter;aber dabei zeigen doch die Gebaͤude der Juſtinianiſchen und Oſtgothiſchen Zeit in Byzanz und Ravenna einen freiern und eigenthuͤmlichern Sinn, der die Bedeutung des Gebaͤudes im Ganzen heller faßt, als es bei den letzten Roͤmiſchen Architekten der Fall war; und in den großen Baſiliken des fuͤnften und ſechſten Jahrhunderts wird entſchieden ſchon auf einen machtvollen und erſchuͤt- ternden Eindruck von Groͤße hingearbeitet, der fruͤhern Gebaͤuden fehlte. Dieſer fuͤr neue Zwecke neu belebte2 (Vorgothiſche, Byzantiniſche) Architekturſtyl, welcher ſich aber immer noch faſt in allen einzelnen Formen an den ſpaͤtroͤmiſchen anſchließt, herrſcht in der erſten Haͤlfte des Mittelalters, durch die mit Griechenland fortwaͤhrend im Zuſammenhange ſtehenden Baucorporationen (collegia) gepflegt und ausgebildet, im ganzen Chriſtlichen Europa;3 er herrſcht ſo lange, bis im dreizehnten Jahrhundert der Germaniſche Geiſt, den des Europaͤiſchen Suͤden uͤber- waͤltigend, die Roͤmiſchen Formen nach einem ganz neuen Syſtem, eignen Grundideen und Gefuͤhlen gemaͤß, durch- gaͤngig umzuſchaffen beginnt. Der Spitz-Giebel und Bo- gen und der Grundſatz der ununterbrochnen Verticallinien druͤcken die aͤußern (climatiſchen) und innern (aus dem Ge- muͤthe ſtammenden) Grundrichtungen dieſer der antiken ſcharf entgegengeſetzten Baukunſt aus, welche aber in Italien nie ganz einheimiſch, und im funfzehnten Jahr- hundert ſehr ſchnell durch die erneuerte Baukunſt der Roͤ- miſchen Kaiſerzeit verdraͤngt wurde. 1. In Ravenna: Theodorichs Mauſoleum (wenigſtens aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0209" n="187"/><fw place="top" type="header">Griechen. 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Griechen. Fuͤnfte Periode.
roh, ja ſie werden fortwaͤhrend plumper und ungeſtalter;
aber dabei zeigen doch die Gebaͤude der Juſtinianiſchen
und Oſtgothiſchen Zeit in Byzanz und Ravenna einen
freiern und eigenthuͤmlichern Sinn, der die Bedeutung
des Gebaͤudes im Ganzen heller faßt, als es bei den
letzten Roͤmiſchen Architekten der Fall war; und in den
großen Baſiliken des fuͤnften und ſechſten Jahrhunderts
wird entſchieden ſchon auf einen machtvollen und erſchuͤt-
ternden Eindruck von Groͤße hingearbeitet, der fruͤhern
Gebaͤuden fehlte. Dieſer fuͤr neue Zwecke neu belebte
(Vorgothiſche, Byzantiniſche) Architekturſtyl, welcher ſich
aber immer noch faſt in allen einzelnen Formen an den
ſpaͤtroͤmiſchen anſchließt, herrſcht in der erſten Haͤlfte des
Mittelalters, durch die mit Griechenland fortwaͤhrend im
Zuſammenhange ſtehenden Baucorporationen (collegia)
gepflegt und ausgebildet, im ganzen Chriſtlichen Europa;
er herrſcht ſo lange, bis im dreizehnten Jahrhundert der
Germaniſche Geiſt, den des Europaͤiſchen Suͤden uͤber-
waͤltigend, die Roͤmiſchen Formen nach einem ganz neuen
Syſtem, eignen Grundideen und Gefuͤhlen gemaͤß, durch-
gaͤngig umzuſchaffen beginnt. Der Spitz-Giebel und Bo-
gen und der Grundſatz der ununterbrochnen Verticallinien
druͤcken die aͤußern (climatiſchen) und innern (aus dem Ge-
muͤthe ſtammenden) Grundrichtungen dieſer der antiken
ſcharf entgegengeſetzten Baukunſt aus, welche aber in
Italien nie ganz einheimiſch, und im funfzehnten Jahr-
hundert ſehr ſchnell durch die erneuerte Baukunſt der Roͤ-
miſchen Kaiſerzeit verdraͤngt wurde.
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1. In Ravenna: Theodorichs Mauſoleum (wenigſtens aus
der Zeit), jetzt S. Maria Rotonda, ein gewaltiges Werk von ein-
fachen, wenn auch ſchwerfälligen Formen. Amalaſuntha, eine Nö-
miſch gebildete Frau, ahmt Byzantiniſche Baue nach. San Vitale,
unter Juſtinian (Julianus Argentarius) gebaut, achteckig, mit ba-
rocken Capitälern. S. Agincourt T. i, ii. p. 32 sqq. iv. pl. 18.
23. Vgl. Schorn, Reiſen in Italien Bd. i. S. 398., und über
Theodorichs Baue in Rom, Ravenna, Ticinum überhaupt Manſo
Geſchichte des Oſt-Gothiſchen Reichs S. 124. u. 696 ff.
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Zitationshilfe: | Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/209>, abgerufen am 20.07.2024. |